Freitag, 28. Juni. … Leipzig. Gespräch mit unserem Dienstmann. Opels Hotel. Der halbe neue Bahnhof. Schöne Ruine des alten. Gemeinsames Zimmer. Von vier Uhr ab lebendig begraben, weil Max wegen des Lärms die Fenster zumachen muß. Großer Lärm. Dem Gehör nach zieht ein Wagen den andern hinter sich. Die Pferde wegen des Asphalts wie laufende Rennpferde anzuhören. Das sich entfernende, durch seine Unterbrechungen Gassen und Plätze andeutende Läuten der Elektrischen. Abend in Leipzig. Maxens topographischer Instinkt, mein Verlorensein. Dagegen stelle ich, später vom Führer bestätigt, einen schönen Erker am Fürstenhaus fest. Nachtarbeit auf einem Bauplatz, wahrscheinlich auf der Stelle von Auerbachs Keller. Nicht zu beseitigende Unzufriedenheit mit Leipzig. Lockendes Café Oriental. »Taubenschlag«, Bierstube. Der schwer bewegliche langbärtige Biervater. Seine Frau schenkt ein. Zwei große starke Töchter bedienen. Fächer in den Tischen. Lichtenhainer in Holzkrügen. Schandgeruch, wenn man den Deckel öffnet. Ein schwächlicher Stammgast, rötlich magere Wangen, faltige Nase, sitzt mit großer Gesellschaft, bleibt dann allein zurück, das Mädchen setzt sich mit ihrem Bierglas zu ihm. Das Bild des vor zwölf Jahren verstorbenen Stammgastes, der vierzehn Jahre lang hergegangen ist. Er hebt das Glas, hinter ihm ein Gerippe. Viele stark verbundene Studenten in Leipzig. Viel Monokel.
Samstag, 29. Juni. Frühstück. Der Herr, der Samstag die Quittung einer Geldsendung nicht unterschreibt. Spaziergang. Max zu Rowohlt. Buchgewerbemuseum. Kann mich vor den vielen Büchern nicht halten. Die altertümlichen Straßen dieses Verlagsviertels, trotz gerader Straßen und neuerer, allerdings schmuckloser Häuser. Öffentliche Lesehalle. Mittagessen in »Manna«. Schlecht. Wilhelms Weinstube, dämmriges Lokal in einem Hof. Rowohlt. Jung, rotwangig, stillstehender Schweiß zwischen Nase und Wangen, erst von den Hüften an beweglich. Graf Bassewitz, Verfasser von ›Judas‹, groß, nervös, trockenes Gesicht. Spiel in der Taille, gut behandelter starker Körper. Hasenclever, viel Schatten und Helligkeit im kleinen Gesicht, auch bläuliche Farben. Alle drei schwenken Stöcke und Arme. Eigentümliches tägliches Mittagessen in der Weinstube. Große breite Weinbecher mit Zitronenscheiben. Pinthus, Korrespondent des ›Berliner Tageblatts‹, dick, flacheres Gesicht, korrigiert dann im Café Français die Schreibmaschinenniederschrift einer Kritik der ›Johanna von Neapel‹ (Uraufführung am Abend vorher). Café Français. Rowohlt will ziemlich ernsthaft ein Buch von mir. Persönliche Verpflichtungen der Verleger und ihr Einfluß auf den Tagesdurchschnitt der deutschen Literatur. Im Verlag.
Abfahrt nach Weimar fünf Uhr. …
Franz Kafka wurde 1883 in Prag geboren, wo er auch Jura studierte und für die Arbeiter-Unfallversicherungsanstalt arbeitete. Sein Werk ist Weltliteratur und in seiner Besonderheit auch nicht durch Schullektüre totzukriegen – das Adjektiv »kafkaesk« steht seit 1973 im Duden. Kafka hatte Kehlkopftuberkulose und starb vor 100 Jahren am 3. Juni 1924 mit 40 an Herzversagen in einem Sanatorium bei Wien. Zeichnen konnte er auch, wie diese Seiten zeigen.