anzeige
anzeige
Politik

Autoritäre Unterwanderung

Der Student:innen-Rat fällt mit antiisraelischer Parteinahme auf, dahinter steckt ein Netzwerk

  Autoritäre Unterwanderung | Der Student:innen-Rat fällt mit antiisraelischer Parteinahme auf, dahinter steckt ein Netzwerk  Foto: Wilhelm Thomas Fiege

»Solidarität mit einem offenen wissenschaftlichen Diskurs!« – Studentische Unwissenheit kann vorkommen, gepaart mit Aktivismus ist sie aber gefährlich. Gefährlich einseitig. Mit jenen schrägen Worten – man kann sich nur mit Akteuren solidarisieren – ruft der Fachschaftsrat Politikwissenschaft (FSR Powi) am heutigen Montag zum Vortrag eines BDS-Unterstützers. Im Gewand der Wissenschaftsfreiheit wird antiisraelischer Aktivismus unterstützt. Das ist kein Einzelfall innerhalb der studentischen Selbstverwaltung. Seit über einem Jahr fallen Teile der Studierendenvertretung durch einseitige Positionen zum Nahostkonflikt auf, die auch Antisemitismus nicht scheuen. Auf kreuzer-Nachfragen reagiert der Student:innen-Rat (Stura) der Uni mit Vertröstung.

An diesem Montag, dem 16. Dezember, spricht der belgische Politikwissenschaftler Christopher Parker über den Nahostkonflikt auf Einladung des FSR Powi an der Uni. Weil er unter anderem am 10. Oktober 2023 einen Brief initiierte, der sich gegen israelische Kriegsverbrechen in Gaza richtet und Hamas-Terror rechtfertigt, wurde die Finanzierung seines Auftritts im Stura-Plenum diskutiert. In dem Brief heißt es unter anderem: »The Israeli regime is responsible for the unfolding of violence« und weiter: »Israeli settler colonialism and apartheid is a Zionist system founded and maintained on ethnic cleansing, land dispossession, illegal annexation, and the denial of the inalienable rights of the Palestinian people and sovereignty. Statements that now condemn Hamas’ violence exhibit the same selective blindness to the violence perpetrated by Israel and the system that produced Hamas.« Der FSR Powi nannte eine Ausladung Parkers wegen unterzeichneter offener Briefe und seiner Nähe zur antiisraelischen BDS-Bewegung »übertrieben« und eine »Vorverurteilung«. Man wolle mit einem »Awareness-Konzept« die offene Diskussion mit dem »führenden Experten« gewährleisten, heißt es im Protokoll des Stura-Plenums, das dem kreuzer vorliegt.

Die BDS-Bewegung wird in anderen Ländern von breiten politischen Kreisen unterstützt, vom Deutschen Bundestag wurde sie 2019 als antisemitisch eingestuft.

Das Stura-Plenum genehmigte die Finanzierung der Veranstaltung – entgegen einer Senatsrichtlinie »gegen BDS und jeden Antisemitismus« und früherer Stura-Beschlüsse hinsichtlich der Unterstützung antisemitischer Positionen. Dort wurde unter anderem formuliert: »Der Stura verurteilt antisemitische Boykott-Kampagnen, wie Boycott, Divestment and Sanctions (BDS) und setzt sich gegen die Durchführung, Beteiligung und Förderung solcher Kampagnen und Veranstaltungen an der Universität Leipzig ein.«


Linker Szenekonflikt

Auf der gleichen Sitzung wurde der Antrag gestellt, den Progressiven Initiativwochen (Piwo) den Status einer studentischen AG zu entziehen. Damit würde der Gruppe die Raumnutzung an der Hochschule unmöglich. Als Grund wurde die Verbindung mit dem Verein Sisters angegeben, dem Transfeindlichkeit vorgeworfen wird – folglich eine Kontaktschuld hergestellt, die für Referent Parker bezüglich der Israel-Boykott-Bewegung nun nicht gelten soll. Dessen Fürsprecher wiederum agierten als Piwo-Gegner, erinnert sich ein Teilnehmer des Plenums, der lieber anonym bleiben möchte. Er spricht von einem merkwürdigen Schauspiel: »Das war, als ob der FSR Powi und Stura als Personaleinheit agierten.« Derzeit stammen drei Stura-Referenten aus dem FSR und seinem Umfeld. Insgesamt, so ist von mehreren Stura-Aktiven, Ehemaligen sowie Beobachtenden zu hören, befinden sich unter dessen Referenten und Mitarbeitenden Personen mit links-autoritärem Weltbild, die entsprechenden Gruppen zumindest nahestehen. Das zu kritisieren, gehört zum Piwo-Programm.

Hintergrund ist ein schwelender Konflikt: In der emanzipatorisch geprägten linken Szene Leipzigs tauchten autoritäre Kader-Gruppen auf, die durch antiisraelische bis antisemitische Positionen auffallen. Zu diesen K-Gruppen zählen unter anderem Handala, Zora Leipzig und Young Struggle. Diese würden, so der Vorwurf, in Strukturen und Freiräume drängen, um dort ihre Agenda umzusetzen. Das ist seit mehr als einem Jahr am Stura festzustellen: So verabschiedete das Plenum eine antisemitisch durchsetzte Stellungnahme zum Gaza-Krieg und förderte Veranstaltungen mit einschlägigen Akteuren, etwa bei den Kritischen Einführungswochen. Bereits damals äußerte sich der Stura uns gegenüber erst auf mehrmalige Nachfrage mit einem knappen Statement. Vom kreuzer für diesen Text erneut angefragt, erbat sich die Studierendenvertretung nach einer bereits verstrichenen Woche zwei weitere Wochen Zeit für die Beantwortung – also bis nach der Veranstaltung mit Parker am 16. Dezember. Solange konnte der kreuzer nicht warten.

 

Campus-Besetzung und Terror-Verherrlichung

So bleiben kritische Punkte offen. Der Stura wies in einer Stellungnahme vom 26. Oktober 2023 etwa von sich, mit Handala und Young Struggle (YS) überhaupt zusammenzuarbeiten, da diese keine studentischen AGs seien. In einem Stura-Antrag vom 9. Juli 2024 hingegen wird die Unterstützung der Gruppen Kommunistische Organisation (KO) und Kommunistischer Aufbau (KA) als unproblematisch unterstrichen. Das sind exakt jene Netzwerke, zu denen unter anderem Young Struggle gehören – die Fülle an Namen und Abkürzungen ist als Tarnung gewollt und soll den Anschein von Größe erwecken. Bereits 2023 bezeichneten Beobachter die Organisatorengruppe der Kritischen Einführungswochen als »unterwandert« vom Gruppengeflecht um Kommunistische Organisation und Kommunistischer Aufbau. Tatsächlich fanden bei den vom Stura unterstützten diesjährigen Kritischen Einführungswochen Veranstaltungen von Young Struggle, Kommunistische Organisation und den ebenso zum Netzwerk gehörenden Studierendenkollektiv, Frauenkollektiv und Zora statt. Der angekündigte Vortrag »Deutsche Medien im Genozid« entfiel aus ungenannten Gründen. Dort sollte die These vertreten werden, dass die Berichterstattung »entsprechend von diskursiver Hegemonie zugunsten Israels geprägt« ist. Den hatten die ebenfalls einschlägig bekannten Students for Palestine organisiert. Aus diesen Gruppen stammen auch die Boykott-Aufrufe gegen das Conne Island und die Störversuche einer Veranstaltung im Atari. 

Augenzeugen berichten außerdem, dass Stura-Mitglieder an der »Unibesetzung gegen den Genozid« im Mai 2024 teilgenommen haben. Dabei verbarrikadierten 60 Personen den großen Hörsaal. »Sie übten Wächterfunktion aus, indem sie bestimmten Studierenden und Mitarbeitern den Einlass verwehrten«, sagt eine Beobachterin. Das habe besonders jüdischen – oder vermutet jüdischen – Menschen gegolten. Positioniert zur Besetzung und zur Einschüchterung von Studierenden und Lehrenden hat sich der Stura auf seinen Kanälen nicht. Auch auf dem propalästinensischen/antiisraelischen Camp hinter der Moritzbastei im Juni 2024 wurden Referenten des Stura als Beteiligte gesehen. Dort forderte ein Plakat die Freiheit für ein Mitglied der Terrororganisation PFLP. Ein prominent aufgespanntes Banner zeigte das Konterfeit der Antisemitin Leila Chaled, die an zwei Flugzeugentführungen beteiligt war, bei denen unter anderem israelische Passagiere als Geiseln selektiert wurden. Auch das Stura-Radio veröffentlichte mehrfach Sendungen mit K-Gruppen-Vertretern. Das untermauert den Verdacht gezielter personeller Veränderungen unter den Stura-Radio-Mitarbeitenden, den Beobachter schon länger gegenüber dem kreuzer äußerten.

Offen ließ der Stura auch die Frage des kreuzer, woher die Vehemenz rührt, sich trotz fehlendem allgemeinpolitischen Mandats – der Aktionsbereich beschränkt sich auf Hochschulpolitik und alles, was Studierende betrifft – im Nahost-Konflikt zu positionieren, während beispielsweise der Sudan oder Jemen keine Themen im Plenum sind. Wie der Stura eine in eigenen Worten »differenzierte Diskussion des Kriegs in Gaza« faktisch zu gewährleisten gedenkt, war ebenfalls nicht zu erfahren. Die Ausladung eines israelischen Wissenschaftlers in der vergangenen Woche – gegen ihn hatten Studierende mobil gemacht – war denen, die »Solidarität mit einem offenen wissenschaftlichen Diskurs!« fordern, jedenfalls keine Zeile wert.


Kommentieren


0 Kommentar(e)