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»Fahrrad-Gate« - alles Wichtige zum Prozess in Leipzig

Die Verhandlungstage im Überblick

  »Fahrrad-Gate« - alles Wichtige zum Prozess in Leipzig | Die Verhandlungstage im Überblick  Foto: Adobe Stock

Zwischen 2014 und 2018 wurden über 260 Fahrräder aus der Asservatenkammer der Leipziger Polizei illegal verkauft. Die Hauptangeklagte muss sich nun wegen Diebstahl, Bestechlichkeit und Urkundenfälschung vor dem Landesgericht in Leipzig verantworten. Hier berichten wir von den Entwicklungen an den einzelnen Prozesstagen.


Dritter Prozessstag, 11. Juni: Vorgesetzter schildert Vorgehen gegen Anke S. – Gericht stellt Strafminderung in Aussicht

Der Verhandlungstag widmet sich den Strukturen der Ermittlungseinheit »Zentrale Bearbeitung der Fahrradkriminalität« (ZentraB Fahrrad), in der Anke S. ihren Dienst verrichtete.

»Die Leistungsfähigkeit der Kollegen war unterdurchschnittlich, die Vorgangsbelastung absolut überdurchschnittlich«, fasst Oliver K. die Zustände in der Ermittlungsgruppe ZentraB zusammen. Man könne sie als ungeliebtes Kind der Polizeidirektion Leipzig bezeichnen, bestätigt K. auf Nachfrage des vorsitzenden Richters Rüdiger Harr. K. leitete die Einheit von 2017 bis 2018. Auch er berichtet von den Kapazitätsproblemen der Ermittlungsgruppe, die an vorangegangen Verhandlungstagen geschildert wurden. Anke S. sei als engagierte und leistungsfähige Beamtin aufgefallen. Sie habe die Verwaltung der beschlagnahmten Fahrräder mit einem anderen Kollegen übernommen. K. selbst habe die Verwaltung und Verwertung der Fahrräder nicht genau verfolgt. Dass Anke S. Fahrräder an Polizeibeamte verkauft haben soll, sei ihm nicht bekannt gewesen.

Als nächster Zeuge tritt Ingmar D. auf, der die Einheit 2018 übernahm. Er ist nach wie vor für die Polizeidirektion Leipzig tätig. D. spricht langsam, formuliert vorsichtig und unterbricht immer wieder, um auf die beschränkte Aussagegenehmigung auf dem Tisch vor ihm zu blicken, die ihm die Polizeidirektion Leipzig auferlegt hat. Beamte benötigen eine Aussagegenehmigung, wenn sie über Angelegenheiten aussagen, die der Amtsverschwiegenheit unterliegen. Geht es um besonders sensible Belange, kann diese beschränkt werden.

Neuer Vorgesetzter begann Untersuchung gegen Anke S.

Im November 2018 habe er das erste Mal von Unregelmäßigkeiten bei der Verwaltung der gelagerten Fahrräder erfahren. Daraufhin habe er eine Inventur angeordnet und seine Vorgesetzten informiert. Bei der Inventur sei aufgefallen, dass sich an einigen Fahrrädern Aufkleber mit Telefonnummern befunden hätten. Mit diesen Aufklebern hätten Polizeibeamte Fahrräder für sich reserviert, bis die Ermittlungsgruppe sie als herrenlos einordnete. Die reservierten Fahrräder seien dann mutmaßlich von der Angeklagten an die Beamten verkauft worden, sagt D.

Ingmar D. habe bei weiteren Überprüfungen Abweichungen zwischen den Datenbanken der Ermittlungsgruppe und dem Fahrradbestand festgestellt. Fahrräder, die laut Datenbank an gemeinnützige Vereine abgegeben worden waren, seien zudem teilweise als Eigentum von Polizeibeamten registriert gewesen.

Nach mehreren Gesprächen und Untersuchungen habe die Angeklagte Ingmar D. gegenüber schließlich im Juli 2019 den Verkauf von 34 Fahrrädern eingeräumt, woraufhin D. sie beurlaubt und die Staatsanwaltschaft um die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gebeten habe.

Höhere Ebenen in der Polizeidirektion Leipzig hätten schon länger von Aktivitäten gewusst

Die weitere Befragung widmet sich den Vorgesetzten von Ingmar D. Sowohl der damalige Leiter des Kommissariats 26, der direkte Vorgesetzte von D., als auch der damalige Dezernatsleiter werden in diesem Prozess nicht aussagen, weil sie von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen.

Der damalige Leiter des Kommissariats 26 habe den Sachverhalt weniger ernst genommen, erinnert sich D. Bevor Anke S. den Verkauf einräumte, habe er D. in einem Gespräch aufgefordert, Unregelmäßigkeiten in den Verwaltungssystemen zu »bereinigen«. D. meint, diese Anweisung »mit gutem Grund« kritisch zu sehen. Er habe den Eindruck, dass höhere Ebenen in der Polizeidirektion Leipzig schon länger von den Aktivitäten der Angeklagten gewusst hätten.

Während seiner Aussage unterbricht ihn der beisitzende Richter: »Fühlen sie sich überwacht von ihrem Kollegen, der hinter ihnen sitzt?« Im Zuschauerraum hinter Ingmar D. sitzt ein uniformierter Polizist, der in einem Notizbuch mitschreibt. D. bejaht die Frage. Er habe Sorge, mit seiner Aussage gegen die Auflagen der Polizeidirektion zu verstoßen. Der Vorsitzende Richter gibt zu Protokoll, dass die Beobachtung durch die Polizei zulässig sei, äußert aber Verständnis für die Vorsicht des Zeugens: »Wir sehen ja auch, in welcher Situation sie sich befinden, wir sind ja nicht blind.«

Als D. seine Aussage beendet hat, bedankt sich der vorsitzende Richter und verabschiedet ihn mit den Worten: »Auch gerade Wege können sehr steinig sein«. Bevor er den Prozess beendet, verkündet er, dass die schwierigen Zustände in der ZentraB die Handlungen der Angeklagten zumindest stark begünstigt hätten. Das werde die Kammer im Strafmaß berücksichtigen. NIKLAS PEIFFER


Zweiter Prozesstag, 4. Juni: Anke S. weist Vorwürfe zurück - ihr ehemaliger Vorgesetzter widerspricht

Die Verhandlung beginnt, wie in der vorangegangenen Woche angekündigt: Erik Bergmüller, der Anwalt der Angeklagten Anke S., verliest die Stellungnahme seiner Mandantin. Darin beschreibt Bergmüller, wie die Asservierung der sichergestellten Fahrräder ablief. Er betont, dass die Herausgabe an gemeinnützige Vereine nie eigenmächtig stattgefunden habe und alle Schritte stets offengelegt worden seien. Weil sich immer mehr Fahrräder angesammelt hätten, sei in der Asservatenkammer irgendwann ein Platzproblem entstanden. Die Abnahme der Fahrräder durch Vereine, besonders den Kleingartenverein (KGV) des Vaters der Angeklagte, habe also vielmehr als Entlastung gedient und nicht der persönlichen Bereicherung. »Ich bin bemüht, an der Klärung mitzuwirken«, zitiert Bergmüller seine Mandantin gegen Ende.

In der anschließenden Befragung von Anke S. liegt der Fokus auf der Herausgabe der Fahrräder. Ruhig und besonnen antwortet sie auf alle Fragen. Zwischendurch spricht sie sich einige Male mit ihrem Verteidiger ab. Auch wenn deutlich wird, dass sie nicht immer zufriedenstellende Antworten für die Kammer parat hat, wirkt sie kaum verunsichert. Unter ihren Kollegen hätte sich herumgesprochen, dass Fahrräder über gemeinnützige Vereine abzugeben seien. Viele hätten im Namen eines Vereins Räder abgeholt, ob diese tatsächlich beim Verein ankamen, sei nicht kontrolliert worden. Wer keinen Verein als Abnehmer hatte, habe trotzdem ein Fahrrad direkt vor Ort gegen Bargeld bekommen, die Abwicklung sei dann über den KGV des Vater der Angeklagten gelaufen. In dem Moment, als sie das Geld entgegennahm, habe sie als Privatperson gehandelt, auch wenn es während ihrer Dienstzeit gewesen sei, sagt S. Auf die Frage, wo die Grenze zwischen ihrer Rolle als Privatperson und Polizistin verlaufen sein, hat S. keine Antwort. Auch gibt es keine Erklärung dafür, weshalb sie mit dem Namen ihres Vaters und nicht mit dem eigenen die Quittungen unterschrieben hat. Teilweise seien die Unterschriften auch unleserlich gewesen. Staatsanwalt Christian Kuka legt den Verdacht nahe, dass vertuscht werden sollte, dass so viele Fahrräder über den KGV des Vaters abgegeben wurden.

Immer wieder werden Fragen zu Regelungen bezüglich der Herausgabe von Asservaten gestellt. Doch laut der Angeklagten gab es keine. In der folgenden Vernehmung bestätigen sowohl ihr ehemaliger Vorgesetzter als auch ihre Vorgängerin als Zuständige für die Asservaten, dass es keine Vorgaben oder Vorschriften gegeben habe, wie bei der Herausgabe von Fahrrädern vorzugehen war. Nur die Gemeinnützigkeit der Vereine war Voraussetzung für die Abgabe, ansonsten hätten die Vereine frei ausgewählt werden können. Auch eine Kontrolle der Verfahrensweise von Anke S. habe nie stattgefunden. Trotzdem ergeben sich auch Widersprüche, denn laut der Angeklagten habe ihr Vorgesetzter über alle Schritte Bescheid gewusst. Dem widerspricht er: von der Weitergabe gegen Bargeld sei ihm nichts bekannt gewesen.

Die Vorgängerin von Anke S. hingegen habe davon gewusst, nachdem sie selbst nicht mehr für die Asservaten zuständig gewesen sei. Sie wird zunehmend unruhiger und rutscht immer mehr in eine rechtfertigende Position. Die Frage, ob es zu ihrer Zeit bereits möglich gewesen sei, Fahrräder vor Ort zu bekommen, verneint sie und verweigert genauere Angaben dazu, weil gegen sie auch ein Verfahren läuft. Die Vorgängerin berichtet davon, dass Anke S. gegen ihren neuen Vorgesetzen gewettert habe, weil der das Vorgehen genauer kontrolliert habe. Eine dritte Zeugenvernehmung, die für den Termin angesetzt war, wird auf einen späteren Termin verschoben. LEONIE BEER
 

Erster Prozesstag, 28. Mai: Verhandlung mit neuer Verteidigung beginnt neu – Anklageschrift bleibt gleich

»Ich versuche bis zum Mittag damit durchzukommen«, erklärt Staatsanwalt Christian Kuka dem Richter Rüdiger Harr, als dieser ihn fragt, ob er für die Verlesung der Anklageschrift eine Pause brauche. Das Vorlesen der Anklage dauert etwa vier Stunden, wie sich im Laufe des Dienstags herausstellen wird. Es ist die gleiche Anklage, die bereits Mitte März zum eigentlichen Verhandlungsbeginn im »Fahrrad-Gate«-Prozess verlesen wurde. Damals wurde der Prozess nach einem Monat unterbrochen, da der ehemalige Verteidiger der Angeklagten Anke S. angab, sich in einem Interessenkonflikt zu befinden, weil er noch andere Beschuldigte im Verfahren vertritt. Mit dem neuen Verteidiger Erik Bergmüller sind 16 Prozesstage bis Ende Oktober angesetzt.

Der angeklagten und inzwischen suspendierten Polizeihauptmeisterin Anke S. wird von der Generalstaatsanwaltschaft Dresden vorgeworfen, zwischen August 2014 und November 2018 mindestens 265 sichergestellte Fahrräder aus der Asservatenkammer der Leipziger Polizeibehörde an Polizeibeamte und Privatpersonen weitergegeben zu haben. Pro Fahrrad nahm sie eine Spende zwischen 5 und 50 Euro. Die Spenden erhielt ein Gartenverein bei Leipzig, dessen Vorsitzender: der Vater der Angeklagten. Dabei soll sie Spenendenquittungen anstelle der Spendenden selbst unterschrieben und Unterschriften gefälscht haben, weshalb S. sich auch wegen des Vorwurfs der Urkundenfälschung verantworten muss.

Von den etwa 4.800 Euro, die sie damit einnahm, soll S. 3.000 Euro selbst behalten haben. Zu den insgesamt 189 Abnehmerinnen und Abnehmern gehörten nicht nur Privatpersonen, sondern auch Polizistinnen und Polizisten, gegen alle ermittelte die Generalstaatsanwaltschaft Dresden seit 2019. Die meisten Verfahren wurden gegen Zahlung einer Geldauflage oder aufgrund mangelnder Beweise eingestellt. Nächste Woche wird sich Anke S. zur Anklage äußern, das stellte ihr neuer Verteidiger am Dienstag in Aussicht. Bisher hatte S. die Vorwürfe von sich gewiesen, erhaltene Spenden habe sie an einen gemeinnützigen Verein weitergegeben. Sollte es zu einer »anständigen Einlassung« kommen, so erklärte es der Richter Harr, könne die Kammer eine Geldstrafe erteilen. Die Generalstaatsanwaltschaft besteht auf einer Freiheitsstrafe.

Bliebe es bei einer Geldstrafe, müsste die zuständige Polizeidirektion in einer internen Verhandlung entscheiden, ob S. nach Beendigung des Gerichtsprozesses wieder als Polizeibeamtin arbeiten kann. Der nächste Verhandlungstag ist auf Dienstag, den 4. Juni angesetzt. FRAUKE OTT

 


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1 Kommentar(e)

Anonym 12.06.2024 | um 19:24 Uhr

Die Leipziger Polizei, korrupt und unfähig. 30 Jahre CDU Herrschaft in Sachsen tragen halt ihre Früchte.