Nein, seine Finger brauche er nicht zum Pfeifen. Und eine Trillerpfeife schon gar nicht. Wir stehen mit Damian Halata auf einem der Sportplätze der Rahnschule im Graphischen Viertel, genauer: auf dem Dach der Turnhalle. Hinterm Tor dreht sich das Doppel-M auf dem Wintergartenhochhaus in der Ferne, Leipzig könnte hier eine Großstadt sein (und Privatschulen sollten für alle Kinder sein). Damian Halata lebt seit 1988 in Leipzig, seit seinem Wechsel vom 1. FC Magdeburg zum 1. FC Lokomotive, der zu DDR-Zeiten beileibe keine Selbstverständlichkeit war. Gegen Chemie bestritt er sein erstes Oberliga-Spiel, für den VfB Leipzig sein letztes in der 2. Bundesliga. Dazwischen wurde er Nationalspieler, schoss als Einziger überhaupt fünf Tore in einem Spiel der ersten Liga in der DDR. Zur Wende war Halata 27, der Westen lockte, Gespräche wurden geführt – aber der VfB band ihn noch eine Saison an sich. Man habe doch gerade die Qualifikation für die 2. Bundesliga geschafft, in einem Jahr könne er ja noch jenen Weg gehen, auf den sich die Sammers und Kirstens bereits gemacht hatten.
Dann im ersten Spiel: Kreuzbandriss. Eine OP, noch eine OP, Karriereende. Keine Première Division und keine Bundesliga – jedenfalls nicht auf dem Platz. Der Diplomsportlehrer wird Co-Trainer beim VfB, übernimmt dreimal auch als Chef. Es geht in die erste, dann in die zweite, nach einem Wechsel für Halata nicht in die dritte mit dem VfB, sondern mit Dynamo Dresden in die vierte Liga – die zu diesem Zeitpunkt immerhin Oberliga heißt. Später baut Halata den ZFC Meuselwitz vom Dorf- zum Regionalligisten auf. Aber Fußballtrainer in der vierten oder fünften Liga zu sein, ist wie überhaupt das Dasein in diesen Sphären: unsicher und nervenaufreibend. Also wird 2016 aus Damian Halata Herr Halata, mit anderen Worten: der Fußballtrainer zum Sportlehrer, der er heute noch ist und der nun vor uns steht, im Trainingsanzug, mit geradem Rücken, ohne Bauch. In einer Woche wird er für die DDR-Traditionsmannschaft in Lindenau auf dem Rasen (nicht nur) stehen.
Zeitsprung. Als 12-Jähriger geht der damals ziemlich gute Handballer Halata 1974 zum Probetraining beim 1. FC Magdeburg, damals Spitzenmannschaft und Europapokalsieger (der einzige aus der DDR, wir erinnern uns), Handtuch hat er keins dabei, also fährt er vom Ascheplatz verstaubt mit der Straßenbahn nach Hause, und doch strahlend, weil er wiederkommen darf. Schon fünf Jahre später darf er sogar mit den Legenden Pommerenke, Seguin und Streich trainieren und spielen. Er siezt sie zwar nicht, aber noch viel weniger duzt er die Nationalspieler, ehe sie es ihm nicht angeboten haben (was schon nach ein paar Wochen passiert). Da hätten junge Spieler heute ein ganz anderes Verständnis, wundert sich Halata. Als er vor Kurzem mit einem Spieler von Lok sprach, habe er den selbstbewussten jungen Mann darauf hingewiesen, dass er vierte Liga spiele und also mal halblang machen solle. Halata hat gegen Maradona gespielt.
Um die Gehälter und das Leben als Prominenter in Social-Media-Zeiten beneide er die heutige Spielergeneration nicht und überhaupt sei er sehr zufrieden mit seinem Job. Aber in den heutigen Stadien, auf diesen »Golfplätzen« hätte er schon gern gespielt. Die Bedingungen an seiner Schule scheinen immerhin vergleichbar. BENJAMIN HEINE