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Kultur

»Kein ›Osttyp‹, sondern jemand, der krass gut spielen kann«

Der Leipziger Label-Betreiber Johannes Riedel holt Theo Schumann aus der Mottenkiste

  »Kein ›Osttyp‹, sondern jemand, der krass gut spielen kann« | Der Leipziger Label-Betreiber Johannes Riedel holt Theo Schumann aus der Mottenkiste  Foto: Christiane Gundlach

Zu DDR-Zeiten war der 1928 im Erzgebirge geborene Theo Schumann einer der bekanntesten Jazz- und Beatmusiker des Landes. Er arbeitete als Songschreiber für den Hörfunk und war über mehrere Jahrzehnte in verschiedenen Formationen tätig. Nach der Wende – und seinem Tod 1990 – geriet er in Vergessenheit. Nun ist beim Leipziger Soullabel Golden Rules die Compilation »The Story of Theo Schumann« erschienen. Wir sprachen mit dem Labelbetreiber Johannes Riedel über Schumanns charakteristischen Sound und die Faszination, die heute noch von ihm ausgeht.


Wann und in welchem Kontext sind Sie das erste Mal auf die Musik von Theo Schumann gestoßen?

Das muss vor 10, 15 Jahren gewesen sein. Damals habe ich einen Sampler von Amiga gekauft (größtes Label der DDR; Anm. d. Red.), auf dem »Derby« von Schumann drauf ist. Die Platte habe ich hoch und runter gehört und der Track ist mir damals besonders ins Auge gestoßen. Erst später habe ich bemerkt, dass das ein Cover von »Memphis Soul Stew« von King Curtis ist. Was ich erstaunlich fand: Bei Schumanns Version waren dazu keine Credits angegeben. Man hat wohl gedacht: Das wird schon keiner merken hinter dem Eisernen Vorhang. Das fand ich spannend. Ich habe den Track dann mehreren Bekannten, von denen einige auch als DJs arbeiten, gezeigt. Alle waren ziemlich beeindruckt. Man hat Schumann nicht als »Osttypen« wahrgenommen, sondern als jemanden, der krass gut spielen kann.

Was charakterisiert Schumanns Sound?

Er hatte eine spezielle Art, den Groove einzubetten. Er bewegte sich mit seiner Musik zwischen den Stühlen und war offiziell eher als Beatmusiker bekannt. Beat war ja die zeitgemäße Popmusik in den fünfziger und sechziger Jahren. Anders als die üblichen Beatbands der Zeit hat er es aber geschafft, den Beat nicht starr durchzuziehen, sondern mit funky Elementen anzureichern. In seiner Musik passiert unheimlich viel: plötzliche, manchmal auch lustige Breaks, generell auch unerwartete Elemente. Er hat einen eigenen Stil entwickelt. Einen Theo-Schumann-Track erkennt man einfach.

Was für einen musikalischen Background hatte Schumann?

Er war komplett ausgebildeter Musiker und eine Jazzikone in Dresden, seiner Heimatstadt. Für die dortige Jazzszene war er so etwas wie eine Vaterfigur. Er war extrem umtriebig und hat ständig irgendwo gespielt. Zu Hause hat er viel komponiert. Musikalisch war er sehr breit aufgestellt: Im Jazz war er zu Hause, aber er hat auch klassische Musik gespielt und gehört. Außerdem hat er mehrere Instrumente gespielt, vor allem aber Klavier und Saxofon. Er war ein sehr versierter Musiker mit einem guten Gehör.

Wie kann man sich die Rolle eines freien Musikers in der DDR vorstellen? Konnte Schumann von der Musik leben?

Ja, vor allem durch seine Kompositions- und Auftragsarbeiten für den Rundfunk. Dort war er auch angestellt, was der Grund war, dass er später von Dresden nach Ost-Berlin gezogen ist. Dort konnte er flexibler im Studio arbeiten. Die Auftragsarbeiten haben das meiste Geld für ihn eingebracht – die anderen Jazz- und Beatcombos, in denen er gespielt hat, waren dafür seine Leidenschaft.

Zur neuen Compilation heißt es, Schumann sei ein »früher Erneuerer der Soul-, Funk- und Popmusik in der DDR« gewesen. Alle drei Spielarten sind bekanntermaßen stark durch US-amerikanische Popkultur geprägt. War er damit nicht automatisch verdächtig in der DDR?

Das habe ich mich auch gefragt. Aber er hatte ein gutes Standing in der Gesellschaft und im Kulturbereich. Er war beispielsweise einer der ersten Musiker in der DDR, die ein Fender Rhodes besaßen (legendäres elektromechanisches Tasteninstrument, das ab den sechziger Jahren Jazz, Pop, Funk und Soul prägte, Anm. d. Red.) – das spricht durchaus für einen privilegierten Status. Das hat mir sein Sohn Roberto auch bestätigt, mit dem ich für die Compilation im engen Austausch stand. Vielleicht hat man da heute auch manchmal eine naive Sicht auf die Zeit: Denn natürlich wurde damals auch viel Radio aus anderen Ländern gehört, und das hat zwangsläufig dazu geführt, dass man mit neuen Einflüssen und Sounds in Berührung gekommen ist. Das ließ sich staatlicherseits ja gar nicht unterbinden. Dazu kam ein sehr großer Schwarzmarkt, auf dem Westplatten gehandelt wurden. Und es gab ja auch eine sehr aktive Jazzszene zu DDR-Zeiten.

Nach welchen Kriterien haben Sie die Songs für Ihre Compilation ausgesucht?

Ich hatte für die Auswahl weit über 100 Titel aus den Rundfunkarchiven zur Verfügung. Darunter befanden sich allerdings auch viele Schlagerproduktionen und cheesy Songs, die mutmaßlich eher Auftragsarbeiten waren. Ganz wichtig für mich war, dass die Tracks auch heute noch begeistern können – auch und gerade junge Menschen.

Wie war das für Sie, sich durch die Archive zu graben?

Das war superspannend. Man fühlt sich da manchmal schon ein bisschen wie ein Goldgräber, denn man weiß nicht, was einen erwartet. Je länger man recherchiert, desto mehr Verbindungslinien tun sich auf. Ich habe über die Zeit mit vielen Personen aus Schumanns Umfeld gesprochen, um mehr über ihn zu erfahren. Am liebsten würde ich einfach weitermachen, aber das ist natürlich sehr zeitintensiv. Ich glaube, dass ich mit Schumann einen extremen Glücksgriff hatte, den man so in der Form nur selten findet.

Jeden Tag werden 100.000 neue Songs auf Spotify hochgeladen. Was fasziniert Sie daran, sich dennoch derart intensiv mit Musik aus vergangenen Zeiten zu beschäftigen?

Das ist wohl zuallererst meiner Leidenschaft fürs Plattensammeln geschuldet. Dadurch bin ich schon seit vielen Jahren an älterer Musik interessiert. Und unter den 100.000 neuen Tracks pro Tag besteht ja der Großteil aus Retromusik, die sich auf frühere Einflüsse bezieht. Dann kann man auch gleich die Originale hören.


> Compilation »The Story of Theo Schumann« (Golden Rules 2024), Vinyl, ca. 25 €

 

 

 

 

 


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