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Politik

»Es ist die Ohnmacht und die ständige Frage: Was kann man tun?«

Katapult-Gründer Benjamin Fredrich möchte Sachsen vor der Landtagswahl mit einer Zeitung überfluten

  »Es ist die Ohnmacht und die ständige Frage: Was kann man tun?« | Katapult-Gründer Benjamin Fredrich möchte Sachsen vor der Landtagswahl mit einer Zeitung überfluten  Foto: Melissa Nüßle

Am Samstagnachmittag parkt vor dem Leipziger Opernhaus ein weißer Bus zwischen zwei Fahnen mit dem Katapult-Schriftzug. Davor wuseln einige Leute: Sie holen Zeitungen aus dem Auto, verpacken sie in Jutebeutel und geben sie an die Wartenden weiter. Diese holen sich die Zeitungen ab, um sie weiterzuverteilen. Nach zehn Minuten reicht die Schlange fast um den halben Brunnen vor der Oper. Nach 45 Minuten sind alle Exemplare verteilt. Wie die Tour durch Sachsen, Thüringen und Brandenburg bisher verlief und wen er damit erreichen möchte, erzählt Benjamin Fredrich im Gespräch.


Welche Eindrücke haben Sie bisher von der Tour durch Sachsen und welche Rückmeldungen haben Sie bekommen?

Ich bin total baff. Wir haben fünf Stationen in Sachsen geplant und wir sind jetzt bei der zweiten Station. Wir haben zuerst die größten Städte besucht: Dresden und Leipzig. Und sind komplett leer. Wir drucken gleichzeitig auch schon nach. Wir müssen wahrscheinlich die Termine verschieben, weil die anderen Städte jetzt kommen und wir einfach nichts mehr haben.

Es ist schön und negativ zugleich. Schön ist, dass so viele Leute gekommen sind, mitmachen und verteilen wollen, und dass das anscheinend genau getroffen hat, weil die Leute sich selbst helfen und mit dieser Zeitung etwas bewirken wollen. Schade ist, dass wir unseren Plan nicht einhalten können. In Leipzig ging es heute, weil wir viel mehr mit hatten, aber in Dresden hatten wir leider zu wenig dabei, sodass am Ende ein paar Leute leer ausgegangen sind. Sie waren ein bisschen enttäuscht, weil sie etwas machen wollten, und ich dachte mir, das tut mir leid. Wir kommen dann nochmal.

Wie kam es zu der Idee, diese Zeitung für Sachsen rauszubringen?

Ich glaube, es ist die Ohnmacht und die ständige Frage: Was kann man tun, wenn gewählt wird und es droht, dass uns die Demokratie entgleitet? Was passiert, wenn wir irgendwann nicht mehr in einem demokratischen Staat leben oder wenn öffentlich-rechtliche Medien abgeschafft werden? Was, wenn unser Leben nicht mehr liberal ist und Menschen, die keine weiße Hautfarbe haben, wieder bedrängt werden? Das ist, glaube ich, die Grundangst.

Ganz konkret erinnere ich mich an das Festival »MACHN« in Leipzig. Dort hat jemand aus dem Publikum gefragt: »Ich mache schon so viel gegen Rechts, aber es bringt nichts. Die AfD bekommt immer mehr Prozente. Ich mache und mache, aber sie gewinnen trotzdem. Was sollen wir jetzt tun?« Das hat mir sehr wehgetan, weil uns das genauso geht.

Aber es ist ja doch ein bisschen was passiert. Correctiv hat diese Recherche herausgebracht, es gab riesige Demos, Recherchen und Aufklärung darüber, dass russische und chinesische Spione in der AfD waren und ein AfD-Abgeordneter Schmiergeldzahlungen von der russischen Regierung erhielt. Es gab so viele Enthüllungen, die dazu geführt haben, dass die AfD bei der Europwahl im Vergleich zu Umfragen vier bis sechs Prozentpunkte verloren hat. Da habe ich mir gedacht, okay, dann hat der Journalismus ja doch eine Schlüsselrolle. Es bringt also immer etwas, etwas zu machen, und deshalb habe ich gedacht, lass die Leute doch maximal einbinden – sie finanzieren das und sie verteilen das.

Für uns ist das finanziell ein Null-Ding, und trotzdem haben wir in Sachsen oder in allen Bundesländern die größte Auflage mit 470.000 Stück. Aber am Ende war es diese eine Frage bei dem Festival von diesem verzweifelten Typen.

Welchen Effekt erhoffen Sie sich konkret von der Ausgabe? Wie stellen Sie sich vor, dass unentschlossene Wählerinnen und Wähler spontan darauf stoßen, sie durchblättern und darauf reagieren?

Ich glaube überhaupt nicht daran, dass wir AfD-Wähler oder Neonazis und Rechtsextreme umstimmen können. Überhaupt nicht. Aber es gibt eine große Masse an Menschen, die entweder nicht wählen gehen oder zwischen den Stühlen stehen und überlegen, ob sie eine konservative oder rechtsextreme Partei wählen sollen. An diese Menschen richte ich mich, bei denen habe ich noch viel Hoffnung, dass man sie erreichen kann.

Die Vergangenheit hat gezeigt, dass es klappen kann. Wenn die AfD weiter mit Korruption, radikalen Forderungen und Morddrohungen auffällt, könnte das irgendwann zu viel werden und die Leute denken: »Nein, das wollen wir vielleicht doch nicht.« Es ist auch herausgekommen, dass bei der letzten Europawahl viele junge Menschen die AfD gewählt haben. Das liegt daran, dass die AfD medial, besonders im Videobereich über Reels, YouTube und TikTok, viel erfolgreicher ist als andere Parteien.

Das tut weh, wenn man sieht, dass man die Jugend so verliert. Früher hat man sich damit gebrüstet, dass die Jugend bei »Fridays for Future« aktiv ist und demokratische Ziele verfolgt. Aber das ist mittlerweile nicht mehr so. Viele sehen die AfD als Protestpartei mit coolen Sprüchen, und Björn Höcke kommt mit Sonnenbrille zum Sommerfest. Aber dass die Partei krass radikal und menschenverachtend ist und die Demokratie abschaffen will, das muss klar gesagt werden.


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3 Kommentar(e)

Christel Wagner 05.08.2024 | um 16:37 Uhr

Tolle Idee und noch besser ist die Durchführung!!!

Ingo L. 15.08.2024 | um 12:18 Uhr

Magazine wie Katapult und vor allem steuergeldfinanzierte Vereine gegen rechts sind ein Grund für das Erstarken der AFD. Cancel Culture kommt nicht gut an beim Wähler. Vor allem nicht im Osten wo '89 für das Recht auf freie Meinungsäußerung auf die Straße gegangen wurde.

Likiam 15.08.2024 | um 15:15 Uhr

Super Aktion!! Vielleicht bemisst sich die Antwort auf die Frage aus dem Publikum nicht in der Prozentzahl der AfD, sondern daran dass man immer weiter Empowerment und Support an jene gibt, die sich für die Demokratie einsetzen. Dass man den Blick dorthin wendet, wo eben gutes getan wird und man ganz praktisch Safe Spaces, integrative Strukturen, Orte zur Entfaltung für alle Menschen schafft. Für jede:r einzelne Person, die davon profitiert lohnt es sich weiterzumachen. Vielleicht kann der Kreuzer ja mal all die guten Initiativen im sächschichen Lande vorstellen? Solidarität und Verbundheit zeigen...