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Spiel

Echte Menschen, echte Entscheidungen

Zwei Serious Games machen guten Schulstoff aus der Weimarer Republik

  Echte Menschen, echte Entscheidungen | Zwei Serious Games machen guten Schulstoff aus der Weimarer Republik  Foto: Screenshot aus »Mission 1929«/Copyright: Pfeffermind

Auf dem Schreibtisch herrscht Stau. Das war vor hundert Jahren nicht anders. Friedrich Ebert, erster Reichspräsident der Weimarer Republik, ist dem Ideal der Inbox Zero nie besonders nahegekommen. Das ist eine wesentliche Erkenntnis des Serious Games »Friedrich Ebert – Der Weg zur Demokratie«. Das ganze Spiel dreht sich um den Blick auf seine Tischplatte, auf der stets mehr Briefe eintreffen, als Ebert bearbeiten kann. Schülerinnen und Schüler müssen sich taktisch klug zwischen die Stühle setzen – so wie es der echte Ebert versucht hat.

Einerseits ist das Browserspiel genau deswegen spannend; es besteht eigentlich nur aus kniffligem Abwägen, aus interessanten Entscheidungen. Es ist ein interaktives Was-wäre-wenn-Spiel mit der Geschichte, auch für Erwachsene spannend. Allerdings ist es damit weit von dem entfernt, was Leute so mit Videospielen assoziieren: Weltflucht, Action, Zerstreuung.

Ist das für Schulen nicht etwas dröge? Nur Briefe lesen und entscheiden? Martin Thiele-Schwez, Gründer und Chef des Berliner Studios Playing History, widerspricht: »Selbstverständlich können gut geschriebene Texte unterhaltsam sein«, denn sonst »würde es keine Bibliotheken geben«. Natürlich sei der Titel »kein Casual Game« und verlange eine Bereitschaft, »in die Inhalte einzutauchen«. Aber dann entstehe Spielspaß.

Das weiß er aus Erfahrung. Playing History entwickeln seit Jahren und mit einigem Erfolg Serious Games für Stiftungen, Museen und andere Institutionen. Unter anderem haben sie die Visual Novel »Herbst 89 – Auf den Straßen von Leipzig« für das Deutsche Historische Museum entwickelt. Für Thiele-Schwez gehört es zu »validem Game-Design«, dass Spiele »mit der Zielgruppe getestet« werden. Für »Friedrich Ebert« wurden Illustrationen, Sprache und Gameplay in Testläufen mit Schulklassen weiterentwickelt und hinterfragt. Das Ergebnis kommt sehr gut an, hat unter anderem den Deutschen Computerspielpreis 2024 in der Kategorie »Serious Game« gewonnen.

Eine ganz andere Perspektive nimmt »Mission 1929« ein: Zehn Jahre nach der Gründung der Weimarer Republik sieht eine Berliner Journalistin die Demokratie in Gefahr. Sie versucht, die Menschen mit Flugblättern aufzurütteln. Das eigentliche Spiel besteht auch hier aus Menüs, Text und Entscheidungen. Die Journalistin trifft sich regelmäßig mit fünf Charakteren, die verschiedene Bevölkerungs- und Interessengruppen abbilden sollen. Sie hört sich an, was die Leute bewegt, schielt ihnen auf Schachbrett oder Küchentisch und muss dann auswählen, was sie druckt.

Aus der Entfernung sind die Gemeinsamkeiten groß: Beide Spiele schauen in eine Zeit der bedrängten Demokratie. Beide richten sich an Kinder ab ungefähr 14 Jahren oder der Klassenstufe 9. Aber was sie erreichen, und wie, das ist sehr unterschiedlich. »Friedrich Ebert« erinnert stilistisch an ein Brettspiel und wirkt durch die Nähe zu dem staatstragenden Politiker einerseits etwas nüchtern; andererseits kommt es der Situation von Ebert sehr nahe. Das Unmögliche in der Suche nach tragfähigen politischen Kompromissen wird beim Spielen greifbar. »Friedrich Ebert« sensibilisiert dafür, dass Geschichte nichts Unausweichliches hat, dass sie auch anders hätte laufen können und dass sie sich über lange Zeitspannen entwickelt.

»Mission 1929« hat dagegen eine etwas plakativere Mission: Die Verteidigung der Demokratie mit Flugblättern passt in die Zeit, aber sie steht fast im Hintergrund. Spannend sind vor allem die Menschen. Das Spiel setzt auf »anschauliches audiovisuelles Material« und »nahbare Charaktere«, wie Philipp Reinartz erklärt. Er ist Gründer und Chef der Berliner Gamification-Agentur Pfeffermind, die schon seit über zehn Jahren Escape Rooms und Serious Games entwickelt. Sein Studio hat ein Spiel näher an alltäglichen Lebenswelten geschaffen. Pfeffermind will zeigen, dass in dem verstaubt wirkenden Stoff »auch nur Menschen mit Gefühlen, Ängsten und Schwächen« stecken.

Auch dieser Ansatz hat Erfolg. »Mission 1929« wurde von einer Kinderjury mit dem Goldenen Spatz ausgezeichnet. Reinartz berichtet zudem von dankbaren Lehrkräften, denen bei dem Thema endlich nicht mehr »die Hälfte einschläft«.

Damit insgesamt weniger Kinder einschlafen, wenn es um Demokratie geht, wäre es also sinnvoll, die Spiele im Unterricht auch einzusetzen. Die Hürde ist bei beiden Titeln niedrig, sie laufen gratis im Webbrowser. Doch natürlich ist auch das noch ein Problem. Die Stiftung Digitale Spielekultur hat im Herbst 2021 einen Modellversuch an Berliner Schulen gewagt und sehr unterschiedliche Spiele mit unterschiedlichen Zielsetzungen ausprobiert. Deutlich zeigte sich, dass sich auf diese Weise mehr und auch andere Kinder begeistern lassen; die Lehrkräfte waren ebenfalls überzeugt. Was der Modellversuch allerdings auch zeigt: Lehrkräfte würden gern schon in ihrer Ausbildung mehr über digitale Spiele erfahren, der Einbau des Stoffes stößt auf organisatorische Hürden und an vielen Schulen fehlt die grundlegende digitale Ausstattung. Vielleicht fordert die Rettung der Demokratie eine gewisse Eigeninitiative.

 

Friedrich Ebert – Der Weg zur Demokratie
Mit Handreichung zum Unterricht unter:
https://ebert-gedenkstaette.de/das-spiel/

Mission 1929 – Freiheit unter Druck
Mit Handreichung zum Unterricht unter:
https://www.mission1929.de/


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