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Realitätsverweigerung

Trotz Sorgen der Verwaltung wird die Bezahlkarte für Geflüchtete wohl auch in Leipzig kommen

  Realitätsverweigerung | Trotz Sorgen der Verwaltung wird die Bezahlkarte für Geflüchtete wohl auch in Leipzig kommen  Foto: Stefan Ibrahim

»Für wie blöd halten sie Menschen, die es geschafft haben, aus einer Kriegssituation nach Deutschland zu kommen?« Sven Morlok (Freibeuter) ist erholt aus dem Urlaub gekommen. Wie gewohnt steht der Fraktionschef wild gestikulierend am Pult und mimt den schwäbelnden Klassenlehrer. Der Adressat seiner Standpauke sitzt in der ersten Reihe der CDU und heißt Michael Weickert.

Der Fraktionschef der Konservativen hatte zuvor seine Meinung zur Bezahlkarte für Geflüchtete abgegeben, die auf Beschluss der Bundesregierung in allen deutschen Kommunen eingeführt werden soll. Auf die Bezahlkarten wird das Guthaben geladen, das Asylbewerberinnen und -bewerbern zusteht. In Sachsen sollen davon höchsten 50 Euro pro Monat als Bargeld abgehoben werden können, Auslandsüberweisungen sind nicht möglich. Das soll Überweisungen in die Herkunftsländer verhindern.

»In der Realität wird gesellschaftliche Teilhabe, wird Integration verhindert«, sagt Juliane Nagel (Linke). »Die Bezahlung in Sozialkaufhäusern, auf Flohmärkten oder einfach mal ein Eis fürs Kind – all das wird mit der Bezahlkarte unmöglich gemacht.« Zudem gebe es keine Belege dafür, dass Pullfaktoren ursächlich für Flucht seien: »Es gibt vielmehr Pushfaktoren, und das sind Krieg, Gewalt und Not.« Die Linke hatte einen Antrag gestellt, dass Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) in Bundes- und Landesgremien darauf hinwirken soll, dass Kommunen selbst über die Einführung der Bezahlkarte entscheiden können.

Für Weickert ist das unverständlich. Seit 2015 seien die Fragen von Migration und Flucht die bestimmenden in der Gesellschaft: »Wir sollten nicht die Augen davor verschließen, dass es viele Menschen in unserem Land und unserer Stadt gibt, die brennen darauf, die dringen darauf, dass wir Antworten geben.«

Und die Bezahlkarte sei eine davon. Weil sie den Pullfaktor der Sozialleistungen abschwäche, so Weickerts Argumentation: »Wir können nicht dauerhaft Einwanderung und Migration nach Deutschland haben bei gleichbleibenden sozialen Leistungen. Das ist finanziell nicht möglich.«

Auftritt Morlok. »Der Redebeitrag von Herrn Weickert hat gerade entlarvt, warum eigentlich diese Bezahlkarte mit der Bargeldbegrenzung eingeführt werden soll«, sagt der FDPler. »Die soll nicht eingeführt werden, um den Flüchtlingsstrom zu begrenzen. Sondern die soll eingeführt werden, um Stimmungen von Wählerinnen und Wählern in Deutschland zu beeinflussen.« Zwar gebe es durchaus Pullfaktoren, aber die Einführung einer Bezahlkarte ändere daran nichts: »Glauben Sie, Herr Weickert, das ist Diskussionsthema im Kriegsland Syrien? Glauben sie das wirklich?«

»Ich würde gern mal zu dem Antrag zurückkommen«, sagt Sozialbürgermeisterin Martina Münch (SPD), »bei aller Sympathie für vieles, was meine Vorrednerinnen und Vorredner gesagt haben.« Die Stadt sei dabei, ein System nach dem Vorbild der Social Card aus Hannover einzuführen, bei der zum Beispiel keine Begrenzung des monatlichen Abhebebetrags besteht. Allerdings werde man vom bundesweiten Prozess eingeholt. »Ich bin weisungsgebunden, diese Karte einzuführen«, sagt OBM Jung frustriert. »Sie wird vermutlich unseren Verwaltungsaufwand erhöhen, sie wird in den Kontrollmöglichkeiten schwierig werden und sie wird nicht dazu beitragen, Migration zu steuern.«

So verbleibt die Mehrheit zum Antrag der Linken wohl ein symbolischer Erfolg.


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