Für ihren Roman »Hey guten Morgen, wie geht es dir?« wurde die Autorin und Performancekünstlerin Martina Hefter kürzlich mit dem Großen Preis des Deutschen Literaturfonds und dem Literaturpreis der Stadt Wiesbaden ausgezeichnet. Mit dem kreuzer sprach sie über ihre Figuren, Sensitivity-Reading und den Trost der Literatur.
Die Namen Ihrer Figuren kommen meist aus der Mythologie, immer aber sind sie besonders und auffällig. Ihre Bedeutung wird manchmal erklärt, manchmal nicht. Sogar die nur kurz relevante Nachbarin heißt Hippolyta. Warum?
Diese Namen waren auch so eine Art Empowerment für mich selbst, weil ich oft gedacht habe beim Schreiben: Na, jetzt schreibst du gerade wie Juno Jupiter zum Zahnarzt bringt, das ist ja eigentlich so gesehen kein großer literarischer Stoff. Für Juno ist es aber ein großes Drama, und da fand ich es eben schön, Namen aus der Mythologie, die oft große Geschichten transportieren, zu nehmen. Auch die Nebenfiguren waren für mich wichtig, warum sollte ich denen dann plötzlich normale Namen geben?
Die Stimmung im Buch pendelt zwischen Euphorie und Melancholie. Mussten Sie diese Stimmungen aktiv heraufbeschwören, um schreiben zu können?
Das war schon ein bisschen so, dass ich mich immer mehr – gerade zum Ende hin – durch das Schreiben in diese Stimmung versetzt habe. Wie so eine Art Rückkopplung. Aber von Anfang an war diese Stimmung da, auch bei den ersten Entwürfen, und ich musste sie mir dann greifen.
Ihr Roman verhandelt ganz bewusst Rassismen, Privilegien und Abhängigkeiten. Sie erwähnen in Ihrer Danksagung wertschätzend das Sensitivity-Reading. Wie lief das ab?
Das hat mein Kollege Patrice Lipeb gemacht, mit ihm arbeite ich vor allem in meinen Performances zusammen. Ich habe ihm einfach immer neues Textmaterial geschickt und er hat dann drauf geschaut, ob ich mich irgendwo ungewollt rassistisch ausdrücke, vor allem wenn es um Nigeria oder Afrika und die koloniale Vergangenheit geht. Er hat schon auch einige Stellen gefunden. Ich selbst würde mich im Alltag eher nicht über Frisuren Schwarzer Menschen äußern, selbst wenn sie mir auffielen, das ist zuallererst eine Form von Zurückhaltung und nicht eine tolle Reflektiertheit von mir. Ich würde das auch nicht bei weißen Menschen tun, aber bei Schwarzen Menschen noch weniger, weil ich um diese rassistischen Fallstricke weiß. Juno aber wurde zu so einer eigenständigen Figur, dass ich das ganz impulsiv plötzlich hingeschrieben habe. Ich war aber noch nie dafür, dass man als Autor:in sagt: Das ist eine literarische Figur und die kann sagen, was sie will. Vor allem, wenn es gar nicht notwendig ist wie hier. So was habe ich einfach gestrichen. Das war ein längerer, künstlerischer Prozess, für mich war einfach die gesamte Herangehensweise wichtig, da ich als weiße privilegierte Frau schreibe, und es war gut, dass Patrice mich da unterstützt hat. Ich habe das auch in sprachlicher Hinsicht als große Bereicherung empfunden. Es ist spannend, was man unbewusst in der Sprache transportiert, obwohl man sich selbst für wachsam gehalten hat. Das kann ich nur jedem empfehlen.
Alle Figuren im Buch sind auf eine Art abhängig voneinander, und ob in Leipzig oder Nigeria, es gibt so eine Form der Gleichzeitigkeit und Gleichwertigkeit von allem. Liegt in dem Aushalten dieser subjektiven Wahrheiten der Trost des Buches?
Ich habe nicht bewusst einen tröstlichen Text geschrieben, aber unterbewusst schon. Ich habe auch selbst Trost empfunden beim Schreiben, vielleicht war das alles gekoppelt, so kitschig es auch klingen mag. Es war kein Programm, aber ich wollte das irgendwie weitergeben.
Der Begriff Care ist seit einiger Zeit zentrales Thema in gesellschaftlichen Debatten. Finden Sie, dass Literatur sich kümmern kann?
Irgendwie schon. In diesem Zusammenhang denke ich oft darüber nach, wie wir unsere Figuren gestalten könnten oder vielleicht auch sollten — wobei ich da kein Dogma aufstellen will. Ich will keine Erzählfigur haben, die auf andere herabschaut, sondern eine, die alle Figuren mit einer gewissen Empathie behandelt. Diese Figur des Bösewichts mochte ich noch nie. Ich finde schon Bücher gut, die einen verstören, zum Beispiel »Die Wand« von Marlen Haushofer. Aber auch da ist so ein großes Moment von Trost drin. Ganz oft ist das so, Literatur soll aufwühlen und verstören, aber eigentlich schafft sie das nur, wenn der Trostmoment auch dabei ist.
> Martina Hefter: Hey guten Morgen, wie geht es dir? Stuttgart: Klett-Cotta 2024. 224 S., 22 €
> 10.9. Lesung »Hey guten Morgen, wie geht es dir?«, 10.9., 19.30 Uhr, Literaturhaus Leipzig
> »Soft War« von und mit Martina Hefter und Patrice Lipeb: öffentliche Probe, 14./15.9., 13–17 Uhr, Residenz in der Spinnerei, Eintritt frei (Premiere Ende 2024)