In seinem selbst entwickelten Instrument sieht Hendrik Herchenbach seine vielfältigen musikalischen und metamusikalischen Ambitionen, aber auch die Auseinandersetzung mit musikästhetischen Fragen, Musikgeschichte und Klang kulminiert. Als Erbe des Tonstudios seines Vaters hat er sich zudem schon früh mit Fragen der technischen Seite von Musik beschäftigt. Selbst musikalisch aktiv war er in Hip-Hop und Funk (u. a. Schwarzkaffee), aber auch Barockmusik (Studium des Violone), gegenwärtig spielt er mit Kalk, einem experimentellen Ensemble für poetische Klangkunst. Nicht zuletzt aus der eigenen Musikpraxis heraus sei sein Wunsch erwachsen, elektronische Instrumente so verstärken zu können, dass sie ein erweitertes Obertonspektrum bekommen – körperlicher klingen, sich besser mischen lassen und beim gemeinsamen Musizieren auch in Resonanz mit akustischen Instrumenten kommen können.
So entstand Anfang 2023 das erste handgefertigte Œil sympathique in der Cembalowerkstatt von Martin Schwabe in Leipzig (Porträt im kreuzer 3/20). Den Einstieg in die Handwerkskunst gab Herchenbachs zweijährige Ausbildung in einer Tischlerwerkstatt während der Pandemie. »Das Ding macht klanglich richtig gute Laune«, resümiert Herchenbach nun erste Reaktionen des Publikums auf seinen elektro-akustischen Resonator. Der Hybrid ist einerseits Lautsprecher, andererseits selbst akustischer Klangkörper mit sogar spielbaren Resonanzsaiten. Entwickelt für die Wiedergabe von elektronischen Klangquellen kann man sowohl elektronische Instrumente über dieses Gerät spielen als auch Aufnahmen darüber anhören.
In dem sechseckigen Holzkasten befindet sich ein Körperschallwandler, der den Resonanzboden in Schwingung versetzt. Ausgewählte Frequenzen werden zusätzlich durch die an der Oberfläche aufgezogenen, stimmbaren Resonanzsaiten verstärkt. Diese »Sympathie-Saiten« werden zum Mitschwingen angeregt und können nach Bedarf auch gespielt werden, beispielsweise mit einem Plektrum.
Der Unterschied zum Abspielen über herkömmliche Lautsprecher, die elektronische Klänge im Verhältnis eher matt und leblos erscheinen lassen, ist enorm: Der Resonanzkörper des Œil sympathique dient als nichtlineare Membran des Lautsprechers und erzeugt dadurch einen körperlichen, obertonreichen Klang voll Holz, Charakter und Aura. Etwas, das eben oft besonders dann fehlt, wenn man versucht, elektronische mit akustischen Instrumenten kammermusikalisch zu kombinieren. »Das ist ja das Spannende: Dass elektronische Klänge körperlos sind und jetzt sozusagen einen Körper und ein Gesicht bekommen«, so Herchenbach.
Mit dem Instrument entsteht auch eine Spielwiese: »Ich wünsche mir natürlich, dass Kompositionen für das Instrument entstehen. Es gibt hier plötzlich ganz andere Themen beim Komponieren. Ich wünsche mir, dass genau dieses Feld spannend gefüllt wird«, sagt Herchenbach, der erste Aufträge an Sarvenaz Safari und Mario Cosimo Schmidt vergeben hat und eine Ausstellungsreise mit mehreren seiner Instrumente anstrebt.
Den französischen Namen Œil sympathique (sympathisches Auge) versteht Herchenbach übrigens als Hommage an Maurice Martenot, auf den er nach Fertigstellung seines Resonators in einem Blog über kuriose Musikinstrumente stieß. Martenot hat vor knapp 100 Jahren ganz Ähnliches wie jetzt Herchenbach realisiert: Der französische Musiker und Erfinder entwickelte eins der ersten elektronischen Musikinstrumente: die Ondes Martenot. Er begriff sein Instrument als Erweiterung des herkömmlichen klassischen Instrumentariums und seiner Beschränkungen. Bekannt wurde es insbesondere durch Kompositionen von Olivier Messiaen. Auch Martenot baute verschiedene spezielle Resonatoren, um das Klangfarbenspektrum zu erweitern und den elektronischen Klang zu beleben. Heute existieren nur noch sehr wenige seiner historischen Originale. Aber es gibt jetzt ein ähnliches neues Instrument aus Leipzig.
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