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Kultur

Break and Ballet

Krachend startet das Theaterfestival Euro-Scene

  Break and Ballet | Krachend startet das Theaterfestival Euro-Scene  Foto: Tom Dachs

Standspagat, zack. Downsweep, Spinning, Flamenco-Step. Im Finale gönnen sich die Kombattanten keine Pause. Sie mischen Break mit Ballett, Akrobatik mit Krumping, um im freundschaftlichen Vier-gegen-Vier-Battle miteinander anzutreten. Hochenergetisch gelingt der Auftakt der Euro-Scene, die das Spezialformat »Ubuntu Connection« in diesem Jahr an den Anfang setzte. Das war mutig, aber konsequent. Denn der Abend bildet nicht nur verschiedenste Körpersprachen ab, sondern zeigt das Verbindende der Bewegungskunst.

Doch von Anfang an: Niemand war da. Die Schaubühne stand leer. Wo sind denn alle? Mit Ach und Krach erreichte der radelnde Theaterkritiker das Schauspielhaus gerade noch rechtzeitig. So fest hatten sich Schaubühne und Spektakel in seiner Erinnerung miteinander verbunden, dass er sich keinen anderen Ort für die »Ubuntu Connection« hätte vorstellen können. Daher wunderte er sich auch strampelnd unterwegs, wie gut das Battle-Format ob der steiferen Raumsituation gelingen würde.

»Ich bin durch dich«: In den Raucherpausen offenbaren einige Zuschauende Schwierigkeiten, sich das Motto von »Ubuntu« zu merken. Das Wort bedeutet auf Zulu und Xhosa etwa »Gemeinsinn« und bezeichnet eine Lebenshaltung, wie sie in Kulturen der Subsahara verbreitet ist oder besser: verbreitet sein kann. Etwas bemüht wirken die Ethnobezüge, wenn da der große Geist Afrikas (Waka?) gegen »den« Westen eines René Descartes gestellt wird. Aber klar, Nelson Mandela zitieren geht immer. Auf das Mittel greift Raphael Moussa Hillebrand immer wieder zurück, der flott durch den Abend führt. Nachdem er sich an den Raum gewöhnt hat. Denn ihm war wohl – wie den acht Tanzenden – darunter Monica Barbotte vom Leipziger Ballett-Ensemble – vorher nicht bewusst, dass es sich um eine Arena-Situation handelt. Sie müssen den großen Saal inklusive Rang bespielen, haben aber auch Publikum auf der Hinterbühne quasi im Rücken sitzen. Das dort auch sitzen bleibt, und nicht, wie damals in der Schaubühne, auch an den Rändern stehen, mitwippen oder -tanzen kann.

So vergeht der erste Teil noch recht verspannt. Alle Acht sind in Solos zu sehen, ihr wahres Können beweisen sie dann in den semi-improvisierten kollektiven Battles. Hat etwa Anna Shvedkovas anfängliche Poledance-Nummer einen Touch zu viel von Disko und versuchter Laszivität, so beeindruckt sie hernach besonders durch akrobatische Kraftnummern am Boden. »That’s not fair«, kann Blackpearl nur noch rufen, als Shvedkova auf Schultern und Nacken gestemmt die Beine hoch im Spagat schwenkt. Dabei steckt Blackpearl selbst voller überzeugender Moves, lässt manchmal klassische Techniken durchblicken, wenn sie ihre langen Dreads durch den Raum sausen lässt. Oder eine Bodenwelle macht. Jeder der Tanzenden verdiente eine lobende Beschreibung, denn zusammen stemmen sie das Wagnis, bei dem das Publikum schließlich entflammt und sie mit stehenden Ovationen verabschiedet. Ein krachender Auftakt des Festivals, das noch bis Sonntag läuft.

Cyborgs und Aerobic: Neben der »Ubuntu Connection«, bei dem alle Künstler das gleiche Preisgeld erhalten, drängt sich »Haustrum Haustorium« dem Neugierigen auf. Die Koproduktion vom Post-Organic Bauplan mit dem Lofft und der Euro-Scene mischt Tanz mit Robotik. Eine neue Generation von Prothesen verwendet das Duo, um das Repertoire der Bewegungskunst zu erweitern. Die Tänzerin wird zum Cyborg.

Eindringlich trägt ein Chor von 21 ukrainischen, belarussischen und polnischen Frauen die Botschaft vor, dass Russland endliche den Angriffskrieg beenden müsse. Ein Stück über Gewalt und Solidarität. Gisèle Vienne, sie war 2007 mit der Puppeninszenierung »Kindertotenlieder« auf der Euro-Scene vertreten, zeigt eine Rave in Zeitlupe. »10 esercizi per nuovi virtuosismi« überträgt Jane Fondas Aerobic-Übungen auf nicht normkonforme Körper. Das ist komisch und aufschlussreich zugleich.

> Euro-Scene, bis 10.11.2024, www.euro-scene.de


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