Seit Anfang September gibt es in Leipzig einen neuen Rückzugsort für Sexarbeiterinnen: die Genesungswohnung. Dieses bundesweit einzigartige Projekt der Aidshilfe bietet ihnen eine temporäre Unterkunft ohne die üblichen Zugangshürden klassischer Frauenhäuser. Für den Fortbestand ist das Projekt jedoch auf kontinuierliche Finanzierung und Spenden angewiesen.
»Die Genesungswohnung ist aus dem Bedarf heraus entstanden und resultiert aus den Beobachtungen und Erfahrungen, die wir in den letzten Jahren in der Sexarbeit in Leipzig gemacht haben«, erklärt Jule Meglin von der Aidshilfe Leipzig. Sexarbeiterinnen in gesundheitlichen oder sozialen Notlagen können hier zur Ruhe kommen, sich sortieren und ohne Druck wieder Kraft schöpfen. Die liebevoll eingerichtete Einraumwohnung ist mit einem Bett, einer kleinen Essecke, einer modernen Küchenzeile und Duschbad mit Waschmaschine ausgestattet. Zur Entspannung gibt es einen Fernseher mit DVDs, Malbücher und Puzzle. Der genau Ort der Wohnung wird nicht bekannt gegeben, um den Schutz der Frauen zu gewährleisten.
Die Beobachtungen der Fachkräfte zeigten, dass vor allem Frauen aus dem Schengen-Raum, vorrangig Osteuropa, in Leipzig über längere Zeit als Sexarbeiterinnen arbeiten. »Sie haben hier ihren Lebensmittelpunkt, aber faktisch sind sie wohnungslos, sobald sie ihrer Arbeit nicht mehr nachgehen können«, so Meglin. Die Schutzwohnung steht deshalb für Sexarbeiterinnen ohne festen oder gesicherten Wohnraum offen, die nicht die Voraussetzungen für eine Unterbringung in ein Frauenschutzhaus oder in der Schutzwohnung der sächsischen Fachberatungsstelle für Betroffene von Menschenhandel Kobranet erfüllen. Für die dortige Unterbringung müssen die Sexarbeiterinnen entweder einen Wohnsitz in Deutschland haben oder akut von Gewalt bedroht oder betroffen sein.
Die Bedingungen für die Wohnung der Aidshilfe sind offener. Als Genesung werden dabei Zeiträume betrachtet, in denen Sexarbeiterinnen aus gesundheitlichen Gründen noch nicht wieder ihrer selbstständigen Tätigkeit nachgehen können, beispielsweise nach ambulanten Eingriffen oder stationären Aufenthalten. Dazu zählen aber auch psychisch belastende Situationen, beispielsweise nach Schwangerschaftsabbrüchen. »Es ist völlig in Ordnung, wenn Personen die Wohnung nutzen wollen, um für sich einfach mal ein, zwei Wochen zur Ruhe zu kommen, sich zu sortieren«, betont Meglin.
Flexible Aufenthaltsdauer und das Konzept des Clearings
Die Dauer des Aufenthalts in der Wohnung ist nicht begrenzt, sondern wird individuell angepasst. Damit möglichst viele Frauen diese Möglichkeit aussschöpfen können, konzentriert sich der Verein auf »das Clearing der Problemlage«. Dabei wird die persönliche Situation der jeweiligen Frau analysiert und es werden eventuell weitere Hilfsangebote gemacht. Die Fachkräfte versuchen dabei, einen Überblick über die Lebenslage der Frauen zu bekommen und zu prüfen, welche Schritte ihnen helfen könnten. Dies kann die Unterstützung bei der Krankenversicherung, finanzieller Absicherung, beruflicher Veränderung oder Wohnungssuche umfassen. Dabei steht die Selbstbestimmung der Frauen im Vordergrund: Sie selbst entscheiden, was sie verändern möchten, die Fachkräfte unterstützen sie darin. So wird ein Gefühl der Selbstwirksamkeit geschaffen. »Die Frau bekommt Informationen und kommt dann selbst ins Handeln, um die eigene Situation zu bewältigen«. Die Betreuung durch die Fachkräfte ist aufklärend und begleitend, jedoch ohne eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung. Deshalb wird vorausgesetzt, dass die Frauen psychisch stabil genug sind, um eigenständig in der Wohnung zu leben.
Finanzierung für nächstes Jahr noch unklar
Die finanzielle Unsicherheit stellt für die Aidshilfe momentan eine große Herausforderung dar. Derzeit wird das Projekt durch das Gesundheitsamt unterstützt. »Aber wir wissen nicht, wie es ab Januar weitergeht«, so Meglin. So kommt üblicherweise die schriftliche Zusage über die Förderhöhe im ersten oder zweiten Quartal des neuen Jahres, durch die Wahlen verzögern sich die Förderbescheide für nächstes Jahr zusätzlich – es muss also rückfinanziert werden. »Und dadurch, dass wir auch nicht wissen, in welcher Höhe wir weiterfinanziert werden, sind wir auf Spenden angewiesen«, erzählt Meglin.
Die Genesungswohnung füllt eine Lücke im Hilfesystem und leistet einen wichtigen Beitrag zur psychosozialen Versorgung vulnerabler Gruppen. »Es ist ganz wichtig, dass solche Schutzorte gesichert und ausgebaut werden, und auch bekannt ist, dass es sie gibt und dass es sie braucht«, fasst Meglin zusammen.
> Spendenkonto: aidshilfe leipzig eV, IBAN: DE13 3702 0500 0003 5305 04, Bank für Sozialwirtschaft