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Stadtleben

»Das Haus ist ein kleines Dorf«

Im Leipziger Osten kämpft eine Hausgemeinschaft erfolgreich gegen den Verlust ihres Zuhauses

  »Das Haus ist ein kleines Dorf« | Im Leipziger Osten kämpft eine Hausgemeinschaft erfolgreich gegen den Verlust ihres Zuhauses  Foto: Frauguste

Als die Bewohnerinnen und Bewohner des Hauses Ecke Augusten- und Frommannstraße 2020 vom geplanten Verkauf ihres Hauses erfahren, ist der Ernst der Lage schnell klar. Die Sorgen vor erhöhten Mietpreisen, Verdrängung und somit einem möglichen Verlust der eigenen Wohnung wecken Existenzängste. Einfach abwarten kommt nicht in Frage, und so gründet die Hausgemeinschaft 2021 die Initiative Frauguste – mit dem Ziel, dort wohnen zu bleiben. Denn was hier auf dem Spiel steht, ist weit mehr als nur Wohnraum.

In dem geschichtsträchtigen Haus im Leipziger Osten leben 15 Mietparteien. Hier kennt man sich, über die Jahre sind Freundschaften entstanden. Familien leben über mehrere Wohnungen verteilt, manche Kinder feiern gemeinsam Jugendweihe. »Das Haus ist ein kleines Dorf«, sagt Luise, die selbst mit ihren Kindern im Haus wohnt und in der Initiative mitwirkt. Die enge Verbundenheit untereinander und mit dem Haus ist ausschlaggebend für das Projekt Frauguste.

Grundvoraussetzung: Ein langer Atem

Das Kollektiv lässt sich vom Netzwerk Leipziger Freiheit, einer Anlaufstelle für Wohnprojektinitiativen, beraten, und entscheidet, das Haus gemeinschaftlich über die Genossenschaft Sowo Leipzig kaufen zu lassen. Zunächst sucht die Hausgemeinschaft noch den persönlichen Kontakt zu den Erbinnen und Erben, um ein Kaufangebot zu unterbreiten. »Wir wollten ihnen klar machen, dass wir auch nur Menschen sind«, erzählt Gregor. Doch die Tatsache, dass es sich um eine ungeteilte Erbengemeinschaft handelt, bei der Entscheidungen nur im Konsens getroffen werden, erweist sich als Nachteil. Mit Ausnahme eines Erbens, der selbst im Haus lebt, reagieren die anderen abweisend: Die Kontaktversuche bleiben erfolglos, die Kaufangebote unbeantwortet. Erst nach Jahren und mehreren Anläufen, stimmt die Erbengemeinschaft schließlich im Herbst 2024 dem Verkauf an die Genossenschaft zu.

Den Bewohnerinnen und Bewohnern verlangt die Finanzierung des Hauskaufes einiges ab. Eine freiwillige Mieterhöhung ist nötig, um das Haus dem Immobilienmarkt zu entziehen. Sie bildet die Grundlage für den Finanzierungsplan der kommenden Jahre, mit ihr sollen Bankkredit und Sanierungskosten gedeckt werden. Ausgehend von einem durchschnittlichen Quadratmeterpreis von 3,75 Euro muss jede Mietpartei nun ihre »Schmerzmiete« nennen. »Das Hin und Her um eine tragfähige Miete wurde für die Hausgemeinschaft zur Zerreißprobe«, erzählt Luise. Heute liegt der Mietdurchschnitt kalt bei knapp sieben Euro pro Quadratmeter. Für manche eine Verdopplung der bisherigen Miete – und

Luise/Pauline Fell
Kämpfte für ihren Wohnraum: Luise.

das freiwillig.

Um den Jahreswechsel übernimmt die Sowo schließlich erfolgreich das Haus. Es gehöre nun zwar der Genossenschaft, aber immerhin handle es sich dabei um die Wunsch-Genossenschaft, so Gregor. Als Mitglieder gestalten die Bewohnerinnen und Bewohner ihr Zuhause gemeinsam mit. »Wir haben der Sowo viel zu verdanken.«

Hilfreich für die Finanzierung ist auch die 247.000 Euro hohe Ankaufsförderung durch die Stadt Leipzig; die erste ihrer Art. Die Förderung ist an drei Sozialwohnungen in dem Gebäude gebunden, die bei Neubezug 25 Jahre lang Menschen mit Wohnberechtigungsschein vorbehalten sind. Der maximale Quadratmeterpreis von 6,50 Euro muss zukünftig von der Hausgemeinschaft mitgetragen werden.

Nun liegt es an Frauguste, das nötige Eigenkapital für den Bankkredit der Sowo aufzubringen – eine Voraussetzung für den Kauf durch die Genossenschaft. Ein Großteil der insgesamt 360.000 Euro ist bereits zusammengekommen, doch durchfinanziert ist das Projekt noch nicht. Das Geld stammt ausschließlich von Privatpersonen, entweder als Anteilskauf an der Genossenschaft oder als nachrangiges Darlehen. Die Unterstützung sei dabei kaum vom Kontostand abhängig. »Manche sind super idealistisch und geben viel – andere haben zweihunderttausend Euro und finden‘s zu riskant«, so Luise. Das Eigenkapital muss über 30 Jahre, der Laufzeit des Kredits, erhalten bleiben. Die Zinsen auf den Kredit sind nur für zehn Jahre festgelegt, danach sind die Zinsentwicklungen unsicher. Ein Ende ist erstmal nicht in Sicht.

Eine Schicksalsgemeinschaft schließt sich zusammen

Anfangs sei es nicht so leicht gewesen, alle Leute an Bord zu holen. Doch der Druck war groß. »Wir haben schon ziemlich schnell verstanden, dass wir eine Schicksalsgemeinschaft sind«, erzählt Gregor, ebenfalls ein engagierter Mitstreiter im Hausprojekt. Bei dem angespannten Immobilienmarkt sei es für kaum jemanden eine Möglichkeit gewesen, einfach auszuzuziehen. »Einig waren wir uns alle: Wir haben keine andere Chance, als das selbst in die Hand zu nehmen.«

Als Kollektiv zu agieren, sei nicht immer einfach. In den wöchentlich stattfindenden Plena sind theoretisch alle stimmberechtigt. Doch in dringenden Situationen mussten Entscheidungen auch mal von kleineren Gruppen getroffen werden, erläutert Gregor. »Wir haben unsere demokratischen Prozesse eben immer der Notwendigkeit der Situation angepasst.« Wie so oft gebe es auch in der Frauguste ein paar wenige »Zugpferde«, die den Rest mit sich zögen. Problematisch finden Gregor und Luise das nicht, bei so einer großen Hausgemeinschaft sei das normal. Letztendlich unterstützten alle die Initiative, sei es mit Zeit, Energie, oder 50 Euro für die nächste Veranstaltung. »Verstanden haben alle, dass es jetzt an uns liegt«, betont Luise.

Doch: »So ein Hausprojekt ist nichts für jedermann«, betont Gregor. »Man muss bereit sein, sich einzubringen und Kompromisse einzugehen. Wenn jemand nur seine Ruhe haben will, der ist da fehl am Platz.«

Ein kleiner Ort mit großer Strahlkraft

Die Initiative Frauguste ist ein Paradebeispiel dafür, wie ein Haus in gemeinschaftliches Eigentum umgewandelt werden kann. Luise betont jedoch, dass ihnen einige Zufälle in die Hände spielten. Zentral ist der zeitliche Vorsprung: Ohne das frühe Wissen über den bevorstehenden Verkauf hätte die Hausgemeinschaft keine Chance gehabt. »Unsere Ressource war nicht Geld, sondern Zeit.« Außerdem leben hier keine Studi-WGs, sondern Familien, die länger an einem Ort leben wollen und langfristig planen. »Die Zeit und Energie, die ein Projekt wie Frauguste braucht, bringt nur auf, wer wirklich bleiben will«, bekräftigt Gregor.

Angesichts steigender Mieten sei klar: Der Wert eines Hauses hänge immer davon ab, was drumherum passiere, so Luise. »Hier im Osten musst du beim Laufen inzwischen aufpassen, dass dir nicht die Fußsohlen saniert werden.« Und weil Frauguste selbst vom Austausch mit anderen Hausprojekten profitiert hat, gibt die Gruppe nun ihre Erfahrungen weiter. »Unsere Geschichte könnte für andere eine Ermutigung sein«, vermutet Gregor. »Wir machen das für uns selbst, für unsere Familien. Aber am Ende hat es auch eine lokalpolitische Dimension.« »Wir als Gesellschaft haben verlernt, dass gemeinschaftliches Leben nur funktioniert, wenn wir uns beteiligen – auch über die eigene Familie hinaus«, sagt Luise.

 

> Mehr zum Projekt gibt es hier

> »Vergemeinschaftung in der Krise: Praxisbeispiel von Frauguste und Sowo«, 10.5.,  16–22 Uhr, Eckhaus Frommannstr. 11/Augustenstr. 3. Im Rahmen der European Action Week statt. Mehr Infos dazu gibt es hier


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2 Kommentar(e)

Carsten Angermann 27.04.2025 | um 00:42 Uhr

Wieso schreiben Sie 3,75€ und 25 Euro? Würden Sie auch schreiben 25 Watt und 25W? Und 25 Prozent und 25%? Wieso schreiben Sie nicht 25Euro? Naja, Sie schreiben ja auch Email, wenn Sie eine E-Mail-Adresse meinen. Gibt Töpfe mit Email. Sagen Sie auch: Gib mir deinen Anruf, wenn Sie die Telefonnummer von einer Person haben wollen? Oder wenn Sie was bestellen, das als Päckchen zu Ihnen nach Hause gesendet werden soll, geben Sie dann Ihren Post an, nicht etwa Ihre Adresse oder Anschrift?

Heidi 03.05.2025 | um 13:22 Uhr

Eine Sanierung im Sinne einer Instandhaltung an zeitgemäße ökologische Anforderungen an Gebäude muss nichts schlechtes sein ! <4€ Miete ist Wolkenkuckucksheim. Das muss auch ein Bewohner im Osten verstehen. Außer der Zustand des Hause ist so schlecht, dass ein solch niedriger Mietpreis gerecht fertigt ist. Wahrscheinlich leben die Familien auf viel zu großen Flächen, weshalb sie das komfortable Haus nicht aufgeben wollen. Die Allgemeinheit hat gleiche Themen weshalb sollten diese Leipziger davon verschont bleiben? Die Stadt Leipzig ist insgesamt nicht in der Lage, den Markt zu steuern fùr ein Gemeinwohl. Was ist schon „gemein“ ? “Bei dem angespannten Immobilienmarkt sei es für kaum jemanden eine Möglichkeit gewesen, einfach auszuzuziehen.” Witzig, absolut amüsantes Resumee!