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Stadtleben

»Das Ziel ist die komplette Auslöschung der tibetischen Kultur«

Am 10. März weht vor der Neuen Rathaus die Tibetflagge

  »Das Ziel ist die komplette Auslöschung der tibetischen Kultur« | Am 10. März weht vor der Neuen Rathaus die Tibetflagge  Foto: Christiane Gundlach

Heute wird einen Tag die Tibetflagge am Leipziger Rathaus wehen. Die Region im Südwesten Chinas steht seit Mitte der Fünfziger unter der Kontrolle der chinesischen Regierung. Immer wieder gibt es Berichte über Menschenrechtsverletzungen. Der Dalai Lama, religiöses Oberhaupt des tibetischen Buddhismus, lebt seit 1959 im Exil. Dass heute in vielen deutschen Kommunen die Tibetflagge weht, liegt am Engagement des Vereins Tibetinitiative Deutschland. Philipp Rumsch ist Sprecher der Leipziger Regionalgruppe und spricht im Interview über die Idee hinter der Aktion, die aktuelle Situation in Tibet und die Möglichkeiten der Unterstützung aus dem Ausland.

In vielen deutschen Kommunen werden heute Tibetflaggen gehisst – auch in Leipzig. Was bringt dieses Zeichen?

Es soll vor allem Aufmerksamkeit auf das Thema lenken. Das Datum erinnert an den Aufstand der Tibeter:innen 1959 in der Hauptstadt Lhasa, der von der chinesischen Volksbefreiungsarmee blutig niedergeschlagen wurde. Die Stadt Leipzig ist wirklich sehr unterstützend – trotz der chinesischen Partnerstadt wird jedes Jahr die tibetische Flagge vor dem Rathaus gehisst. Das ist leider keine Selbstverständlichkeit, viele Kommunen wollen selbst diese kleine Geste nicht durchführen, weil sie ihre Partnerstädte in China nicht verärgern wollen.

 

Die Aktion wurde von der Tibetinitiative Deutschland ins Leben gerufen. Für was steht der Verein?

Im Kern setzt sich die Tibetinitiative für das Selbstbestimmungsrecht der Tibeter:innen ein. Sie wurde 1989 von Exiltibeter:innen und deutschen Aktivist:innen gegründet. Es gibt eine Geschäftsstelle in Berlin, die vor allem Kampagnen ausarbeitet, politische Arbeit macht und sich mit anderen Menschenrechtsgruppen vernetzt. Dann gibt es die Regionalgruppen. Dort werden dann vor allem vor Ort Aktionen durchgeführt, wir haben letztes Jahr zum Beispiel einen Filmabend und eine Podiumsdiskussion veranstaltet.


Warum setzt sich der Verein für das Selbstbestimmungsrecht der Menschen in Tibet ein?

Nach der Machtergreifung der Kommunistischen Partei in China wurde Tibet in den Fünfzigerjahren annektiert. Angeblich, um das Land vom Feudalismus zu befreien – so ist zumindest die offizielle Begründung durch China. Seitdem ist Tibet Teil von China und alle Bestrebungen, wieder unabhängig oder zumindest autonom zu werden, werden aktiv verhindert. Das geht so weit, dass die Menschen ihre Kultur und Religion nicht ausüben dürfen, in Schulen darf kein Tibetisch mehr gesprochen werden. Ich war 2018 zu Besuch in Tibet und es ist wirklich wie in einem schlechten Film: Man kann nicht frei über Politik reden und überall sind Überwachungskameras.


Was möchte China damit bezwecken?

Das Ziel ist die komplette Auslöschung der tibetischen Kultur. Der Grund ist vermutlich auch der Ressourcenreichtum der Region. Viele der großen asiatischen Flüsse entspringen im tibetischen Hochland, es gibt viele Bodenschätze. Das ist für die chinesische Regierung natürlich attraktiv.


Warum äußern sich auch Tibeterinnen und Tibeter im Ausland kaum zu den Zuständen?

Tibeter:innen teilen ein ähnliches Schicksal wie die Uiguren und Menschen in Hongkong: Stimmen, die sich irgendwie gegen das Vorgehen der chinesischen Regierung äußern, werden mundtot gemacht. Zum Beispiel, indem Verwandte bedroht werden, die noch in Tibet leben. Oder indem ein Einreiseverbot verhängt wird. Der stellvertretende Geschäftsführer der Tibetinitiative wurde sogar an der Einreise nach Hongkong gehindert. Es ist sogar so, dass wir uns mit unserem kleinen Instagram-Account regelmäßig mit Trollen oder komischen Nachrichten befassen müssen. Da wird ein riesiger Aufwand betrieben, um selbst diese kleinen Initiativen zu behindern.

 

Der Dalai Lama ist eine Symbolfigur für Tibet. Gerade in den Neunziger und Nullerjahren war er sehr präsent. Dieses Jahr wird er 90. In der tibetischen Gemeinschaft wird derzeit diskutiert, was sein Tod für die Bewegung bedeuten könnte. Wie schätzen Sie das ein?

Er steht immer noch für den Glauben daran, dass man diesen Konflikt gewaltfrei lösen kann. Er vertritt inzwischen einen Mittelweg, der für Tibet nur noch Autonomie und nicht komplette Unabhängigkeit fordert. Trotzdem ist er weiter ein starkes Identifikationsmerkmal für die Tibeter:innen weltweit. Wenn ein Dalai Lama stirbt, wird normalerweise nach seiner Reinkarnation gesucht und es könnte sein, dass die chinesische Regierung versucht, selbst einen Nachfolger einzusetzen.


Normalerweise wird der Dalai Lama in Kindern wiedergeboren?

Genau. Es gibt bestimmte Verfahren für die buddhistischen Mönche, ihn zu finden, wenn der alte Dalai Lama gestorben ist. Aber China hat sich schon einmal eingemischt. 1989 wurde ein sechsjähriger Junge als neuer Penchen Lama bestimmt, das ist nach dem Dalai Lama der höchste Geistliche im tibetischen Buddhismus. Dieses Kind wurde kurz nach seiner Ernennung entführt. Bis heute ist unklar, was mit ihm geschehen ist. Von China wurde ein anderes Kind als Penchen Lama eingesetzt. Wenn das bei einem neuen Dalai Lama auch passiert, könnte es wieder zu Aufständen kommen, die dann vermutlich blutig niedergeschlagen werden.


Gibt es denn eine Perspektive, dass sich die Situation in Tibet verändern wird?

Leider scheint es eher schlechter zu werden. Der tibetische Guide, der mich 2018 durch das Land geführt hat, hat erzählt, dass die Überwachung durch die neuen technischen Möglichkeiten immer schlauer und effektiver wird. Die Stellschrauben werden enger gezogen. Dazu kommt der Raubbau in der Region, der immer stärker vorangetrieben wird. Wenn sich am chinesischen Staat im Ganzen nichts ändert, wird sich auch in Tibet nichts ändern.


Wie sinnhaft ist dann das Engagement der Tibetinitiative?

Natürlich ist es nicht attraktiv, sich für eine Sache einzusetzen, bei der man weiß, dass sich erstmal nichts ändern wird. Aber es geht auch um eine grundsätzliche kritische Haltung gegenüber autoritären Staaten und den Versuch, dafür Aufmerksamkeit zu schaffen. Da steht ein Riesenapparat dahinter, der langfristige Ziele verfolgt und trotzdem werden Teile der kritischen Infrastruktur, wie kürzlich im Hamburger Hafen, an China verkauft. Wir versuchen, darauf aufmerksam zu machen, wie viel Einfluss dieser Staat auf andere Staaten hat. China und Tibet stehen ja nur beispielhaft für die Unterdrückung durch autoritäre Regime weltweit.

 

> Mehr Infos zur Tibetinitative in Leipzig gibt es auf Instagram
> Wer Interesse hat, sich bei der Initiative zu engagieren, kann sich an Philipp Rumsch (leipzig[at]tibet-initiative.de) wenden


 


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