anzeige
anzeige
Stadtleben

Es war einmal...ein günstiger Wohnheimsplatz

Nach erneuten Mieterhöhungen in Wohnheimen protestieren die Studierenden

  Es war einmal...ein günstiger Wohnheimsplatz | Nach erneuten Mieterhöhungen in Wohnheimen protestieren die Studierenden  Foto: Students against rent increase

Nach Zahlen des Statistischen Bundesamts ist ein Drittel aller Studierenden in Deutschland armutsgefährdet, als eine besondere Belastung werden dabei die hohen Miet- und Lebensmittelkosten wahrgenommen. Unerwartete Kosten können viele Studierende finanziell nicht bestreiten, berichtet der Paritätische Wohlfahrtsverband. Eben solche Kosten kommen nun auf die Bewohnerinnen und Bewohner der Leipziger Studierendenwohnheime zu: Im Februar erhöhte das Studentenwerk zum fünften Mal in drei Jahren die Miete, dieses Mal durchschnittlich um 10 Euro im Monat. Für einige Studierende bedeutet das insgesamt eine Erhöhung von 40 Euro, in seltenen Fällen sogar bis zu 60 Euro monatlich. 2020 lag die gesamtdeutsche Durchschnittsmiete eines Wohnheimsplatzes laut Statista noch bei ca. 260 Euro, mittlerweile ist sie bei über 305 Euro.

»Bei vielen ist jetzt die Grenze erreicht«, sagt Leonard, Physikstudent, der seit 2021 in einem Wohnheim lebt. Er ist Mitbegründer der studentischen Initiative Students Against Rent Increase und kennt die prekäre Lage vieler Studierender, die sich nicht nur in hoher Miete, sondern auch in der Wohnsituation an sich widerspiegelt: »Es gibt konstant Probleme in den Wohnheimen. Die Heizungen fallen aus, die Waschmaschinen gehen häufig kaputt, das Internet ist unzuverlässig.« Es kam bereits zu einem ersten Austausch zwischen der Initiative und dem Studentenwerk. Student Mischa Lauterbach war beim Gespräch mit Vertretern des Studentenwerks dabei und erzählt von geklärten Fragen und festgestellten gemeinsamen Interessen, aber auch von der Enttäuschung seitens der Studierenden: »Die Mieterhöhung wird offenbar als einziger Weg gesehen, um die eigene finanzielle Schieflage zu beheben – auf dem Rücken von uns Studis.«


Hohe Kosten auch für das Studentenwerk

Das Studentenwerk Leipzig äußert sich dazu: »Für den Betrieb und die Instandhaltung der Wohnheime sind wir selbst verantwortlich«, erzählt Michael Mohr, Sachgebietsleiter für Kommunikation, Marketing und Kultur im Studentenwerk. In den letzten Jahren seien die Baupreise drastisch angestiegen, seit 2021 um bis zu 40 Prozent. »Unsere Instandhaltungsrücklagen sind nahezu aufgebraucht«. Die Kosten für Instandhaltung und Bewirtschaftung werden auf die circa 5.200 Wohnheimplätze solidarisch aufgeteilt. So würden »die unterschiedliche Dämmung der Gebäude und damit die unterschiedlich hohen Energiekosten über alle Wohnheime ausgeglichen«. Der Solidargedanke greife aber auch an anderer Stelle: »Beispielsweise werden Wohnheimplätze für Studierende mit Beeinträchtigung oder Studierende mit Kind dadurch stärker vergünstigt«, ergänzt Mohr. »Und uns ist die Fairness gegenüber den Studierenden in den nächsten Jahren und Jahrzehnten wichtig.« Das verursache jetzt Kosten, deren Resultate man erstmal nicht sehe.  

Auch das Deutsche Studierendenwerk – der freiwillige Zusammenschluss der 57 Studenten- und Studierendenwerke Deutschlands – bezieht Stellung. Dessen Vorstandsvorsitzender Matthias Anbuhl teilt dem kreuzer auf Anfrage mit: »Die Studierendenwerke, als gemeinnützige und nicht gewinnorientierte Organisationen, haben den gesetzlichen sozialen Auftrag, die Studierenden mit bezahlbarem Wohnraum zu versorgen. Es geht gegen ihre DNA, die Studierenden mit höheren Mieten belasten zu müssen.« Entsprechend der Vorgaben des jeweiligen Bundeslandes seien Studierendenwerke aber auch dazu verpflichtet, kostendeckend zu arbeiten. Durch die gestiegenen Energiekosten seien Mieterhöhungen aus diesem Grund »leider oft unvermeidlich«.


Unterschiedliche Erwartungen

Das Studentenwerk bietet nach eigenen Angaben ein Sorglospaket an, das flexiblen Ein- und Auszug ohne Möbelschlepperei ermöglicht, Campusnähe, Hausmeisterarbeiten, Gemeinschaftsräume, bezahlbare Mieten ohne Nachzahlungen. Uneinigkeit scheint es darüber zu geben, was eine bezahlbare Miete bedeutet. Die studentische Initiative ist der Auffassung, dass gerade dann, wenn die Mietpreise im gesamten Wohnungsmarkt steigen, die Wohnheime eine günstigere Alternative bieten sollten. Das Gegenteil sei der Fall: »Es kann nicht sein, dass die Zimmer teurer werden als andere Wohnungen im gleichen Viertel«, beklagt Leonard von der studentischen Initiative. Das haben die Studierenden im Gespräch mit Anwohnerinnen und Anwohnern der umliegenden Plattenbauten herausgefunden. Zum Vergleich: In Leipzig kostet ein WG-Zimmer laut Moses Mendelsohn Institut und der Online-Plattform WG Gesucht durchschnittlich 365 Euro und ist damit teurer als der Wohnheimdurchschnitt mit 305 Euro. Neben allen Serviceleistungen, die in der Durchschnittsmiete eines Wohnheimplatzes enthalten seien, könne man die Wohnheimmiete mit der Miete in einem Mehrfamilienhaus außerdem nicht vergleichen, erklärt Mohr. Kostentreiber seien vor allem Küchen und Bäder, von denen es aufgrund der Wohnstruktur im Wohnheim mehr gäbe.

Ein weiterer Streitpunkt sind die Betriebskosten, die im Mietpreis bereits enthalten sind. Es bleibt allerdings undurchsichtig, wie sich die Betriebskosten zusammensetzen, die alle Studierenden in den Wohnheimen mit einer Solidarpauschale bezahlen. »Keine Mieterhöhung ohne detaillierte Begründung«, fordert die Initiative. »Eine Aufschlüsselung ist organisatorisch nicht möglich«, ist Mohrs Antwort darauf – zu komplex sei das Verfahren, nach welchem die Betriebskosten auf die einzelnen Mietenden aufgeteilt werden.


Wer trägt die Verantwortung für die prekäre Wohnsituation der Studierenden?

Die Position der Initiative ist deutlich: Wenn das Studentenwerk keine günstigeren Wohnungen anbieten könne, »müsste es auch ihre Aufgabe sein, mit der Politik um höhere Zuschüsse zu verhandeln«, findet Leonard. Als Anstalt öffentlichen Rechts habe das Studentenwerk zwar »nur begrenzt Möglichkeiten und Einfluss« auf die Politik, sagt Mohr, doch Gespräche fänden statt. In welchem Umfang dies geschieht, könne das Studentenwerk nicht offenlegen.

Das Studentenwerk Leipzig finanziert sich durch eigene Einnahmen, ist aber auch auf Fördermittel und Zuschüsse von Bund und Land angewiesen. Mithilfe des Bundesprogramms Junges Wohnen wurden in den letzten Jahren insgesamt um die 1.000 Wohnheimplätze in Sachsen modernisiert, davon 434 in Leipzig. Hinzu kamen Zuschüsse des Freistaats an das Studentenwerk Leipzig: Im Rahmen des Doppelhaushaltes 2021/2022 rund 11 Millionen und 2023/2024 fast 17 Millionen Euro. Das berichtet Falk Lange, Pressesprecher des Sächsischen Wissenschaftsministeriums. Doch nur ein kleiner Teil der Zuschüsse – 6,5 Millionen Euro von den 28 Millionen Euro – floss in Modernisierungsmaßnahmen der Wohnheime, erklärt Mohr. Die Mittel dienten in erster Linie »der Mitfinanzierung des laufenden Betriebs unserer zehn Mensen und Cafeterien für die preiswerte Studierendenversorgung an den Leipziger Hochschulstandorten sowie der Mitfinanzierung der entgeltfreien Beratungsangebote unserer sozialen Dienste.«

Das CDU-geführte Wissenschaftsministerium antwortet auf die Frage, wie es trotz Zuschüssen zu erneuten Mieterhöhungen der Leipziger Wohnheime kommen konnte: »Auf die Höhe der Wohnheimmieten hat der Freistaat keinen Einfluss. Durch die hohen Investitionen, die die Studentenwerke in den Wohnheimen vorgenommen haben und auch weiterhin vornehmen, erhöht sich insgesamt der Wohnkomfort, was auch zu höheren Mietpreisen führt.« Worum es sich bei »erhöhtem Wohnkomfort« genau handeln könnte, ordnet Mohr ein: Der Begriff Wohnkomfort sei irreführend, zu den Maßnahmen zählten Verbesserungen bei Brandschutz- und Hygienevorkehrungen, die Anpassung der Grundrisse an den aktuellen Studierendenbedarf und die Erneuerung von Küchen, Bädern, Möbeln und Bodenbelägen, die durch die hohe Fluktuation und damit Abnutzung erforderlich sei.

»Uns ist klargeworden, dass wir nicht darauf setzen können, die aktuelle Lage nur über einen Dialog zu regeln. Wir müssen demonstrieren, auf die Straße gehen.«

Leonard von der studentischen Initiative zieht nach dem Gespräch mit dem Studentenwerk Bilanz: »Uns ist klargeworden, dass wir nicht darauf setzen können, die aktuelle Lage nur über einen Dialog zu regeln. Wir müssen demonstrieren, auf die Straße gehen.« Die studentischen Stimmen haben nun auch landesweit an Schlagkraft gewonnen. Mit dem Hashtag »Studentenwerke retten« wirbt die Konferenz Sächsischer Studierendenschaften seit dem 20. Februar um Unterschriften für ihre Petition. Vom sächsischen Landtag und dem Wissenschaftsministerium fordert sie eine »bedarfsgerechte Zuschusserhöhung« und einen »fairen Ausgleich der Inflation« für stabile Wohnheimmieten. Zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses sind bereits über 11.000 Unterschriften eingegangen.


Kommentieren


0 Kommentar(e)