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Kultur

»Der Ruhestand ist keine schlechte Aussicht«

Arne Zank im Interview über das neue Tocotronic-Album und eine Art unfreiwilligen Neuanfang

  »Der Ruhestand ist keine schlechte Aussicht« | Arne Zank im Interview über das neue Tocotronic-Album und eine Art unfreiwilligen Neuanfang  Foto: Noel Richter

»Digital ist besser« – behaupteten drei trainingsbejackte junge Männer vor ziemlich genau 30 Jahren. Dass sie sich im Anschluss aufmachen würden, eine der wichtigsten und prägendsten Rockbands des Landes zu werden, war damals nicht unbedingt zu erwarten. Doch genau so ist es gekommen. Und die Band zeigt noch keine Anzeichen von Müdigkeit. Gerade ist ihr 14. Album erschienen: »Golden Years«, eine ausgedehnte Tour steht an. Jede Menge zu besprechen also – und das tun wir mit Tocotronic-Schlagzeuger Arne Zank (links im Bild).

Ist es beim 14. Album immer noch aufregend oder einfach Routine, wenn es veröffentlicht wird?

Das bleibt spannend. Wir haben natürlich so eine Routine, aber die ganze Musikbranche und das Umfeld hat sich ja die letzten Jahre und Jahrzehnte sehr verändert. Und man hat immer sehr unterschiedliche Phasen in unserem Beruf: Da gibt es mal ein Jahr, das eher ruhig ist, und dann macht man eben Musik oder Dirk schreibt Lieder, dann tauscht man sich darüber aus, dann fängt man an, das zu produzieren, dann nimmt man die Sachen auf, dann geht man dran, die Sachen für die Livekonzerte neu zu arrangieren und zu proben. Dadurch bleibt es spannend.
 

Was war in der Musiklandschaft und beim Vermarkten eines Albums denn vor 30 Jahren anders als heute?

Als wir angefangen haben, bei den Major-Firmen Platten zu veröffentlichen, ist man zum Beispiel noch mit dem Flugzeug rumgeflogen, nach Köln oder nach München, weil da Interviews waren. Das war sehr aufregend, aber natürlich auch völlig absurd, wenn man sich heutzutage die CO2-Bilanz von solchen Aktionen anguckt. Und ich glaube auch, das Geld wird von den Musikkonzernen einfach nicht mehr so aus dem Fenster rausgeschmissen wie damals.
 

Haben Sie damals erahnen können, dass Tocotronic 30 Jahre später nicht nur existieren, sondern auch ein 14. Album rausbringen könnte?

Nee, überhaupt nicht, das war nicht vorhersehbar. Ich hab auch vermieden, mir das vorzustellen. Ich weiß auch nicht, wenn ich mich damals so gesehen hätte, wie ich jetzt hier so lebe, ob ich das so erstrebenswert gefunden hätte. Ich bin total glücklich, so ist es nicht. Aber was man sich als junger Mensch so ausmalt, ist ja einfach anders. Wir haben das eben aus einer
Underground-Situation heraus gemacht, für uns und für einen kleinen Kreis an Vertrauten, denen wir zugetraut haben, das verstehen zu können, was wir da an seltsamen Sachen machen. Und wir waren sehr überrascht, dass es eben mehr Menschen anspricht. Und von da ab haben wir eigentlich immer nur auf den nächsten Schritt geguckt.
 

Warum hätten die jungen Tocotronics nicht so gut gefunden, wie die Band jetzt ist oder wo sie steht?

Also ich meine mich zu erinnern, dass meine Perspektive damals so war, dass ich mir’s wirklich nicht vorstellen konnte, wie so eine Indie-Rock-Band in die Jahre kommt. Wenn mir jemand damals ein Foto von heute gezeigt hätte, durch solche Technologien wie Zeitmaschine, also in einer fantastischen Vorstellung – das hätte mich, glaube ich, erschreckt.
 

Das neue Album heißt »Golden Years«. Im Angesicht der aktuellen Weltlage ein etwas verwegener Titel. Wie darf man ihn verstehen?

Was uns an dem Titel erfreut hat, war, dass er sehr offen ist. Und natürlich, den Aspekt, den du ansprichst, den kann man vielleicht sarkastisch nennen, als Kommentar auf die gegenwärtige Weltsituation. Wir haben auch versucht, das in der Album-Gestaltung und der Typografie rauszuarbeiten, dass da ein gewisser Witz drin liegt, aber auch eine Hoffnung. Denn man kann natürlich auch sagen, dass es schön wäre, wenn das »Golden Years« wären oder noch werden. Dann hat es natürlich die Komponente von so einer Art Ruhestand, auf den wir uns auf jeden Fall freuen. Also es ist noch ein bisschen zu früh, aber natürlich ist das keine schlechte Aussicht. Das hat auch mit Hoffnung zu tun, dass irgendwann noch Feierabend ist. Dann hat es noch verschiedene andere Anklänge: den gleichnamigen David-Bowie-Song oder dass unsere erste Plattenfirma L’Age d’Or – »das goldene Zeitalter« – hieß.
 

Was beim neuen Album auffällt: Die Songs und vor allem die Texte sind sehr viel direkter und weniger offen oder kryptisch, als man das von früheren Tocotronic-Alben kennt.

Das hat sich so entwickelt. Die Texte kamen bei uns immer direkt aus der Situation, in der wir waren. In den Nullerjahren hatten etwa theoretische Texte sehr viel Einfluss und haben unser Erleben und auch die Sprache geprägt. Und dann hat sich die Sprache zuletzt über so ein autobiografisches oder autofiktionales Schreiben wieder zu so einer Direktheit entwickelt. Womit man sich vielleicht unmittelbarer identifizieren kann. Das sind so Entwicklungen und auch immer wieder Abgrenzungen von sich selber. Aber es ist immer der Versuch, möglichst wahrhaftig von uns zu erzählen.
 

Rick McPhail hat die Band nach den Album-Aufnahmen fürs Erste verlassen. Wie ist das, jetzt nach 20 Jahren wieder in veränderter beziehungsweise Original-Besetzung zu spielen?

Erst mal war es sehr traurig, dass es zu so einem Abschied gekommen ist. Dann waren wir wieder zu dritt. Das ist ja eine Konstellation, die uns sehr bekannt ist. Das war auch ganz lustig zu Anfang: vertraut, aber gleichzeitig auch sehr neu und überraschend. Dann haben wir beim Zusammenspielen aber gemerkt, dass da doch jemand fehlt, und haben uns jetzt Felix Gebhard (Home of the Lame, Einstürzende Neubauten, Muff Potter, Anm. d. Red.) für die Tour dazu geholt. Live sind wir also wieder zu viert und sonst sind wir zu dritt, was irgendwie auch ein schöner Neuanfang ist.
 

> Tocotronic: 19.3., 20 Uhr, Felsenkeller – präsentiert vom kreuzer, wie auch das Zusatzkonzert am 20.9., 19 Uhr, Parkbühne


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