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Kultur

Unwiderstehlich?!

Die Kunsthalle Erfurt zeigt die Neue Niedlichkeit in der Kunst

  Unwiderstehlich?! | Die Kunsthalle Erfurt zeigt die Neue Niedlichkeit in der Kunst  Foto: Lisa Mayer

Knuffig, drollig, freundlich, hell, zart, weich – verschiedene Künste widmen sich mit entsprechenden Formen, Farben und Gestaltungsmöglichkeiten dem Niedlichen und Süßen. Dem popkulturellen Phänomen der »Cute Art« kann man sich kaum entziehen. Umso besser, dass ihr die Erfurter Kunsthalle eine Ausstellung widmet und die Vielgestaltigkeit der Neuen Niedlichkeit unter dem Titel »The Cute Escape – Empathie, Empowerment, Empfindsamkeit« zur Schau stellt. Im Gespräch mit dem kreuzer erklären die Kuratorin, Kulturhistoriker und Medienwissenschaftlerin Annekathrin Kohout wie auch der Kurator und Kunsthistoriker Philipp Schreiner, den süßen Charme:

Mit Ihrem Ausstellungstitel »The Cute Escape« beschreiben Sie das Süße und Niedliche als Sehnsuchts- und Zufluchtsorte. Ist dieser Eskapismus eher ein Akt der Selbstfürsorge oder der Verweigerung?

Philipp Schreiner: Das Besondere liegt darin, dass dieser Escape nicht in Resignation mündet, sondern neue Möglichkeitsräume eröffnet. Die in der Ausstellung gezeigten Künstlerinnen und Künstlern nutzen das Niedliche, um alternative Sichtweisen auf die Welt zu entwickeln und etablierte Hierarchien zu unterlaufen.

Würden Sie sagen, dass Cute-Art politisch ist?

Annekathrin Kohout: Absolut! Manche Künstlerinnen und Künstlern in unserer Ausstellung nutzen die niedliche Ästhetik auch als trojanisches Pferd – sie locken mit zugänglichen, ansprechenden Formen, transportieren aber politische Inhalte.

Ich verstehe Ihren Ausstellungstitel so, dass Sie sagen, der niedliche Blick oder niedliche Bilder können dazu beitragen, dass wir positive Emotionen und vielleicht sogar mehr Empathie entwickeln. Gleichzeitig ist »cute«, im Unterschied zu »beautiful«, erstmal ein völlig kunstfremdes Geschmacksurteil. Die Venus von Botticelli »cute« finden, ist ja klassischerweise ein eher banausischer Zugang zu Kunst. Macht das Phänomen der Cuteness vielleicht auch was mit unserem Verständnis von Kunst insgesamt?

Kohout: Ja, auf jeden Fall! Cute Art stellt traditionelle Kunsthierarchien infrage. Schönheit wurde historisch mit Erhabenheit, Harmonie und Distanz verbunden – Niedlichkeit hingegen ist nahbar, verspielt und oft massenkulturell. Wenn wir »cute« als ästhetische Kategorie ernst nehmen, bedeutet das, dass wir Kunst nicht mehr nur an Maßstäben von Erhabenheit oder Tiefe messen, sondern auch an Emotionalität, Körperlichkeit und Zugänglichkeit. Das verändert unser Verständnis von Kunst radikal: Es öffnet sie für neue Wahrnehmungsweisen, jenseits klassischer Hochkultur-Diskurse. Und ganz ehrlich? Ich glaube, es ist mittlerweile absolut legitim, Botticellis Venus »cute« zu finden. Ich meine, schauen wir doch mal genauer hin, diese leichte Verlegenheit der Venus, ihr vom Wind zerzaustes Haar, die herumschwirrenden Blümchen – ziemlich cute, oder?

Können Sie darauf eingehen, warum gerade Empowerment bei Cute Art eine Rolle spielt?

Kohout: Der Empowerment-Aspekt bei Cute Art ist nicht nur ein Schlagwort – er ist der heimliche Star unserer Ausstellung! Was lange als »schwach«, »kindisch« oder »trivial« abgewertet wurde, wird plötzlich zur Superpower. Ein Beispiel hierfür ist Lena Kuzmichs Werk »dddy's grl <3« in unserer Ausstellung. Die non-binäre Künstlerin transformiert bewusst Elemente der Girl Culture aus der queeren Perspektive heraus und kombiniert sie mit digitaler Ästhetik. In einer herzförmigen, rosa-dominierten Traumlandschaft mit Regenbögen, Plüschtieren und einem rosa-weiß karierten Boden liegt eine Figur mit pinken Haaren und einem Shirt, auf dem »dddy's grl <3« steht. Diese Kombination aus kindlicher Niedlichkeit, Internet-Ästhetik und subtil subversiven Elementen verkörpert perfekt, wie Cute Art zu einem Werkzeug für Empowerment werden kann. Kuzmich nutzt die vermeintliche »Harmlosigkeit« des Niedlichen, um Geschlechtsnormen zu hinterfragen und neue Identitätskonzepte zu erkunden.

Schreiner: Viele der in unserer Ausstellung vertretenen Künstler:innen verwandeln Cuteness von vermeintlich »minderen« Ausdrucksformen in kraftvolle künstlerische Statements. Diese selbstbewusste Aneignung ist Ermächtigung in Reinform. Was so besonders an diesem Ansatz ist: Er funktioniert nicht durch Anpassung an bestehende Hierarchien. Anstatt das Niedliche aufzugeben, um »ernst genommen zu werden«, beharren die Künstler:innen darauf, dass das Niedliche selbst ernst genommen werden sollte. Und vielleicht liegt gerade darin die größte Stärke: Cuteness verpackt seine Subversion in ein freundliches, zugängliches Format. Es schreit nicht »Revolution!«, sondern lächelt dich an – und verändert die Welt ganz nebenbei.


> »The Cute Escape – Empathie, Empowerment, Empfindsamkeit«, bis 18.5. in der Kunsthalle Erfurt

www.kunstmuseen.erfurt.de


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