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Kultur

»Das kapierste sowieso nicht«

Domenico Müllensiefen im Gespräch über den Weg vom Router-Installieren bei einem Schriftsteller zum selbst Schriftsteller-Werden

  »Das kapierste sowieso nicht« | Domenico Müllensiefen im Gespräch über den Weg vom Router-Installieren bei einem Schriftsteller zum selbst Schriftsteller-Werden  Foto: Christiane Gundlach

»Schnall dich an, es geht los« ist kein schlechter Name für einen Roman, der – wie sein Vorgänger »Aus unseren Feuern« von 2022 – rasant und vielschichtig von der Nachwende-Provinz und ihren Bewohnerinnen und Bewohnern erzählt. »Schnall dich an, es geht los« ist im letzten Jahr erschienen, geschrieben hat ihn Domenico Müllensiefen, der auf einem Bauernhof in der Altmark aufgewachsen ist und in Magdeburg Systemelektroniker wurde, ehe er 2006 nach Leipzig ging und schließlich Schriftsteller wurde. Im Eins-zu-Eins-Mentoringprogramm des Sächsischen Literaturrats wird der 1987 Geborene ab Mai 2025 ein Jahr lang Mentor für ein literarisches Nachwuchstalent sein. Auf der großen Pinnwand über seinem Schreibtisch ordnet sich derweil Müllensiefens dritter Roman.


Wie war das, als Sie mit 19 Jahren nach Leipzig gekommen sind?

Ich wohne heute in der Zuckerwolke Südvorstadt – und muss dafür dankbar sein, das weiß ich. In meiner Nachbarschaft gibt es nur Akademiker, nur finanziell abgesicherte Existenzen. Als ich 2006 von Magdeburg hierhergezogen bin, sah das noch anders aus, da war die Südvorstadt noch sehr connewitzig. Weniger schick, mit Graffiti und Müll, und man traf Leute in Arbeitsklamotten auf der Straße.

Haben Sie damals schon ans Schreiben gedacht?

Ja, geschrieben hatte ich immer wieder mal – aus purer Langeweile, weil ich ein paar Monate lang in einer Abteilung arbeitete (als Systemelektroniker, Anm. d. Red.), in der wir den ganzen Tag nichts zu tun hatten und an Rechnern saßen. Von diesen Texten wurde dann einer zu einem Roman – aber ans Veröffentlichen dachte ich da überhaupt nicht. Ich hatte eine Ausbildung bei der Telekom gemacht und in Leipzig gab es Arbeit. Deshalb bin ich hergezogen. Und weil ich endlich in eine Stadt wollte. Ich habe Kabel verlegt und für die Firma Fischer Haustechnik Router installiert. Ich war dafür sicher in mehreren tausend Leipziger Wohnungen, von Stötteritz bis Grünau, von Gohlis bis Lößnig, von Zschocher bis Anger-Crottendorf. Es kam mir vor, als hätte ich alle Leipziger persönlich kennengelernt. Vom feinsten Pinkel bis zum ärmsten Schlucker – alle brauchten Internet.

Klingt nicht nach dem direkten Weg ins Deutsche Literaturinstitut, wo Sie ab 2011 studiert haben.

Nein. Meine damalige Freundin las irgendwann »Das Parfum« von Patrick Süskind und als ich sie fragte, worum es da geht, winkte sie ab: »Das kapierste sowieso nicht.« Ich war der ohne Abitur, der so eine Antwort schulterzuckend hingenommen hat. Irgendwann hat sich aber eine Freundin an meinen Rechner gesetzt, um was zu googeln – und sich dabei an den Texten festgelesen, die da noch geöffnet waren. Ich hätte im Boden versinken können. Dann drehte sie sich um und sagte: »Das ist gut. Du solltest weitermachen.«

Und dann?

Ich hab auch bei Steffen Mohr in Lößnig den Router installiert. Diese Wohnung war ungewöhnlich, es gab da sehr große Regale mit sehr vielen Büchern. So dass ich mich nach seinem Beruf erkundigt habe – und er sagte, dass er Schriftsteller sei. Ich hab ihn dann tatsächlich gebeten, doch mal was von mir zu lesen und mir seine Meinung zu sagen. Ich steckte ihm ein paar Tage später so dreißig Seiten in den Briefkasten. Heute weiß ich: Das war eigentlich ziemlich dreist. Nach ein paar Tagen kam ein handschriftlicher Brief von ihm: Das wäre sehr gut, ich solle sofort veröffentlichen, mich aber mindestens beim Literaturinstitut bewerben.

Was Sie dann ja auch getan haben und was beim zweiten Mal auch erfolgreich war.

Am DLL so einen geschützten Raum für sich zu haben, ist für zweifelnde und verzweifelnde junge Schriftsteller großartig und wichtig. Aber es kommt auf jeden drauf an, was man selbst draus macht. Es gibt die, deren Bücher jetzt in zwei großen Vitrinen im Literaturinstitut stehen und den Studenten dort zeigen: Wir haben es geschafft! – Ein unglaublicher Druck für die Neuen. Es gibt die, die sich während des Studiums zu früh von Lektoren entdecken ließen und die jetzt niemand kennt. Es gibt etliche richtig gute Absolventen, die aus irgendeinem Grund nie veröffentlicht haben. Ich hab den Bachelor und den Master gemacht und bin danach Vollzeit zurück in meinen Beruf, hab mich zum Teamleiter und Bauleiter hochgearbeitet. Weil ich mir in dem Bereich sicher war: Das kann ich. Im September 2020 saß ich dann aber mit dem Verleger Gunnar Cynybulk vom Kanon-Verlag in Berlin bei Kaffee und Orangina – und er sagte zu mir, dass er »Aus unseren Feuern« machen will.

Sie haben viele Wohnungen in Leipzig gesehen. Wo sind Sie heute am liebsten in der Stadt?

Ich mag es, von meinem Büro in der Saarländer Straße am Karl-Heine-Kanal nach Plagwitz zu laufen. Ich brauch auch das Radfahren als Ausgleich, Schriftsteller ist am Ende doch ein Schreibtischjob. Ich freue mich jetzt im Frühling und Sommer auf Touren um die Seen hier, den Cospudener, den Markkleeberger, den Zwenkauer, manchmal auch zum Kulkwitzer. Oder zum Café Eisbär nach Lützen, auf dem ehemaligen Bahndamm.


> Domenico Müllensiefen: Schnall dich an, es geht los. Berlin: Kanon 2024. 352 S., 25 €


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