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Kultur

Wo ist Heimat?

  Wo ist Heimat? |   Foto: Filmstill

Das Dubnow-Institut in Leipzig existiert seit 1995 und erforscht jüdisches Leben im mittleren und östlichen Europa vom Mittelalter bis in die Gegenwart. Der Namensgeber Simon Dubnow war Historiker, der das jüdische Leben stets im Zusammenhang mit seiner nicht-jüdischen Umgebung betrachtet hat. Und weil der zweite Weltkrieg natürlich untrennbar mit der jüdischen Geschichte in Europa verbunden ist, zeigt das Institut im Mai und Juni insgesamt sechs Spiel- und Dokumentarfilme , die ganz unterschiedliche Schicksale in diesem Zusammenhang beleuchten, jeweils mit anschließenden Filmgesprächen. Den Auftakt der Reihe bildet der Spielfilm »Ich war Neunzehn« des DEFA-Regisseurs Konrad Wolf. In dem Film geht es um die letzten Tage des zweiten Weltkriegs und vor allem um die Frage, wie die selbsternannte Nation der Dichter und Denker dem Nationalsozialismus verfallen konnte.

»Ich war neunzehn«: 08.05., 18:00, Passage-Kinos (Filmreihe »Rückkehr« mit Filmgespräch)


Film der Woche: »Der Meister und Margarita« ist einer der wichtigsten russischen Romane des 20. Jahrhunderts. Geschrieben wurde er von Michail Bulgakow von 1928 bis zu seinem Tod im Jahr 1940, ein Vierteljahrhundert harrte er wegen eines Verbots der Veröffentlichung, die dann ab 1966 in verschiedenen Fassungen erfolgte. Verfilmt wurde der Stoff bereits mehrfach, allerdings noch nie so aufwändig wie in der nun vorliegenden und überraschend offen regimekritischen Version, die in Russland trotz großer Kontroversen zum Kinohit wurde. Umso erfreulicher, dass der Film nun auch bei uns zu sehen sein wird, nachdem sich westliche Adaptionen von Roman Polanski und Baz Luhrmann zerschlugen und fraglos Regiemeister wie Fedrico Fellini, Terry Gilliam und David Lynch vom dem von Goethes »Faust« inspirierten Plot beeinflusst wurden. Die Handlung spielt im Moskau der 1930er. Das Stück eines namenlosen Autors über Jesus Christus und Pontius Pilatus wird von Stalins Schergen verboten. Mit Hilfe seiner Muse und Geliebten Margarita und des Teufels höchstpersönlich schreibt der Schriftsteller danach einen satirischen, autobiografischen Roman und bald vermischen sich Realität und Fiktion. Die Handlung ist verschachtelt, fragmentarisch und kryptisch – und trotzdem ergibt sich am Ende ein großes Ganzes, dessen rauschhaftem Sog man sich auch dank der guten Darsteller, beeindruckender Technik und der dräuenden Filmmusik nur schwer entziehen kann. PETER HOCH

»Der Meister und Margarita«: ab 1.5., Passage-Kinos


»Mir doch egal, was ihr denkt, was ihr hören wollt« – so bringt Bettina Köster die Einstellung ihrer Westberliner Bands Mania D. und Malaria auf den Punkt. Ja, das war neu und dagegen, was diese Bands machten. »Es war damals einzigartig und ist es heute noch«, sagt ein Fan im Film »Einfach machen«, der »She Punks von 1977 bis heute« porträtiert. Östro 430 aus Düsseldorf sind noch dabei und Kleenex (später LiliPut) aus Zürich. Regisseur Reto Caduff lässt die Musikerinnen alle zu Wort kommen, es gibt keine Erklär-Stimme aus dem Off, nur ab und an ein paar einordnende Zeilen zu eindrucksvollen und ausgesuchten Archivaufnahmen. Und Gudrun Gut, Martina Weith und Co. haben natürlich viel zu erzählen: Von hell erleuchteten Konzerten im Ratinger Hof, von Jugendunruhen in Zürich, von einer kurzen Tour in New York, wo sie nichts zu essen hatten, weil ihnen alle immer nur Drinks ausgaben. Zudem sieht man die Musikerinnen heute wieder auf der Bühne stehen, mit neuen oder alten Projekten, teilweise nach über 30 Jahren Pause – was noch mehr Punk ist als früher schon, weil eine älter gewordene Frau immer noch mit den gängigen Erwartungen des Musikbusiness bricht. Leider dringt der ästhetisch wunderbar gemachte Film aber nicht tiefer in die Gefühlswelten seiner spannenden Protagonistinnen vor, sondern schafft es kurioserweise, dass er sich zieht, obwohl man gern noch so viel mehr erfahren hätte von der Rebellion und Selbstermächtigung der Frauen. Aber die Musik ist gut. JULIANE STREICH

»Einfach machen! She-Punks von 1977 bis heute«: ab 1.5., Passage-Kinos


»Rust« ist der Name des gesetzlosen Helden, den Alec Baldwin hier verkörpert. Der Hauptdarsteller ist auch Co-Drehbuchautor und Produzent des Films und der Wille, noch einmal einen klassischen Western für die große Leinwand und sich auch ein bisschen selbst zu inszenieren, ist spürbar. Sein Protagonist strahlt allerdings weit weniger als ein Revolverheld, wie ihn John Wayne einst verkörperte. Die Welt, die Baldwin und Regisseur Joel Souza entwerfen, ist eine zynische, erbarmungslos vor allem für einen Heranwachsenden. Der 13-jährige Lucas muss sich allein um den kleinen Bruder kümmern. Die Eltern sind tot, das Überleben der Kinder ungewiss. Weil sich Lucas mit den Falschen anlegt, wird er zum Arbeitsdienst verdonnert. Als man ihn holen kommt, löst sich ein Schuss. Ein Mann fällt vom Pferd und Lucas wird des Mordes angeklagt und zum Tod am Strang verurteilt.

In die hoffnungslose Ausgangslage fällt wenig Licht. Eine entfernte Tante bemüht sich vergeblich, Lucas frei zu bekommen. Stattdessen taucht kurz darauf eben jener Harland Rust auf, ein gesuchter Bankräuber und Mörder, dessen Name ein Schaudern durch die Bewohner der Kleinstadt jagt. Er befreit ihn aus dem Knast, wirft ihn auf den Rücken seines Pferdes und reitet mit ihm in Richtung Mexiko. Aus der für Lucas unfreiwilligen Begegnung wird so etwas wie eine Vater-Sohn-Beziehung. Beim Ritt durchs gefahrenvolle Land, vorbei an den Gebieten der Appalachen und Shoshonen, kommen die beiden sich näher. Der wortkarge Rust ist allerdings alles andere als ein glänzendes Vorbild und raubt dem Jungen jede Illusion. Kopfgeldjäger und Gesetzeshüter sind hinter ihnen her und der lange Ritt wird für die beiden zum Überlebenskampf.

So weit, so bekannt. »Rust« erfindet das Westerngenre nicht neu und wandelt auf ausgetretenen Pfaden. Parallel werden die Begegnungen der Flüchtigen und ihrer Verfolger geschnitten. Lange, ruhige Passagen werden von Shootouts unterbrochen. Die Figuren sind klischeehaft, die schauspielerischen Leistungen solide. Insbesondere Patrick Scott McDermott überzeugt als Lucas. Was »Rust« überhaupt bemerkenswert macht, ist die Bildgestaltung von Halyna Hutchins. Die endlose Weite, zerfurchte Gesichter, malerische Bergketten in Cinemascope – das schreit nach einer Leinwand. Dass »Rust« diese nun zuteil wird, liegt am tragischen Hintergrund seiner Entstehung. Bei den Dreharbeiten 2021 wurde Hutchins von einer Kugel getroffen und starb. Regisseur Souza widmete ihr nun den fertigen Film.

»Rust«: ab 1.5., Regina-Palast

Weitere Filmtermine der Woche

Neo Rauch – Gefährten und Begleiter
D 2017, Dok, R: Nicola Graef, 105 min

Doku über die Kunst des Leipziger Malers Neo Rauch.

Luru-Kino in der Spinnerei, 03.05. 15:00 (DmeU)


Du-beat-e-o
USA 1984, R: Alan Sacks, D: Joan Jett, Ray Sharkey, El Duce, Texacala Jones, Derf Scratch, 84 min

Ein wirres bis irres Dokument der L.A.-Punkszene der frühen 1980er Jahre, das sich das Fremdmaterial eines nie fertig gestellten Films vornimmt und eine Meta-Geschichte um einen dem Wahnsinn nahen Filmemacher arrangiert.

Luru-Kino in der Spinnerei, 04.05. 18:00 (Analogfilmdoppel, OmU)


Rollerbabies
USA 1976, R: Carter Stevens, D: Susan McBain, Alan Marlow, Terri Hall, 75 min

In einer dystopischen Zukunft ist Geschlechtsverkehr aufgrund von Überbevölkerung verboten. Um seine Karriere zu retten, kommt der einfallsreiche TV-Manager Sherman Frobish auf eine gewagte Idee: Er veranstaltet einen Live-TV-Wettbewerb, bei dem die Teilnehmer*innen auf Rollschuhen sexuelle Aktivitäten ausüben.

Luru-Kino in der Spinnerei, 04.05. 20:00 (Analogfilmdoppel, OF)


L‘Opera Silenziosa
D/I 1986, Dok, R: Wolf Gaudlitz, 80 min

Ein berühmter Schriftsteller und Musiker aus Genf reist aus der Schweiz nach Sizilien, um ein Buch über eines der größten Theater der Welt, das Teatro Massimo in Palermo, zu schreiben.

Schaubühne Lindenfels, 04.05. 18:30 (Retrospektive Wolf Gaudlitz)07.05. 21:00 (mit musikalischem Opening und Regiegespräch, Retrospektive Wolf Gaudlitz)


4
D/I/Ö, Dok, R: Daniel Kutschinski

Dokumentation über die Musiker des französischen Streichquartetts Quatuor Ebène. Die vier Männer sind nicht nur Kollegen, sondern auch beste Freunde. In diesem Film werden sie auf einer Italientournee begleitet.

Passage-Kinos, 05.05. 20:00 (mit Regiegespräch)


Berlin – Prenzlauer Berg
DDR 1990, Dok, R: Petra Tschörtner, 75 min

Bilder aus dem Berliner Stadtbezirk Prenzlauer Berg in der Wendezeit vor der Währungsunion: Im „Prater“ schwooft Knatter-Karl mit seiner Freundin. Frieda und Gerda im »Hackepeter« sind erschüttert; denn gleich nach dem Fall der Mauer wurde im Tierpark ein Papagei gestohlen. Die Polizei jagt bewaffnete Männer, während Näherinnen erklären, warum die Vietnamesen zuerst entlassen werden.

Stadtbüro, 06.05. 18:00 (mit Film-und Architekturgespräch mit Regisseuren, Reihe »Architektur im Film – Leipzig«)


Blinder Fleck
D 2024, Dok, R: Liz Wieskerstrauch, 80 min

Ein Blick auf die Mechanismen im Hintergrund von ritueller Gewalt.

Passage-Kinos, 08.05. 20:15 (mit Regiegespräch)


Islands
D 2025, R: Jan-Ole Gerster, D: Sam Riley, Stacy Martin, Jack Farthing, 123 min

Tom driftet durch sein Leben als Tennislehrer auf den Kanaren. Bis er in ein Familienschicksal hineingezogen wird. Das englischsprachige Debüt von Jan Ole Gerster (»Oh Boy«) wandelt auf Hitchcocks Pfaden.

Passage-Kinos, 07.05. 20:15 (Premiere mit Gästen)


Der dritte Bruder
D 2025, R: Kathrin Jahrreiß, 116 min

Der Dokumentarfilm geht dem Leben von drei sehr unterschiedlichen Brüdern nach: Einer machte bei den Nazis Karriere und behielt auch in der BRD einen hohen Status, ein anderer flüchtete in die USA und der dritte, ihr Opa, blieb nach der Ermordung seiner jüdischen Frau in Dresden, um nach dem Krieg als Anwalt einen Rechtsstaat mit aufzubauen.

Kinobar Prager Frühling, 08.05. 17:00


Der Weedtrain Der Never Ancame
D 2025, 45 min

Eine Kartoffel-Western-Mockumentary über den Untergang der Industriekultur in den quirligen Zeiten der Cannabislegalisierung.

Luru-Kino in der Spinnerei, 09.05. 21:00 (mit Vor-& Nachgespräch)


Die Büchse der Pandora
D 1929, R: Georg Wilhelm Pabst, D: Fritz Kortner, Louise Brooks, Gustav Diessl, 143 min

Freie Stummfilmbearbeitung der »Lulu«-Stücke von Frank Wedekind: die Geschichten einer jungen Frau, die drei Männern zum Verhängnis wird, ehe sie selbst einem Mörder zum Opfer fällt. Mit diesem Film festigte Pabst seinen Ruf als scharfsinniger Psychologe und als Meister des Bildes und der Montage.

Schaubühne Lindenfels, 06.05. 21:00


Ghost in the Shell 2 − Innocence
J 2004, R: Mamoru Oshii, 100 min

Der Nachfolger des modernen Cyberpunk-Klassikers »Ghost in the Shell« ist ein philosophischer, beeindruckend bebilderter Scifi-Animethriller.

Regina-Palast, 06.05. 17:00 (OmU), 19:00 (OmU), 21:00 (OmeU)
Cinestar, 06.05. 20:00 (OmU)


Ich war neunzehn
DDR 1968, R: Konrad Wolf, D: Jaecki Schwarz, Jenny Gröllmann, Wassili Liwanow, 115 min

In der Uniform eines sowjetischen Leutnants kehrt der 19-jährige Gregor Hecker im April 1945 in seine Heimat zurück. Autobiografisches Drama nach den Erinnerungen des Emigranten Konrad Wolf.

Passage-Kinos, 08.05. 18:00 (Filmreihe Rückkehr mit Filmgespräch)


Im Labyrinth des Schweigens
D 2014, R: Giulio Ricciarelli, D: Alexander Fehling, André Szymanski, Friederike Becht, 123 min

Deutschland, Ende der 50er Jahre: Im Zeichen des Wiederaufbaus sind die Nazi-Gräueltaten mit einem Schleier des Stillschweigens überzogen worden. Justizdrama über die Auschwitz-Prozesse.

Zeitgeschichtliches Forum, 05.05. 19:00 (Gegenwärtige Vergangenheit. 80 Jahre Erinnern an den Zweiten Weltkrieg)


Liebe Leben Hündin Hochzeit
A 2023, Dok, R: Xava Mikosch, Julia Polzer

Der Dokumentarfilm folgt dem gesamten Lebensweg eines Paares. Eine aufrichtige und unterhaltsame Überlegung zu Rollen, Geschlecht, Erwartungen und Perfektion. Was immer das bedeutet.

Ost-Passage-Theater, 07.05. 20:00 (mit Regiegespräch, OmeU)


Pretty Woman
USA 1990, R: Garry Marshall, D: Richard Gere, Julia Roberts, Ralph Bellamy, 119 min

Erfolgreiche Märchen-Lovestory vor schicker Hollywood-Kulisse.

Cinestar, 07.05. 19:45


Provisorium
D 2024, Dok, R: Markus Lenz

Über fünf Jahre folgt die Kamera Vicky und Yulieth, zwei jungen Frauen der FARC-Guerilla Kolumbiens.

Kinobar Prager Frühling, 03.05. 18:00 (mit Regiegespräch, OmU)


Red Heat
USA 1988, R: Walter Hill, D: Arnold Schwarzenegger, James Belushi, Peter Boyle, 106 min

Klassische Buddy-Action um einen schweigsamen Moskauer Drogenfahnder, dem bei seiner Jagd auf einen russischen Dealer in den USA ein schmieriger Quassel-Cop zur Seite gestellt wird.

Cinestar, 06.05. 19:30, Cineplex, Regina-Palast, 20:00 (Best of Cinema)


Vena
D 2024, R: Chiara Fleischhacker, D: Emma Nova, Paul Wollin, Friederike Becht, 115 min

Jenny ist drogenabhängig, ebenso wie ihr Freund Bolle. Vom dem erwartet sie ein Kind, ein weiteres hat sie bereits, das allerdings bei Jennys barscher Mutter aufwächst. Beim Jugendamt hat sie schlechte Karten, was auch ihre Chancen schmälert, das neue Baby selbst aufzuziehen.

Passage-Kinos, 05.05. 18:30 (zum internationalen Hebammentag)


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