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Stadtleben

Freiwillig Englisch und Geschichte pauken

Wurzener Jugendliche haben ein Buch über die Todesmärsche 1945 in der Region übersetzt

  Freiwillig Englisch und Geschichte pauken | Wurzener Jugendliche haben ein Buch über die Todesmärsche 1945 in der Region übersetzt  Foto: Die Übersetzungsgruppe auf der Fluchtroute im Oktober 2024/Sax-Verlag

Über Umwege ist es zu mir gekommen«, sagt Ina Adler. Bei einer Lesung in Bennewitz habe sie »der Blitz getroffen«. Sie hörte dort von neun Widerstandskämpferinnen, denen 1945 die Flucht von einem Todesmarsch in der Region gelungen ist. Bei dieser Lesung im Mai 2022 erfuhr die ehemalige Übersetzerin zudem, dass das Leben einer dieser Frauen Inhalt eines Buches ist, das aber nicht auf Deutsch vorliegt. Das wollte Ina Adler ändern – und wandte sich an die Junge Gemeinde Wurzen.

Gwen Strauss’ »The Nine« handelt von Widerstandskämpferinnen, die im April 1945 auf dem Todesmarsch von Wurzen nach Oschatz geflohen sind. Die in Frankreich lebende, 1963 geborene US-Autorin erzählt in dem Buch von ihrer Großtante, die mit acht anderen Französinnen in der Résistance gegen die Nationalsozialisten kämpfte. Nach deren Verhaftung wurden sie ins Leipziger HASAG-Lager deportiert, wo sie Zwangsarbeit für die Rüstungsindustrie leisten mussten. Davon ist im Buch eindrücklich zu lesen und natürlich von der Flucht im Wurzener Land – nun auch in der deutschen Ausgabe »Sie waren neun«.

»Für uns war es eine Ehre, am Buch mitzuwirken, weil es schon ein Bestseller war«, sagtBuchcover Helene Langer, die einen Teil des Buches übersetzt hat. In der Jungen Gemeinde hatten sie sich bereits mehrfach mit der NS-Vergangenheit beschäftigt. So sei das neue Projekt von Ina Adler willkommen gewesen, sagt Langer. Sie sei da gerade mit dem Abitur fertig gewesen und habe sich mit Lust ins kollektive Übersetzungsprojekt gestürzt. Insgesamt waren 14 junge Menschen – zwischen 17 und 21 Jahre alt – daran beteiligt. Geschichtsinteressiert sei sie immer gewesen, sagt Langer. »Mich hat überrascht, dass das hier vor Ort stattgefunden, dass es hier Zwangsarbeit gegeben hat. Das wusste ich vorher nicht.« Dadurch habe sie die Geschichte mit ganz anderen Augen betrachtet: »Das war vor der Haustür! Man kennt die Orte – das bewegt einen noch tiefer.« Die Gruppe der Jungen Gemeinde ist die Fluchtroute der neun Frauen auf einer Tour abgefahren, hat die Orte und Landschaften aufgesucht, etwa das Rapsfeld, das nun das Buchcover abbildet.

Helene Langer hat mit zwei anderen Jugendlichen die letzten beiden Kapitel übersetzt. »Ich fand es spannend zu lesen, was die Frauen aus ihren Erfahrungen gemacht haben. Es ist unglaublich, dass sie irgendwie immer noch Hoffnung hatten. Da war ein Rest Lebenskraft in ihnen und diese hat sie befreit.« Eineinhalb Jahre dauerte die Übersetzungsarbeit, auf tausend ehrenamtliche Stunden schätzt Ina Adler den Aufwand. Sie hat zusammen mit der Übersetzerin Katharina Löffler die Redaktion übernommen und mit der Autorin Gwen Strauss kommuniziert, die sie auch vor Ort an der Mulde besucht hat.

Strauss zeigt sich im Vorwort des Buches höchst dankbar über diese Zusammenarbeit, die sie zunächst überrascht habe. »Da sind wir mal ganz mutig und schreiben die an«, habe sich Adler nach eigener Aussage gedacht. Und sie bekam tatsächlich die Buchrechte und die Erlaubnis zur Übersetzung. Adler hat der Krieg immer beschäftigt – ihre Mutter wurde in Eutritzsch ausgebombt, was sie nie überwinden konnte. »Das Weiterführen der Erinnerung ist wichtig. Was Menschen Menschen antun können, darf nicht vergessen werden«, sagt Adler, die dem Altenbacher Kultur- und Heimatverein vorsitzt. Darum findet sie das intergenerationelle Arbeiten so erfüllend. Durchs Hinzuziehen von Experten haben die Herausgeber die »Qualitätssicherung hochgehängt«, sagt Adler. »Damit es nicht heißt, das könne ja nichts werden, wenn das junge Leute übersetzen. Ich finde es bemerkenswert, dass sich die Jugendlichen so viel Zeit genommen haben.«

Das ist umso erstaunlicher, wenn man hört, dass diese gar nicht an eine Publikation gedacht haben. »Wir waren ehrlich gesagt überrascht, dass das überhaupt verlegt wird«, erzählt Helene Langer. »Damit hätten wir nicht gerechnet.« Dank des Sax-Verlags liegt das Buch nun vor und hat die Chance, Jugendliche wie Erwachsene auch jenseits des Muldentals zu erreichen. 

 

>  Gwen Strauss: Sie waren neun. Übersetzt von: Milena Schneider, Nathalie Fleischer, Helene Langer, Jasmin Deckwerth, Aloisa Thiel, Mia Neustadt, Tamara Gläser, Hannes Schmahl, Helene Ernst, Ian Zschau, Noah Neustadt, Johanna Jung, Fabian Hanspach, Ina Adler und Katharina Löffler. Markkleeberg: Sax-Verlag 2025. 368 S., 24,80 €

>  Buchvorstellung mit der Übersetzungs-Projektgruppe: 7.5., 19.30 Uhr, Dom Wurzen


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