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Kultur

Das Politische liegt dazwischen

Das Theater ist keine Erziehungsanstalt zur Rettung der Demokratie – zum Glück

  Das Politische liegt dazwischen | Das Theater ist keine Erziehungsanstalt zur Rettung der Demokratie – zum Glück  Foto: Honoré Daumier, Melodrama, 1860


»Was geht mich das Theater an?«, ätzte Friedrich Nietzsche. »Was die Krämpfe seiner ›sittlichen‹ Ekstasen, an denen das Volk – und wer ist nicht ›Volk‹! – seine Genugtuung hat! Was der ganze Gebärden-Hokuspokus des Schauspielers!« – Was das Theater an sich die Leute angeht, ist vor allem im Rahmen von Förderungen Thema. Im Selbstverständnis vieler Theatermacher und -macherinnen sowie seines Publikums ist Theater vor allem politisch, ist es Vermittlungsmedium kritischer Weltanschauung. Davon gibt es zwei populäre Versionen, die beide schiefliegen, denn das Politische liegt dazwischen.

Auf Schillers Spuren insistiert eine idealistische Position auf einen Kanon des Klassikertheaters zur Veredelung des Gattungswesens Mensch. Die andere, funktionalistische Position erklärt Theater als Kritik vermittelndes Konsumgut. Beide erklären das Theater zur pädagogischen Situation, sehen im Theater die Funktion eines Korrektivs.

Der Idealist schwelgt in Veredelungsfantasien. In ästhetischer Kultivierung findet der Mensch zu Verstand und Freiheit. Das klingt hübsch und oft hübsch pathetisch. Nichts gegen L’art pour l’art, aber sie über Bande als politisch zu legitimieren, ist unzulässig. Da ist der Funktionalist ehrlicher: Das Theater soll dem Publikum als Produkt eine Gesellschaftsanalyse präsentieren und eine kritische Haltung vermitteln. Hauptsache kritisch, kritisch irgendwie.

In der Vorstellung des Theaters als Erziehungsanstalt wird ein hehres humanistisches Ziel formuliert. Dem Theater wird eine Verantwortung für die Rettung von Demokratie und Menschlichkeit angedichtet. Beide Positionen versprühen den pädagogischen Optimismus des klassischen Bildungsphantasmas: Man zeige dem Publikum nur »das Richtige« auf der Bühne und es wird zu emanzipierten Citoyens reifen. Insofern ist das idealistische Klassikertheater genauso funktionalistisch wie das funktionalistische Konsumtheater idealistisch. Beide Positionen zeigen eine Haltung, die man mit dem Philosophen Wolfgang Welsch »Input-Hermeneutik« nennen kann. Von einer dem Theater externen Perspektive werden Ansprüche an dieses herangetragen: Es soll gesellschaftskritisch und kultivierende Bildungsinstanz sein. Doch bedarf das Theater keiner externen Legitimation, ist weder Ornament noch Werkzeug.

Hier schwingt ein aufgeladenes Verständnis von Kritik mit, was natürlich auch die Theaterkritik berührt. Denn sich in Kritik zu üben, bedeutet zunächst einmal zu unterscheiden und nicht, ein faktisch Gegebenes durch ein Gefordertes zu ersetzen. Verstanden als Differenzieren, kann Kritik nicht als abgeschlossen betrachtet werden, sondern als ein Prozess, der sich fortsetzt und endgültige Entscheidungen aufschiebt.

Das ist auch der Grund, warum einst als kritisch angesehene Stücke heute nicht mehr so funktionieren; sie sind eineindeutig, versteifen sich auf vermeintlich klare Botschaften. Dabei sind das Prozesshafte und die Veränderung gerade dem Theater immanent. Uneindeutigkeit darf hier nicht nur erlaubt sein. Weil gesellschaftliche Debatten – manche nennen das schon Diskurse – heterogen sind, lässt sich das Theater nicht auf eine Position einschränken. Als künstlerischer Raum genießt es nicht unerhebliche Freiheiten.

Aus diesem Grund tut es gut daran, sich einseitigen Forderungen zu entziehen – auch jenen gut gemeinten Rufen nach Pädagogiktheater und Therapiezentrum. Theater ist Zusammenkommen und Austausch, wenn wir Glück haben. Vielleicht ist es erst einmal nur die Möglichkeit zusammenzukommen. Theater kann Bildungsanlässe setzen: Diese sind aber nicht planbar. Bildung ist die Verortung des Individuums in seinem Verhältnis zur Welt. Das hat eine objektive und eine subjektive Seite, die nicht einseitig auflösbar sind.

Nur wenn es sich nicht festschreiben lässt, kann Theater auch ein Ort der Kritik und damit politisch sein; »auch« sei hier betont. Fasst man Demokratie wirklich als die Sache der Vielen, dann kann sich eine monopolisierte Perspektive nicht als angemessen erweisen. Das Politische entfaltet sich im Widerstreit – und liegt damit immer dazwischen.

> Um Politik im Freien Theater wird sich ein gleichnamiges Festival im Oktober drehen, zu dem das Lofft, die Schaubühne Lindenfels, das Schauspiel, das Theater der Jungen Welt und der Westflügel einladen: 16.–25.10., www.bpb.de/pift2025


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