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Kultur

Disney pfeift auf Comics

Beim Konzern verschwinden Geschichten. Darüber diskutieren kann man bei der Signierstunde mit dem legendären Autor Don Rosa und im Comic-Garten

  Disney pfeift auf Comics | Beim Konzern verschwinden Geschichten. Darüber diskutieren kann man bei der Signierstunde mit dem legendären Autor Don Rosa und im Comic-Garten  Foto: Texter und Zeichner Don Rosa 2018/Matthias Zepper


»Disney pfeift auf Comics!« Das wäre eine treffende Überschrift gewesen, als das Unternehmen vor zwei Jahren bekannt gab, zahlreiche Geschichten aus Entenhausen nicht mehr zu drucken. Stattdessen schrieben Zeitungen weltweit von Zensur und wilden Auswüchsen vermeintlich politischer Korrektheit, weil Disney unter anderem rassistische Inhalte nicht mehr verbreiten will. Dass es nicht so einfach ist und der Konflikt sich eigentlich um den kulturellen Stellenwert von grafischer Literatur dreht, hat der Autor Stefan Pannor analysiert. Darüber wird man mit dem Leipziger Experten sicher im Comic-Garten am Samstag sprechen können. Dort kommen viele Künstler, Kenner und Fans kostenlos und zwanglos zusammen. Oder man fragt Don Rosa, der in einigen Wochen zum Signieren in die Comic Combo im Leipziger Süden kommt.

Debatte um Comic-Nachdruck

Als 2023 die Debatte um Disneys Eingreifen ins eigene Werk tobte, sollte Pannor ein Buch darüber schreiben. Auf halben Weg stoppte sein Verlag das Vorhaben. Übrig blieb das Fragment »Disney-Comics, Rassismus und Zensur«, das im Comic!-Jahrbuch erschien. Zu den Gründen des Sachbuchverlags ist nichts bekannt, zu Disneys Entscheidungen nur die kryptische Formulierung, dass Unternehmenswerte gegen den Nachdruck von rund 3.000 Geschichten stünden. Der kulturelle Wert von Comics kann damit nicht gemeint sein. »Die Kooperation hat kein Interesse an oder Respekt für Comics. Daher weigerten sie sich, die Angelegenheit überhaupt zu diskutieren.« In diesen Worten drückt der Autor und Zeichner Don Rosa seinen Zorn aus, einfach übergangen worden zu sein. Denn es sind insbesondere zwei seiner Geschichten, die den Kern des Skandals sichtbar machen: Disneys Desinteresse an echter Aufarbeitung.

Don Rosa ist nicht irgendwer, sondern gefeierter Texter und Zeichner, der allein zweimal mit der wichtigsten Comic-Auszeichnung, dem Eisner Award, bedacht wurde. Eigene Sammelalben-Reihen vereinen seine Storys. Einige der wichtigsten Geschichten, vor allem jene aus den jungen Jahren des Fantastilliardärs Dagobert Duck, hat Rosa erdacht. Teile seines Werks sang- und klanglos rauszustreichen, wirft tatsächlich Fragen auf. Und diese sind anders gelagert als die Debatten um Rassismus in Klassikern wie »Pippi Langstrumpf« oder »Die kleine Hexe«. Disney agiert hier nämlich selbst unsensibel.


Vergessene Kolonialismuskritik


Bei vielen der 3.000 Geschichten kann man nachvollziehen, warum sie im Giftschrank landeten. Da ist etwa der Themenbereich um den überzeichneten und idealisierten Indianerjungen Klein Adlerauge. Der ist als edler Wilder in Szene gesetzt, der trotz seines dummen und faulen Vaters tapfere Taten vollbringt. Solche exotisierenden Stereotypen muss man sicher nicht nachdrucken. Das trifft auch auf die Tierfiguren um den Hasen Br’er Rabbit zu, die einst einer rassistischen Vorstellungswelt entsprungen sind. Da kann keine vorsichtige Retusche etwas ändern.

Bei Don Rosa ist der Fall anders gelagert. Würde Disney tatsächlich etwas am Comic-Erbe liegen, hätten sie umsichtiger agiert. Denn von Rosa stehen zwei Geschichten auf dem Index, in denen eine Figur namens Bombie auftritt. Das ist ein Zombie mit schwarzer Haut, der Dagobert Duck als Rächer heimsucht. Auf den ersten Blick ist das eine mindestens unvorteilhafte Darstellung eines Schwarzen, immerhin ist er untot. Jedoch verkörpert Bombie das geschundene Land und das Leid vertriebener Menschen: Der junge Dagobert Duck riss in Afrika Land an sich; Rosa stellt ihn schonungslos als brutalen Kolonialisten dar. Und der gewiss tumbe Widergänger Bombie ist die Erinnerung an das Unrecht. Er ist Kolonialismuskritik, selbst wenn man über die Gestaltung streiten oder sie abändern mag. Ausgerechnet diese zwei für Disney in selten kritischem Ton gehaltenen Geschichten zu unterschlagen, lässt vermuten, dass die Verantwortlichen sich nicht um Inhalte scheren. Otfried Preußler tilgte noch zu Lebzeiten Diskriminierendes aus seinem Werk, um niemanden zu verletzen. Und während die Erben von Astrid Lindgren und anderen Autoren versuchen, mit behutsamen Änderungen die Werke zugänglich zu halten, »macht Disney einen Teil seines Kanons unzugänglich«, so Stefan Pannor. Der Konzern streicht Sachen einfach – ohne über Anpassungen und Änderungen überhaupt zu diskutieren.


Comics sind nicht Disneys Kerngeschäft

Nun muss man wissen, dass Disneys Image als Comic- und Cartoon-Company nicht der Realität entspricht. Auch das arbeitet Pannor in seinem Text heraus, neben vielen historischen Beispielen von äußeren Eingriffen in Disneys Werk und dessen Anbiedern an Hitler und Mussolini. Natürlich begegnen uns die Entenhausener Gesichter ständig im Alltag, bevölkern die Lustigen Taschenbücher und die Mickey Maus-Hefte die Zeitungsregale im Supermarkt. Nur stammen sie allesamt nicht von Disney. Der Konzern, der mit animierten Filmen begann und in Notzeiten aus diesen Comic-Strips machte, hat bereits vor Jahrzehnten das Comic-Geschäft aufgegeben und über Lizenzen weltweit an diverse Verlage verteilt. Diese entwickeln auf Basis von Disneys Figuren eigenständig Geschichten, an deren Verkauf der Konzern beteiligt wird; weil er die Rechte an Figuren wie Mickey und Donald behält. Nun ist das Comic-Geschäft im Vergleich zu Disneys Erlösen aus Filmen wie der Marvel-Superheldenreihe und zugehörigen Fanartikeln marginal. Sein Umsatz macht nicht einmal 0,1 Prozent von den Gesamteinnahmen aus. Folglich ist Disneys Interesse daran gering. Die Comics dienen dem Image, und das soll – verständlicherweise – nicht unter rassistischen Darstellungen leiden.

Das ist pures betriebswirtschaftliches Denken am Werk, dem egal ist, was dabei unter die Räder kommt. Das ignoriert, dass Comics auch Kulturgut sind. Eine kaufmännische Entscheidung des Verlags war es vielleicht auch, Stefan Pannors Buchvertrag zu kündigen. Das ist verständlich, wenn es rein um materielle Gewinne geht. Alle anderen werden in Pannors ausführlicher Erörterung im Comic!-Jahrbuch eine wertvolle Fundgrube erkennen und eine gute Grundlage für spannende Gespräche beim Comic-Garten in Leipzig.


> ICOM: Comic!-Jahrbuch 2024. Stuttgart 216 S., 15,25 €
> Comic-Garten, 30.8., 11–18 Uhr, Gartengaststätte Siegismund,
www.comicgarten-leipzig.de
> Signierstunde mit Don Rosa, 20.9., 12–18 Uhr, Comic Combo,
hwww.comiccombo.de


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