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Politik

Transparenz vertagt

Sachsen macht eine Kehrtwende bei der Informationsfreiheit – und Leipzig gleich mit

  Transparenz vertagt | Sachsen macht eine Kehrtwende bei der Informationsfreiheit – und Leipzig gleich mit  Foto: Marco Brás Dos Santos


Es klang nach Aufbruch: Ein modernes Transparenzgesetz sollte Sachsen an die Spitze einer Bewegung setzen, die Behörden endlich verpflichtet, Informationen von sich aus zu veröffentlichen. Ab 2026 sollte eine zentrale Plattform online gehen – ein Leuchtturmprojekt für mehr Offenheit und Bürgernähe. Doch daraus wird so schnell nichts: Die Staatsregierung plant, die Einführung um zwei Jahre zu verschieben. Offiziell geht es um Bürokratieabbau und Kostenersparnis. Doch der Eindruck drängt sich auf, dass es um mehr geht – um eine politische Kehrtwende.

Laut Gesetzentwurf würde die Plattform jährlich etwa drei Millionen Euro an Personal- und Sachaufwand verursachen, hinzu kommen Schulungen und Betriebskosten. In Summe will die Regierung mit dem Moratorium mehr als acht Millionen Euro einsparen. Dass gleichzeitig mehr individuelle Anträge eingehen werden – mit entsprechendem Mehraufwand – räumt sie selbst ein. Statt also auf einen langfristig effizienten, proaktiven Ansatz zu setzen, wählt der Freistaat den mühsamen Weg des Flickwerks: Informationen gibt es nur, wenn Bürgerinnen und Bürger einzeln nachfragen.

Leipzigs Rückzug

Für Leipzig hat die Entscheidung direkte Folgen. Die Stadt wollte mit einer eigenen Transparenzsatzung vorangehen, zog damit bundesweit Aufmerksamkeit auf sich. Nun aber bremst die Verwaltung: Kein Geld im Doppelhaushalt 2025/26, dazu rechtliche Unsicherheit durch die geplante Änderung in Dresden. Das Ergebnis: Die Ratsversammlung soll die bisherigen Beschlüsse aussetzen. Was als mutiger Schritt gedacht war, endet vorerst im Leerlauf.

Und Leipzig steht nicht allein. Kommunale Spitzenverbände wie der Sächsische Städte- und Gemeindetag und der Landkreistag betonen, dass Transparenz für sie freiwillig bleiben müsse. Die Verzögerung auf Landesebene liefert nun den willkommenen Vorwand, eigene Ambitionen einzufrieren. Aus dem Leuchtturmprojekt wird ein Signal der Passivität.

Geteilte Fronten

Politisch spaltet der Entwurf die Lager im Sächsischen Landtag, das ergibt sich aus den Stellungnahmen zum Gesetzesentwurf. Die Grünen lehnen ihn strikt ab, sprechen von einer »Rückabwicklung« und einem Rückschritt für Bürgerrechte. Auch die Linke kritisiert, dass Kosten und Aufwand längst bekannt gewesen seien – der Gesetzgeber habe sie bewusst in Kauf genommen, um Transparenz zu ermöglichen. Sachsens unabhängige Datenschutz- und Transparenzbeauftragte Juliane Hundert geht in ihrer Stellungnahme noch weiter: Der Staat vermittle den Eindruck, dass Kommunikation mit den Bürgerinnen und Bürgern lästig sei. Proaktive Veröffentlichung sei kein Luxus, sondern ein »wesentlicher Baustein für Demokratie« – und spare am Ende sogar Arbeit.

Ganz anders klingt es bei CDU und Wirtschaftsverbänden. Dort dominieren Argumente von Bürokratieabbau und Kosten, neu hinzugekommen sind sicherheitspolitische Bedenken: Man müsse prüfen, ob die Plattform nicht ausländischen Geheimdiensten in die Hände spiele. Kammern und Berufsverbände nutzen die Verschiebung, um erneut Ausnahmen von der Transparenzpflicht einzufordern. Der Rechnungshof wiederum plädiert zwar für eine Neubewertung, bezeichnet die Verschiebung aber als Schritt in die richtige Richtung.

Die Praxis spricht Bände

Abseits der Debatte im Landtag zeigt die Realität, wie schwer sich Transparenz durchsetzt. Investigativjournalist Aiko Kempen (Frag den Staat), der das Gesetz seit 2023 nutzt, berichtet von Behörden, die Anfragen mit seitenlangen Schwärzungen beantworten oder gar nicht wissen, dass es das Gesetz gibt. Manche Verfahren ziehen sich über Monate, Personal fehlt, und Ausnahmeregeln werden großzügig ausgelegt. Ob das mit der Transparenz in Sachsen funktioniere? »Die kurze Antwort lautet: Nein, gar nicht«, zieht Kempen Bilanz. Es gibt zwar Lichtblicke – etwa wenn die Polizei nach Widerspruch Einsatzprotokolle freigibt – doch sie bleiben Einzelfälle.

Ein Rückfall im Vergleich

Mit der Verschiebung droht Sachsen seine Pionierrolle zu verspielen. Hamburg, Berlin und Thüringen haben längst funktionierende Transparenzgesetze, die auf aktiver Veröffentlichung basieren. Andere Länder wie Bayern oder Niedersachsen sind Rückständler – in diese Reihe könnte sich Sachsen nun unfreiwillig einordnen. International wirkt die Fixierung auf vermeintliche Mehrkosten geradezu provinziell: Weltweit gilt »Open Government« als Standard demokratischer Modernisierung.

Mehr als ein Aufschub

Damit geht es um mehr als zwei Jahre Verzögerung. Der Streit um das Transparenzgesetz ist ein Lackmustest für das Selbstverständnis der sächsischen Verwaltung: Ist Information ein öffentliches Gut, das die Demokratie stärkt, oder ein Kostenfaktor, den man möglichst kleinhalten muss? Mit der geplanten Verschiebung beantwortet die Regierung diese Frage eindeutig – und nicht im Sinne der Transparenz.

Für Leipzig, Dresden und Chemnitz bleibt die Frage, ob das Moratorium tatsächlich nur ein Aufschub ist oder das leise Ende eines zentralen Versprechens. Sicher ist nur: Mit jedem Zögern sinkt die Glaubwürdigkeit des »gläsernen Staates«.


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