anzeige
anzeige

»Es fehlt die Transparenz«

Baubürgermeister Thomas Dienberg über das Investitionsmoratorium und dessen Einfluss auf die Entwicklung Leipzigs

  »Es fehlt die Transparenz« | Baubürgermeister Thomas Dienberg über das Investitionsmoratorium und dessen Einfluss auf die Entwicklung Leipzigs  Foto: Christiane Gundlach

Nein, ein Haus hat er noch nie besetzt. »Aber ich kann nachvollziehen, dass junge Menschen sich mit solchen Aktionen Gehör verschaffen wollen«, sagt Thomas Dienberg, seit September 2020 Leipzigs Bürgermeister und Beigeordneter für Stadtentwicklung und Bau. Anfang Oktober hat er die Zusage für 32 Millionen Euro für sozialen Wohnungsbau vom Freistaat bekommen – in der Stadt fehlen rund 1.400 Sozialwohnungen. Wir haben mit ihm über den Einfluss des Investitionsmoratoriums für die Entwicklung Leipzigs gesprochen.

Im Rahmen des Investitionsmoratoriums hat der Finanzbürgermeister auch die Wohnbauförderung auf die Streichliste gesetzt – 25 Millionen Euro bis 2029. Wie passt das mit Ihren Ambitionen zusammen?

Wohnungsbau ist sowohl unter den Krite­rien der Landesdirektion als auch unter den Kriterien, die die Stadt sich gegeben hat, eine freiwillige Aufgabe. In meinen Augen ist es natürlich keine freiwillige Aufgabe, weil Wohnen ein Grundbedürfnis ist. Beim Wohnungsbau sind wir Verpflichtungen eingegangen, haben Verträge unterzeichnet. Dazu werden wir stehen. Das wird Herr Bonew auch nicht infrage stellen. Ich habe in der nächsten Woche ein Gespräch mit ihm, nicht nur zu dieser Frage, sondern überhaupt zum Investmoratorium. Wir sind ja selber auch erst dabei, uns einen Überblick über die Liste zu verschaffen.


Sie waren nicht beteiligt bei der Ausarbeitung dieser Liste?

Nein. Ich habe Herrn Bonew um Zeit gebeten, mich darüber mit meinen Ämtern zu beraten und die Frage zu klären: Was heißt das eigentlich? Nicht nur beim Wohnen, auch bei der Mobilitätsstrategie. Wenn ich eine Maßnahme nicht mache, hängen da ganz viele andere Sachen mit dran.


Ein Kriterium ist die Förderquote von 75 Prozent.

Bei der Städtebauförderung erreichen wir die nicht, haben mit 66 Prozent aber trotzdem eine sehr hohe Förderung von Bund und Land. Wir müssen uns überlegen, wie stark wir dann qualitativ und im Umfang ein Städtebauförderprogramm zurückfahren, von dem Leipzig seit den neunziger Jahren sehr profitiert.


Das klingt, als wäre es besser gewesen, die Kriterien festzulegen, bevor es eine Streichliste gibt?

Der Finanzbürgermeister hat allen Bürgermeistern gesagt: Das ist die Liste, aber ich möchte mit euch darüber noch mal sprechen. Ich hätte mir auch eine andere Reihenfolge vorstellen können. Aber ich möchte dieses blame game gar nicht spielen. Wir sind in einer total schwierigen Situation und das Problem des Kämmerers ist uns aller Problem.


Wie würden Sie sich das weitere Verfahren jetzt wünschen?

Wir sollten uns über Einzelmaßnahmen unterhalten auf der Ebene der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, gemeinsam Prioritäten setzen und nicht durch eine starre Vorgabe eines Eckwertes Entscheidungen treffen. Natürlich muss dann wahrscheinlich jeder ein liebgewonnenes Projekt abgeben. Aber am Ende kapiert jeder, warum das so ist. Aktuell fehlt diese Transparenz. Wir haben noch Ziele. Projekte sollten nicht hinten runterfallen, weil sie gerade nicht in irgendwelche Kriterien reinpassen.


Viel Zeit haben Sie dafür nicht. Mit 2025 ist ein Haushaltsjahr schon wieder fast vorbei.

Wir haben – wegen des nicht genehmigten Haushalts – mit angezogener Handbremse dieses Jahr nicht geschafft, was wir uns vorgenommen haben. Vieles konnte nicht begonnen werden und wird daher vielleicht vorerst gar nicht kommen. In den letzten Jahren haben wir uns immer vorhalten lassen müssen: »Ihr kriegt eure Mittel nicht ausgegeben, schon wieder diese Wahnsinnsreste!« Aber wenn ich nur ein halbes Jahr zur Verfügung habe, eine Summe baulich auszugeben, die fürs gesamte Jahr vorgesehen ist, hat man natürlich einen Rest. Wie soll das denn sonst anders gehen? Das erzähle ich jedes Jahr und immer wieder kommt trotzdem von Kritikern die Beschwerde: »Ihr gebt das doch sowieso nicht aus, dann braucht ihr das auch nicht.« Das ist nur die halbe Wahrheit.


Wie ist diese Situation verglichen mit Ihrem Amtsantritt 2020?

Damals waren wir froh, dass wir ausgeglichene Haushalte hatten und aus dem Vollen schöpfen konnten. Und auf einmal kommt eine Vollbremsung, bei der ich mich frage, war das nicht abzusehen? Für die mittelfristige Finanzplanung würde ich mir mehr Ernsthaftigkeit wünschen. Im Juli 2023 war schon klar, dass die Autoindustrie Schwierigkeiten bekommt.


Welche Investitionen werden denn jetzt wegfallen?

So gern Sie jetzt eine Maßnahme hören wollen, die wir nicht machen: Ich weiß es selbst noch nicht. Ich sitze gleich mit Frau Felthaus zusammen, die durch die Schulbaustrategie quasi 90 Prozent des gesamten Investhaushaltes abfrühstückt – damit hat sie sieben andere Bürgermeister gegen sich. (lacht) Nein, wir kommen gut miteinander klar. Aber diese Abwägung, welche Projekte in der Gesamtstadt kommen müssen, ist mühsam. Ich wäre auch bereit, etwas von meinen Sachen zurückzustellen. Aber die Diskussion müssen wir erst mal führen.


Jetzt kam die Meldung, dass der Matthäikirchhof nicht gebaut wird, beim Jahr
tausendfeld überlegt die Stadtbau AG, ob sie die Schule baut oder nicht. Das sind alles Projekte, die mit Bürgerbeteiligung entstanden sind. Ist das nicht fatal?

Ich bin grundsätzlich kein Freund vom Verkaufen öffentlicher Grundstücke. Aber bei dem Grundstück vorn an der Großen Fleischergasse schlage ich das im Rahmen eines Konzeptverfahrens vor – mit einer Beschreibung, was wir dafür haben wollen, um mit diesen Einnahmen den nächsten Schritt zu finanzieren. Wir verlassen dabei mitnichten die Grundlagen des Matthäikirchhof-Codes (Ergebnis der öffentlichen Beteiligung als Baustein für die Planungs­prozesse dort, Anm. d. Red.). Der OBM hat das sehr dankbar aufgenommen und wir müssen schauen, ob wir das mit den geringen Mitteln hinbekommen. Auch Herr Bonew hat dem zugestimmt.


Wie groß ist Ihr Spielraum da noch, nach
dem das Liegenschaftsamt dieses Jahr zurück ins Wirtschaftsdezernat gewandert ist?

Da habe ich mich sehr darüber geärgert – vor allem hinsichtlich einer nachhaltigen Stadtentwicklungspolitik. Meine Sorge ist zumindest, dass durch die neue Zuordnung die Nachhaltigkeit hinten runterfällt. Darauf muss man aufpassen. Die wenigen Flächen, die noch zur Verfügung stehen, sind heiß umkämpft. Daher müssen wir mehr in Bürgerbeteiligung investieren. Mit »Leipzig weiter denken« haben wir als Verwaltung eine gute Beteiligungsplattform, mit der die Aufgabenstellungen vor Ort erarbeitet werden können.


Was passiert mit dem Kohlrabizirkus, der auch in der Olympiabewerbung mit Berlin vorgesehen ist?

Der Kohlrabizirkus ist nicht auf Olympia angewiesen, um weiter ertüchtigt zu werden. Das Nutzungskonzept, das die LEVG (Leipziger Entwicklungs- und Vermarktungsgesellschaft mbH, deren Aufsichtsratsvorsitzender Dienberg ist, Anm. d. Red.) betreut, steht langfristig. Da spielt Sport eine große Rolle – die Icefighters werden von der Nord- in die Südkuppel ziehen. Im Kellergeschoss unter der Nordkuppel befindet sich das Axxon N. und perspektivisch vielleicht auch der TV Club. Für weitere Flächen suchen wir noch Nutzer, so dass wir eine Hälfte mit öffentli­cher Nutzung füllen und die andere Hälfte mit Nutzungen, die ihren wirtschaftlichen Beitrag zu den Erträgen liefern. Ich glaube, dass wir eine gute Lösung finden. Wir ­machen jetzt schon einige wichtige Unterhaltungsmaßnahmen wie Trockenlegung in den Kellerbereichen, damit man das auch vermieten kann.


Die Cinémathèque und das Filmkunsthaus werden dort aber nicht ihren Platz finden. Warum eigentlich nicht?

Das weiß ich, ehrlich gesagt, nicht, da müssen Sie Frau Dr. Jennicke fragen. Das Filmkunsthaus hätte ich sehr gern an der Westseite vom Hauptbahnhof gehabt. Die ganze Ecke ist dort jetzt fertig. Das wäre super gewesen, in einer nicht einfachen stadträumlichen Situation.


Stichwort freiwillige Aufgaben: In der Genehmigung der Landesdirektion sind Investitionen nur für infrastrukturelle Grundversorgung vorgesehen. Sehen Sie dort mehr Spielraum als Herr
Bonew?

Das ist in der Tat nicht ganz so einfach. Infrastrukturelle Grundversorgung bedeutet in der Regel Schulen, Verkehr oder Branddirektion. Eine Stadt wie Leipzig muss aber auch Mittel für freiwillige Aufgaben haben. Am Ende ist das Gewandhaus ja auch keine infrastrukturelle Grundversorgung. Maßnahmen, die begonnen haben, werden weitergeführt, das ist klar. Für die freiwilligen Aufgaben, die wir uns leisten wollen, müssen wir Wege finden.


Kandidieren Sie noch mal als Baubürgermeister?

Meine Dienstzeit endet am 31. August 2027. Ich habe hier wirklich eine schöne Zeit und ich bin so dankbar. Leipzig ist eine tolle Stadt mit tollen Menschen. Dann ist es trotzdem gut, denn es ist schon auch anstrengend.


Kommentieren


0 Kommentar(e)