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Politik

Symptom Wurzen

Weil die sächsische CDU sich offen gegenüber der AfD zeigt, wird das Kulturraumgesetz zum rechtsextremen Einfallstor – eine Reform ist nicht in Sicht

  Symptom Wurzen | Weil die sächsische CDU sich offen gegenüber der AfD zeigt, wird das Kulturraumgesetz zum rechtsextremen Einfallstor – eine Reform ist nicht in Sicht  Foto: Maggi Geppert


Auf einmal schauten alle nach Wurzen: Im Frühjahr verwehrte der Stadtrat der nordsächsischen Kleinstadt dem Netzwerk für demokratische Kultur (NDK) eine kommunale Förderung, mit der der Demokratieverein die Möglichkeit gehabt hätte, 70.000 Euro aus dem sächsischen Kulturraumgesetz zu bekommen (s. kreuzer 4/2025) – und legte im September nach: Eine Mehrheit im Kommunalparlament verhinderte, dass der Stadt eigens fürs NDK privat gespendetes Geld an den Verein weitergeleitet wurde, durch das dieser doch noch Landesmittel hätte bekommen können. Die Brisanz liegt dabei in der Mehrheitsbildung. Denn möglich war das nur, weil CDU und AfD gemeinsam abstimmten, der von Bundes- und Landesunion offiziell verordneten Brandmauer zum Trotz. Der Fall steht damit also für mehr. Er wirft die Frage auf, wie offen die Einfallstore für rechtsextreme Politik auf kommunaler Ebene sind – und inwieweit die CDU bereit ist, diese zu schließen.

Schaut man auf die Mehrheitsverhältnisse in den sächsischen Kommunen, ist es, zugegeben, kompliziert. Überall in Sachsen konnte der gesichert rechtsextreme Landesverband der AfD bei den letzten Wahlen starke Ergebnisse einfahren. Und da die Kulturförderung zu Teilen in den Händen der sächsischen Kommunen liegt, ist sie ein Instrument, um lokale Vereine vor Ort von rechts unter Druck zu setzen. Bisher allerdings zumeist noch nicht im Alleingang. Die AfD ist auf kommunaler Ebene nach wie vor auf die Unterstützung durch andere Fraktionen angewiesen, etwa durch die CDU. Und für diese gilt eigentlich die Brandmauer und damit ein Kooperationsverbot mit der AfD. Eigentlich.

Wie eine Studie der Linkspartei-nahen Rosa-Luxemburg-Stiftung bereits Anfang 2024 zeigte, arbeiten beide Parteien regelmäßig zusammen. Gemeinsame Abstimmungen stellen dabei die häufigste Form der Kooperation in den Kommunen dar. Was die Studie aber auch zeigt: Nicht allein die CDU, sondern auch alle anderen demokratischen Parteien haben auf kommunaler Ebene schon zusammen mit der AfD abgestimmt. Aber eben doch keine so häufig wie die Union.

Witschas und die Rechtsextremen

Wie nah sich CDU und AfD auf kommunaler Ebene zuweilen stehen, wird auch an Personen deutlich. Der Bautzener CDU-Landrat Udo Witschas kokettiert dabei wie kein anderer mit seinem guten Kontakt zu den Rechtsextremen. Auf dem Account des Landratsamts Bautzen auf der Plattform Bluesky, einer Alternative zu X, stellte Witschas Ende September seine Nähe zu Karsten Hilse zur Schau, einem Landratskollegen und Bundestagsabgeordneten der AfD, der sich in der Vergangenheit menschenfeindlich geäußert hat und das heutige Deutschland gerne mit der DDR oder dem Nationalsozialismus vergleicht. Witschas posierte mit einem Bild aus seinem Büro, das die beiden Männer bei einer gemeinsamen Motorradausfahrt zeigt. Für Witschas kein Problem: Ihm zufolge gebe es im gesamten Bautzener Landrat überhaupt keine Extremisten. Das entgegnete Witschas auf Kritik an ihm im Bautzener Kreisrat. Gegenüber dem ARD-Magazin »Report Mainz« sagte Witschas, er halte die Brandmauer »angesichts der Wahlergebnisse für nicht zielführend«.

Eine kreuzer-Anfrage, wie die sächsische CDU die Aussagen von Witschas bewertet, ließ der Landesverband unbeantwortet. Christian Fischer, der Pressesprecher der CDU-Fraktion im Landtag, schrieb uns, dass es nicht die Aufgabe der Fraktion sei, »Aussagen von Landräten zu beurteilen«.

Keine Spenden fürs NDK

Dass sich Haltungen wie die von Witschas konkret auswirken, musste nun also das NDK in Wurzen erfahren. Anfang des Jahres beantragte der Verein Fördermittel aus dem sächsischen Kulturraumgesetz. Dieses besagt, dass lokale Vereine nur dann mit Landesmitteln gefördert werden können, wenn die Kommunen einen Eigenanteil zahlen. Das war bisher noch nie ein Problem für das NDK. Aber in seiner Sitzung im April lehnte der Stadtrat erstmals ab, den Eigenanteil für das NDK aufzubringen. Untypischerweise in geheimer Abstimmung – der parteilose Oberbürgermeister Marcel Buchta hatte das damals mit einer Bedrohungslage begründet, die auf eine Auseinandersetzung zwischen einem Wurzener Bürger (und Linken-Mitglied) und zwei CDU-Stadträtinnen zurückgeht. Mutmaßlich stimmten die AfD, die Wählervereinigung Bürger für Wurzen und die CDU gemeinsam ab. Die AfD betrachtet das NDK als linksextrem und nicht förderungswürdig. Die Wurzener CDU ließ eine kreuzer-Anfrage zu ihrem Abstimmverhalten damals unbeantwortet.

Was dann folgte, war jedoch eine Welle der Solidarität: Viele private Spenden gingen an die Stadt mit dem Betreff ein, den Eigenanteil der Kommune zu finanzieren, damit das NDK weiterhin durch entsprechende Landesmittel gefördert werden kann. Insgesamt kam der Eigenanteil von 13.000 Euro zusammen, wobei ein Großteil von 8.000 Euro auf die Einzelspende eines Mitglieds der Grünen zurückgeht. Melanie Haller, Vereinsmanagerin des NDK, erinnert sich mit viel Dankbarkeit an diesen Moment: »Es war total beeindruckend, dass das so schnell ging. Besonders ermutigend fand ich, dass es auch viele Kleinspenden direkt aus Wurzen waren.« Durch die Spenden hätte es die Stadt nichts gekostet, das NDK weiter durch das Kulturraumgesetz zu fördern. Aber auch diese Gelder wurden dem NDK verwehrt. In einer Abstimmung am 9. September entschied der Stadtrat mit einer Mehrheit von AfD, CDU und den Bürgern für Wurzen, die Spenden nicht anzunehmen, obwohl unter anderem der parteilose Oberbürgermeister Marcel Buchta sich dafür ausgesprochen hatte. Dass Kommunen Spenden ablehnen können, ist in der sächsischen Gemeindeordnung festgeschrieben. Nach der ersten Abstimmung im April hatte die Wurzener Pressesprecherin Cornelia Hanspach gesagt, das NDK mache wertvolle Arbeit. Gleichzeitig bestätigte sie, dass es Vorbehalte aus der Stadtgesellschaft gebe: »Wenn der Verein nun einen Alleinvertretungsanspruch für demokratisches Miteinander aufstellt, sehen sich diejenigen in ihrer Entscheidung bestätigt, die die Förderung abgelehnt haben.«

Für Haller kam die Ablehnung der Spenden nicht mehr überraschend, bereits im Vorfeld seien Gesprächsangebote des Vereins an die CDU von dieser nicht wahrgenommen worden. Besonders brisant am Abstimmungsverhalten der CDU: Da einige Stadträte gar nicht anwesend waren, darunter die beiden Abgeordneten der SPD, hätte es die Unterstützung durch die CDU gar nicht gebraucht. AfD und Bürger für Wurzen hätten allein die Annahme ablehnen können. Aber auch die CDU stimmte gegen die Spendenannahme. »Wir können uns das nicht erklären, außer mit einem rechten Weltbild, das vielleicht rechter ist, als das von Bundes- oder Landes-CDU«, sagt Melanie Haller. Die Wurzener CDU begründete ihre Entscheidung gegenüber der LVZ damit, dass es in der Stadtgesellschaft Unmut gegenüber dem NDK geben würde.

Der CDU-Landesverband ließ auch unsere Frage unbeantwortet, wie er die Entscheidung der Wurzener CDU-Fraktion bewertet. Fraktionssprecher Fischer schrieb: »Es steht der CDU-Fraktion des Sächsischen Landtages grundsätzlich nicht zu, Entscheidungen von Kommunen zu bewerten.«

Wie eine Reform aussehen könnte

Im Gespräch mit dem kreuzer nennt Katja Meier die Abstimmung im Wurzener Stadtrat eine »erschütternde Entscheidung« und spricht von einem »Schulterschluss von CDU, AfD und den Bürgern für Wurzen«. Meier sitzt für die Grünen im sächsischen Landtag und war in der letzten Legislatur Ministerin für Justiz und Demokratie. Für sie steht fest: »Die Brandmauer auf kommunaler Ebene gibt es schon lange nicht mehr.«

Zusammen mit ihrer Partei hat sie deswegen nach der Ablehnung der Spendenannahme durch den Stadtrat eine empörte Pressemitteilung veröffentlicht. Angesichts der politischen Verhältnisse in den Kommunen bringen sie eine Reform der sächsischen Kulturförderung ins Spiel. Es brauche verbindliche Regelungen zur Kulturförderung auf Landesebene, »damit anerkannte Träger der Demokratieförderung nicht länger von parteipolitischen Machtspielen in den Kommunen abhängig sind«.

Das jedoch könnte angesichts der sächsischen Verfassung schwierig werden. CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer antwortete auf eine entsprechende Frage von Katja Meier im Landtag, dass die Kommunen gar nicht übergangen werden können: »Dass wir völlig unabhängig von kommunaler Ebene Politik gestalten, ist nicht möglich, ist nicht sinnvoll, ist nach unserer Verfassung auch überhaupt nicht vorgesehen.« Einen konkreten Änderungsvorschlag hat Torsten Pötzsch, ehemaliger parteiloser Oberbürgermeister von Weißwasser, öffentlich ins Spiel gebracht, nachdem sich das dortige Kulturzentrum Telux in einer vergleichbaren Situation wie das NDK wiederfand: Stadträte sollten es nicht mehr verhindern können, den Eigenanteil im Rahmen der Kulturraumförderung anzunehmen, wenn das Geld über Spenden aus der Zivilgesellschaft zusammenkommt. Ein Fall wie beim NDK wäre dann nicht mehr möglich.

Auf eigene Änderungsvorschläge angesprochen, gibt Meier unumwunden zu, selbst »noch keine abschließenden Antworten« zu haben. Den Vorschlag von Pötzsch unterstützt sie allerdings nicht: »Ich verstehe den Ansatz, aber er ist gefährlich. Wir reden ja nicht nur von einer demokratischen Zivilgesellschaft.« Was es aber bräuchte, sei ein Dialog zwischen der Landesregierung und den Trägern und Kulturprojekten vor Ort, um gemeinsam Ideen zu entwickeln. Dabei sei nicht zuletzt auch die CDU gefragt, um zu einer guten Lösung zu kommen: »Überall, in der Kommune und auf der Landesebene, gibt es aufrechte Demokratinnen und Demokraten in der CDU«, sagt Meier. Und auch auf diese käme es in Zukunft an.

Gern hätten wir mit Andreas Nowak darüber gesprochen. Nowak sitzt für die CDU im Landtag sowie im Leipziger Stadtrat, ist zudem Mitglied in den Kulturausschüssen von Land und Kommune. Allerdings ließ er mehrere Gesprächsanfragen unbeantwortet. Zu einer möglichen Reform der Kulturförderung verweist Sandra Gockel, kulturpolitische Sprecherin der CDU im Landtag, schriftlich nüchtern auf die Rolle der Kommunen qua Verfassung: »Grundsätzlich respektieren wir das Subsidiaritätsprinzip und die Verantwortung der Entscheidungsträger vor Ort. Zentralismus wäre in der Kulturpolitik der falsche Weg.«

Wie wehrhaft ist die Verfassung?

Mit dem Verweis auf die Verfassung stellt sich eine weitere Frage: Bietet diese angesichts der Mehrheitsverhältnisse der Zivilgesellschaft noch ausreichenden Schutz? Ein Beispiel auf Bundesebene zeigt, dass Anlass zur Nachbesserung durchaus gesehen wird: Der Bundestag hatte Ende letzten Jahres eine Grundgesetzreform beschlossen, um das Bundesverfassungsgericht besser vor politischer Einflussnahme zu schützen. Anfang 2024 hatten drei Grünenpolitiker aus Ostdeutschland, darunter der sächsische Landtagsabgeordnete Valentin Lippmann, ein Papier veröffentlicht, in dem sie Vorschläge machten, wie die »Unterminierung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung durch Rechtsextremist*innen, insbesondere die AfD« verhindert werden könne. Ein Vorschlag: Ein kommunaler Kontrollmechanismus, um »Freiheit und Demokratie auf der kommunalen Ebene auch bei rechtsextremen Mehrheiten […] strukturell zu sichern«. Besonders die Handhabung des »Verwaltungsermessens« solle dabei geprüft werden. »Grundsätzlich sind in unserer Demokratie Institutionen, die Gesellschaft und jeder Einzelne vor dem Einfluss von Extremisten jeglicher Couleur zu schützen«, schreibt CDU-Kultursprecherin Gockel auf die Frage, ob ihre Fraktion Reformbedarf bei der Verfassung sehe. »Dafür bieten aber die aktuellen gesetzlichen Regelungen ausreichend Spielraum. Wir haben einen gut aufgestellten Verfassungsschutz, der den Einfluss von Extremisten streng beobachtet.«

Reformen sind ohne einen Bewusstseinswandel bei der CDU nicht abzusehen, auch bei der Kulturraumförderung. Das weiß auch die Grüne Katja Meier. Ihr zufolge sei die Zivilgesellschaft notgedrungen selbst gefragt, sich unabhängiger von öffentlicher Förderung zu machen: »Träger müssen sich breiter aufstellen, auf mehr Fördermitgliedschaften setzen und auf Stiftungen zugehen, um von denen Gelder zu bekommen.« Das NDK in Wurzen hat diese Zeichen der Zeit längst erkannt und unter anderem eine Fördermitglied-Kampagne gestartet. Aber auch ohne die Kulturraumförderung ist der Verein derzeit nicht in seiner Existenz bedroht, wenngleich etwa bei Kulturveranstaltungen gekürzt werden müsse und offene Räume für andere Initiativen nicht mehr im gewohnten Maße bereitstehen könnten. Melanie Haller gibt sich dennoch kämpferisch: »Wir sind es den Leuten schuldig, dass wir unsere Angebote weitermachen. Sonst hätte die AfD gewonnen. Das wollen wir ja auch nicht.«


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