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Politik

Leipzig im Merz

Die Leipziger CDU will die Förderung eines Beratungsprojekts für Geflüchtete streichen – ohne Stadt oder Flüchtlingsrat anzuhören

  Leipzig im Merz | Die Leipziger CDU will die Förderung eines Beratungsprojekts für Geflüchtete streichen – ohne Stadt oder Flüchtlingsrat anzuhören  Foto: Christiane Gundlach


Die Leipziger CDU will klare Kante in der Migrationspolitik zeigen. In einem Antrag im Stadtrat fordern die Christdemokraten, die Förderung für ein Projekt zu streichen, mit dem der Sächsische Flüchtlingsrat (SFR) geduldete Geflüchtete in Leipzig berät. Menschen ohne Bleibeperspektive dürften keine Unterstützung erhalten, fordert die CDU. Doch die Stadt sieht die Zusammenarbeit sowohl im Interesse der Betroffenen als auch der Gesellschaft und der eigenen Verwaltung. Gegenüber dem kreuzer relativiert die CDU ihren Antrag. Geht es ihr nur darum, einen unliebsamen Verein loszuwerden?

»Es ist eine Sache, ob Beratungsgespräche für Geflüchtete durch die Kommune als neutrale Behörde oder durch eine nicht-neutrale NGO erfolgen«, sagt Lucas Schopphoven. Nicht-neutrale NGO, damit meint er den Flüchtlingsrat. Der CDU-Stadtrat ist Sprecher für Bürgerservice in seiner Fraktion und war federführend in dieser Antragsstellung. Wir treffen Schopphoven im Büro der CDU-Stadtratsfraktion im Neuen Rathaus. Auf seiner Kaffeetasse glänzt eine Deutschlandflagge.

Problematisch findet er an dem Projekt »Perspektive Bleiberecht Leipzig«, dass der Flüchtlingsrat als Verein, der von sich selbst sagt, er agiere parteiisch im Interesse von Geflüchteten, Rechtsberatung anbietet. Kann ein Verein, der sich für Geflüchtete einsetzt, neutral zum Bleiberecht beraten?

In einer »Bürgerinformation« hat die CDU Mitte Oktober ihren Antrag angekündigt, mit dem sie die Förderung des Beratungsangebots für geduldete Geflüchtete streichen will. Doch darin dominierte eine andere Argumentation: »Mit Steuergeld darf kein Projekt unterstützt werden, das abgelehnten Asylbewerbern gezielt hilft, ihren Aufenthalt in Deutschland zu verlängern«, schrieb die CDU dort. »Wer abgelehnt wird, muss auch wieder gehen.« Ein Antrag im Sinne der von der CDU auf Bundesebene versprochenen Wende in der Migrationspolitik, so scheint es.


Geduldete: Zwischen Abschiebung und Integration

Gina Linnert und Dave Schmidtke klingen im Telefongespräch mit dem kreuzer enttäuscht. Linnert arbeitet als Projektleiterin von »Perspektive Bleiberecht Leipzig« beim Flüchtlingsrat, Schmidtke ist dort Pressesprecher. Der Verein setzt sich seit 1991 für die Interessen und Rechte von Geflüchteten und Asylsuchenden in Sachsen ein. Seit August 2024 berät der Flüchtlingsrat im Rahmen des Bleiberechtsprojekts geduldete Geflüchtete in Leipzig. Seit März 2024 gibt es diese Form von Beratung bereits in Dresden. Auch dort agiert das Projekt in Kooperation mit der Ausländerbehörde und wird durch die sogenannte Fachkräfteallianz, ein Bündnis, dem auch die Stadt Dresden angehört, finanziert. Die Dresdner Beratungsstelle sei zudem im »Aktionsplan Integration« der Stadt Dresden verankert und damit bis Ende 2026 finanziell abgesichert, erklärt Linnert. Dasselbe habe man sich für Leipzig erhofft. Nun passiert mit dem CDU-Antrag das Gegenteil: Das Projekt wird in Frage gestellt.

In Sachsen gelten laut Flüchtlingsrat 11.700 Menschen als geduldet (Stand: Juni 2025). Ihr Asylantrag wurde abgelehnt, aber sie können derzeit nicht abgeschoben werden – weil sie krank sind, Ausweisdokumente fehlen oder ihr Herkunftsland als unsicher gilt. Die Abschiebung dieser Betroffenen ist mit der Duldung ausgesetzt. Dennoch gilt laut Aufenthaltsgesetz in Artikel 60a: »Die Ausreisepflicht eines Ausländers, dessen Abschiebung ausgesetzt ist, bleibt unberührt.«

Menschen mit einer Duldung leben dadurch in einem ständigen »Schwebestatus«, erzählt Schmidtke. Einerseits sei die Rückführung nicht absehbar, andererseits aber auch eine wirkliche Integration aufgrund bürokratischer Hürden erschwert. Denn: Geduldete dürfen das Land, teilweise gar ihren Wohnort nicht verlassen und nur unter bestimmten Umständen arbeiten. Insbesondere ihr Beschäftigungsverbot würden viele Betroffene als Belastung empfinden, sagt Schmidtke: »Die Menschen sind in der Duldung dazu gezwungen, Sozialhilfen zu beziehen, wollen aus dieser Abhängigkeit aber meist raus. Die erste Frage der Betroffenen in Duldung, die wir am häufigsten hören, ist: Wie bekomme ich Arbeit?«

Mit seinem Projekt will der Flüchtlingsrat insbesondere Menschen beraten, die schon über viele Jahre geduldet in Leipzig leben. Wie könnten diese Menschen einen sicheren Aufenthaltstitel erhalten? Wie eine Arbeitsgenehmigung? Oft gehe es dabei um Personen, die schon lange Teil der deutschen Gesellschaft sind und seit zehn oder mehr Jahren in Deutschland leben. »Sie sind hier vernetzt, haben Kinder, die hier zur Schule gehen und einen Aufenthaltstitel haben, einige arbeiten hier und bezahlen Steuern. Dennoch haben diese Menschen keine Perspektive, in Deutschland und Leipzig bleiben zu dürfen«, sagt Schmidtke. »Die Bedrohung durch eine Abschiebung ist ständig da.« Das Projekt des Flüchtlingsrats ist das einzige in Leipzig, das sich speziell an geduldete Menschen richtet.


»Verzahnung von Zivilgesellschaft und Behörden«

Warum ein Mensch geduldet ist und wie er einen langfristigen Aufenthaltstitel bekommen kann, das hängt immer vom Einzelfall ab. Genau dort möchte der Flüchtlingsrat in Zusammenarbeit mit der Leipziger Ausländerbehörde ansetzen. Die Idee hinter dem Projekt: Die Beratungsstelle des Flüchtlingsrats wird dort tätig, wo die Ausländerbehörde, die normalerweise zum Bleiberecht berät, überlastet ist und keine ausführliche Einzelfallberatung leisten kann. Allein zwischen Juni und November 2025 gab es 206 Erst- und Folgeberatungen durch das Projekt. Die Nachfrage sei jedoch viel höher: »Die Anfragen gehen deutlich über unsere Kapazitäten hinaus. Ich arbeite in diesem Projekt allein, die offenen Sprechstunden sind immer voll. Für ein größeres Team wäre genügend Arbeit da«, erzählt Linnert.

Die Kooperation zwischen Verwaltung und Verein bewertet die Projektleiterin positiv: »Das ist ein konstruktiver und offener Informationsaustausch. Wir teilen das Ziel, Menschen in Duldung, die die Voraussetzungen für ein Bleiberecht oder eine Beschäftigungsgenehmigung erfüllen, dies auch aufzuzeigen.«

Schmidtke betont, dass diese »Verzahnung von Zivilgesellschaft und Behörden« zudem insbesondere deshalb wertzuschätzen sei, da »sie an die echten Bedarfe von Betroffenen anknüpft und fernab polarisierter, fehlgeleiteter Migrationsdebatten stattfindet«.

Und auch die Stadt zieht nach gut eineinhalb Jahren ein positives Fazit. Eine Anfrage des kreuzer beantwortet das Ordnungsamt, stellvertretend für die Ausländerbehörde – die hat aufgrund von Überlastung keine Zeit für eine Antwort –: »Der Prozess, Menschen nicht über einen längeren Zeitraum in prekären Aufenthaltssituationen verweilen zu lassen, ist integrationsförderlich und im gesellschaftlichen Interesse. Dieses Ansinnen wird von dem Projekt unterstützt.« Die Stadtverwaltung profitiere von der Zusammenarbeit, »da sie sich auf die rechtliche Prüfung der komplexen Sachverhalte konzentrieren kann, indem verschiedene Beratungsanliegen« an den Flüchtlingsrat abgegeben werden. Zudem stelle das Projekt durch den Austausch zwischen der Behörde und der nicht-städtischen Beratungsstelle »einen Beitrag zur Sicherstellung einer bürgernahen und lernenden Verwaltung« dar.

Und wie bewertet das Ordnungsamt die Befürchtung von Schopphoven und der CDU, der Flüchtlingsrat berate nicht »neutral«? »Das Beratungsinteresse ist aus Sicht der Behörde nachvollziehbar, um bei den Betroffenen realistische Erwartungen an die rechtlichen Möglichkeiten und ihre Anstrengungen in die korrekte Richtung zu lenken. Hierfür ist eine nüchterne und konstruktive Beratungspraxis entscheidend, die nach unserer Erfahrung bislang gewährleistet wurde«, heißt es in der Stellungnahme des Amts. Keine Bedenken also.

Auch Linnert und Schmidtke wehren den CDU-Vorwurf ab. Die Beratung des Vereins erfolge ausschließlich im Rahmen des Rechtes, betonen die beiden – und auch das Ordnungsamt:

Das Anliegen des Projektes decke sich mit dem gesetzlichen Zweck des Aufenthaltsgesetzes. Darin »existieren verschiedene gesetzliche Bleiberechtsregelungen und damit ein normatives Interesse, geduldeten Menschen einen Anreiz und eine Belohnung für ihre Integration zu bieten«. Das Ordnungsamt schlussfolgert: »Benötigen die Betroffenen hierfür Beratung, erscheint uns deren Bereitstellung förderlich.«


»Gefühle über Fakten«

Die Einschätzung der Verwaltung habe er sich nicht eingeholt, bevor er den Antrag geschrieben hat, gibt Schopphoven dem kreuzer gegegnüber zu. Doch im Stadtrat und in den Ausschüssen würde die Verwaltung sowieso ihre Einschätzung abgeben. Dafür gebe es das Stadtratsverfahren ja.

Schmidtke hingegen hätte sich gewünscht, dass die CDU die Perspektive von Stadt und Flüchtlingsrat vor Antragsstellung berücksichtigt: »Das ist ein trauriges Sinnbild dieser Zeit, dass die CDU-Fraktion einen derartigen Antrag aufsetzt, ohne Praxiserfahrung aus dem Projekt einzuholen. Wir haben eine Situation, in der Gefühle über Fakten stehen. Auch die Wahrnehmung der CDU, die Basis des Antrags, beruht auf Gefühlen und hat nichts mit der Realität zu tun. Das ganze Thema Migration wird derzeit verzerrt diskutiert. Dadurch kommt es auch zu derart hanebüchenen Vorwürfen.«


Ungewisse Finanzierung

Die zukünftige Finanzierung des Leipziger Beratungsprojektes für Geduldete ist jedoch ohnehin ungewiss – auch ohne den Antrag der CDU. Für Juni bis Dezember 2025 hat die Stadt dem Flüchtlingsrat die beantragten 40.000 Euro bewilligt. Den vollständigen Betrag soll der Verein Anfang Dezember erhalten. Einen Antrag auf Förderung für 2026 hat der Flüchtlingsrat eingereicht, jedoch noch keine Rückmeldung erhalten. Das Wirtschaftsdezernat schreibt dem kreuzer, man prüfe aktuell, ob der Haushalt die notwendigen finanziellen Mittel für die Förderung des Projekts hergebe. Der Flüchtlingsrat hat schon jetzt Konsequenzen gezogen: Das Projekt läuft Ende des Jahres aus, im kommenden Jahr werden erstmal keine Beratungen angeboten. 

Konkreter gehe es um die unsichere Finanzierung des sogenannten Ukraine-Sonderbudgets der Stadt Leipzig ab 2026, sagt Juliane Nagel. Sie ist migrationspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Leipziger Stadtrat. Auch das Projekt »Perspektive Bleiberecht Leipzig« wird bislang aus diesem Topf finanziert. In der »Bürgerinformation« der CDU heißt es: »Die Mittel sind vordergründig für Kriegsflüchtlinge vorgesehen, nicht für Personen, die bereits ausreisepflichtig sind.« Die Linksfraktion kontert in ihrer Pressemitteilung: »Wenn die CDU in den Gremien des Stadtrates schläft und nicht mitbekommen hat, dass das Ukraine-Budget schon seit zwei Jahren für die Unterstützung von Projekten für alle Geflüchteten geöffnet ist, dann soll sie lieber schweigen.«

Die allgegenwärtige Leipziger Haushaltssperre habe der weiteren Finanzierung des Sonderbudgets vorerst einen Strich durch die Rechnung gemacht, erzählt Nagel. Ob das Budget nun doch noch bewilligt werden kann, oder ob die daraus finanzierten Projekte in die Verwaltung der verschiedenen Dezernate der Stadt übergehen könnten, sei noch offen, sagt sie: »Wir hoffen in jedem Fall sehr, dass das Projekt weitergehen wird«, betont die Linkspolitikerin.


Ein Antrag fürs Schaufenster?

Für die CDU spielt die Argumentation über das Ukraine-Budget – anders als in ihrer »Bürgerinformation« – im Gespräch mit dem kreuzer keine Rolle. Es gehe in erster Linie um die besagte, aktuell schwierige Haushaltslage. »Wir sehen da Einsparpotenzial«, sagt Schopphoven. Die 40.000 Euro, die durch den Antrag eingespart würden, könnten den Haushalt nicht sanieren, dessen sei man sich bewusst, sagt Schopphoven und trinkt aus seiner Deutschlandtasse. Aber man wolle eben ein Zeichen setzen. Den Antrag sieht er auf einer Linie mit dem Kurs seiner Partei: »Auf Bundesebene sieht die CDU die politische Arbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen teilweise kritisch«, sagt Schopphoven. »So erachten wir den Antrag als unseren Beitrag, im Kleinen auch in so eine Richtung zu gehen.« Besonders sichtbar war diese Haltung der CDU auf Bundesebene kurz vor der Bundestagswahl geworden, als die Unionsfraktion mit einer Kleinen Anfrage zur politischen Neutralität von 14 NGOs für Aufsehen sorgte – ein Vorgehen, das viele als symbolischen Einschüchterungsversuch werteten.

Handelt es sich also auch bei dem Antrag der Leipziger CDU um reine Symbolpolitik? Einen Schaufensterantrag? Aufmerksamkeit erreichte die Leipziger CDU-Fraktion durch ihren Vorstoß auf jeden Fall. Kurz nach Veröffentlichung ihrer Bürgerinformation berichtete die LVZ über den Antrag – ohne Stadtverwaltung oder Flüchtlingsrat in ihrem Artikel zu Wort kommen zu lassen.

Ganz reale Konsequenzen hätte eine Umsetzung des Antrags aber für das Projekt: Würde die Förderung der Stadt wegfallen, müsste das Projekt eingestellt werden, sagt Linnert. Laut Schmidtke würde der Verein dann versuchen, das Projekt durch Spenden selbst zu stemmen, aber: »Wir blicken als Verein insgesamt in eine prekäre Zukunft und haben ohnehin kaum Gelder. Dass wir uns nicht mehr auf städtische Zusammenarbeit verlassen können und uns solche Anträge, die wir bisher nur von der AfD kennen, auch vonseiten der CDU erreichen, bereitet uns Sorge.«


Wie entscheidet der Stadtrat?

Wegen der unklaren Mehrheiten im Stadtrat blickt Nagel beunruhigt auf eine Abstimmung: »Man kann nur hoffen, dass beim BSW im entscheidenden Moment einer Abstimmung die Vernunft überwiegt.«

Eric Recke, Fraktionsvorsitzender der Leipziger BSW-Stadtratsfraktion, legt sich in seiner Antwort auf Anfrage des kreuzer nicht fest, wie seine Fraktion abstimmen wird. »Wir wollen Menschen effektiv integrieren und ihnen die Möglichkeit schaffen, zum Wohl der Allgemeinheit zu arbeiten. Eine fachlich qualifizierte Beratung über Bleibeperspektiven kann dabei hilfreich sein«, schreibt Recke. »Ob das Projekt aber wirklich effizient und effektiv arbeitet und der Nutzen für die Stadt im Angesicht der Haushaltslage größer als Kita-, Schulbau-, Krankenhaus oder Verkehrsinvestitionen ist, können wir als neue Fraktion bisher nicht beurteilen.«

Dass die AfD diesem CDU-Vorstoß zustimmt, davon geht Nagel aus. Und die CDU selbst hat zumindest nichts gegen die Zustimmung der Rechtsextremen: »Wir bringen unsere Position ein und wer da mitmacht, macht mit. Toll ist, wenn so viele wie möglich für unseren Antrag abstimmen«, sagt Schopphoven. »Es ist ja allgemein bekannt, wo welche Fraktionen migrationspolitisch stehen.« Bis zur Abstimmung könne sich der Antrag in den Diskussionen noch so verändern, dass auch andere Fraktionen zustimmen.

Es wäre nicht der erste migrationskritische Antrag, über den der neue Stadtrat auf Initiative der CDU abstimmt: Bereits im Februar stimmten CDU und AfD dafür, Leipzigs Status als sogenannter »Sicherer Hafen« für Geflüchtete aufzugeben. Den Ursprungsantrag lieferte damals die AfD, die CDU verschärfte ihn. Eine Mehrheit fanden die Fraktionen nicht. Über die Förderung des Projekts »Perspektive Bleiberecht Leipzig« wird der Stadtrat vermutlich im kommenden Jahr abstimmen. Derzeit erarbeitet die Verwaltung einen Standpunkt zum Antrag. 


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