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Politik

Große Stadt trifft kleine Bürger

Zwischen Metropolenglanz und Vorstadtmief: Bei der Sprechstunde des Oberbürgermeisters prallen Welten aufeinander

  Große Stadt trifft kleine Bürger | Zwischen Metropolenglanz und Vorstadtmief: Bei der Sprechstunde des Oberbürgermeisters prallen Welten aufeinander

Viertel vor fünf. Menschen trudeln ein, besonders älteren Semesters, viele karierte Hemden. Langsam wird es voll im Stadtbüro am Markt mit den großen Schaufenstern, in denen Stadtpolitik in der Auslage liegt. Zusätzliche Stühle werden herbeigeholt, es ist der erste Termin seit längerem. Alle warten auf den großen Auftritt. Oberbürgermeister Burkhard Jung kommt nicht wie erwartet aus dem Hinterzimmer, sondern direkt vom Marktplatz, schwungvoll aus dem Volke ins Büro geweht.

Viertel vor fünf. Menschen trudeln ein, besonders älteren Semesters, viele karierte Hemden. Langsam wird es voll im Stadtbüro am Markt mit den großen Schaufenstern, in denen Stadtpolitik in der Auslage liegt. Zusätzliche Stühle werden herbeigeholt, es ist der erste Termin seit längerem. Alle warten auf den großen Auftritt. Oberbürgermeister Burkhard Jung kommt nicht wie erwartet aus dem Hinterzimmer, sondern direkt vom Marktplatz, schwungvoll aus dem Volke ins Büro geweht. Er schüttelt Hände, verliert ein paar Worte über das renovierte Büro, dass in hellgelb und blau erstrahlt, dekoriert mit großen gemalten Kinderbildern. Frisch renoviert sieht auch er aus, sonnengebräunt und offenen Ohres.

Sofort geht es los. Die Meisten kommen mit persönlichen Anliegen. Familien, die von Amt zu Amt geschickt werden und irgendwie durch das Raster der sozialen Fürsorge fallen. Der Stadtvater, die letzte Rettung, redet von Grenzfällen, bei denen gäbe es immer Ungerechtigkeiten. Immer diese Bundesgesetzgebung. Aber er nimmt das mit, er wird es prüfen. Er ist sich sicher: »Irgendwer ist zuständig.« Er nimmt viel mit an diesem Tag, einige haben Kopien ihrer Anträge und Briefe mitgebracht. Was daraus wird, ist ungewiss. Viele scheinen Stammgäste zu sein.

Ein älterer Herr wagt den großen Rundumschlag, erzählt, was er in der Zeitung gelesen hat. Ihn „bewegt die Finanzkrise in Sachsen, die Weltwirtschaftskrise, die besonders in den USA ausgebrochen sei und die steigende Kinderarmut. Was bedeuten das für die Kinder in Leipzig, die am Wochenende zum ersten Mal eingeschult werden?" Eine Plattform für Herrn Jung, zu einem ebensolchen Rundumschlag anzusetzen, über das »Desaster« Sachsen LB kommt er schließlich zu Armut in Leipzig. »Ich bin ja ein Verfechter des Mindestlohns«, sagt er. Nur auf Bundesebene würde das ja nicht durchgesetzt.

Er gibt sich souverän, freundlich und einsichtig, lässt ein paar Arbeitslosenzahlen einfließen und Einzelfallbeispiele. Ab und zu schäkert er ein wenig mit dem Publikum »Sie entschuldigen, dass ich mein Jackett ausziehe«, lacht er in die Runde. Doch kaum einer interessiert sich wirklich für Rathauspolitik. Das Thema, das die Gemüter erregt, heißt Ordnung und Sicherheit. Erst da gerät das Blut in Wallung.

Ein Mann und eine Frau werden nachts von randalierenden Jugendlichen am Johannapark gestört: »Die Polizei vermittelt uns das Gefühl, wir seien die eigentlichen Ruhestörer.« Jung kennt das Problem und sagt, er habe schon größere Müllcontainer aufstellen lassen, damit die Jugendlichen mehr Platz für ihre Bierflaschen haben. Trotzdem randalieren sie weiter. Hier trifft der Rathauschef (»Wir möchten die Parks öffnen«) auf Bürger, die zwar »keinen Polizeistaat« möchten, aber doch eine Staatsmacht, »die auch mal was verbietet«. Applaus, Kopfnicken. »Eine Stadt, die aussieht wie Leipzig, schreckt Leute ab, das suggeriert bei ausländischen Gästen Kriminalität. Ich habe nur eine Stadt gesehen, die schlimmer aussieht – Sao Paulo, die Stadt mit der höchsten Kriminalitätsrate der Welt«, sagt der Herr.

Jungs Argument, andere Städte in Deutschland seien noch dreckiger, zieht nicht. Finger schnellen in die Höhe, es rumort im Publikum, jeder möchte erzählen, wie laut und versifft es vor der eigenen Haustür ist. »In der Dresdner Straße ist das Unkraut höher als die Bäume.« Von Zigeunern ist die Rede, die Wäsche auf die Zäune hängen, Drogendealern und Gegenden, in die man nicht mehr gehen mag – bis Jungs Helfer die Diskussion unterbricht.

Beim Stichwort direkte Demokratie ist Jung ist in seinem Element. Er erklärt, wie er Sprechstunden in den einzelnen Stadtteilen hält. Er sagt: »Es ist eine Überlebensfrage, Menschen mitzunehmen. Man muss reden, auch wenn es weh tut.« Dennoch fühlen sich viele der Anwesenden unverstanden: »Man bekommt keine befriedigenden Antworten aus dem Rathaus.« Jungs Argument, die Kapazitätsfrage, wird spontan entkräftet. »Ich setzte mich hin und nehme die Beschwerden auf. Ich will auch kein Geld«, sagt eine ältere Dame in rosa. Klatschen, Zwischenruf: »Sie sollten Bürgermeister werden!« Jung: »Ich nehme Sie beim Wort.« Sieht sie so aus, die Zukunft der Demokratie – Ehrenamt im Rathaus?

Ein einzelner Herr fragt nach dem Opernkonflikt. Prompt gerät Jung ins Schwärmen über das Gewandhaus. Viele Leipziger wüssten ja gar nicht, dass es zu den besten Orchestern der Welt gehöre. Ein Hoch auf das andere Leipzig! Das Leipzig jenseits dreckiger Bürgersteige, das Leipzig, das Menschen von außen anzieht. Doch Messemetropole hin oder her, die Touristen auf den Freisitzen versperren die Gottschedstraße. Hartnäckig verteidigen die Bewohner ihr Territorium – den Bürgersteig.

Von »Zielkonflikten« spricht Jung und vom Stolz »auf eine Stadt ohne Sperrstunden«. Großstadtpolitik trifft Bürger. In kleinem Rahmen, von Zeit zu Zeit, kann da ein kleines Fünkchen bürgernaher Politik suggeriert werden. Von 500.000 sind 50 angerückt, Leipzig zu verändern – nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. »Ich komme nächstes Jahr wieder«, sagt ein älterer Mann: »Wenn ich noch nicht gestorben bin.«


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