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Kultur

»Die kulturelle Jägerzaunmentalität überbrücken«

Sebastian Dresel, Popkulturbeauftragter der Stadt Mannheim, über neue Wege der Kulturförderung und Kommunikationsprobleme zwischen Szene und Politik

  »Die kulturelle Jägerzaunmentalität überbrücken« | Sebastian Dresel, Popkulturbeauftragter der Stadt Mannheim, über neue Wege der Kulturförderung und Kommunikationsprobleme zwischen Szene und Politik

Die gute Nachricht: Seit die Stadtverwaltung verstärkt auf Popkultur setzt, hat sich das Image der Stadt messbar verbessert. Die schlechte Nachricht: Die Rede ist nicht von Leipzig, sondern von Mannheim. Doch auch Leipzig hat popkulturelle Pfunde, mit denen man wuchern kann, findet Sebastian Dresel.

Die gute Nachricht: Seit die Stadtverwaltung verstärkt auf Popkultur setzt, hat sich das Image der Stadt messbar verbessert. Die schlechte Nachricht: Die Rede ist nicht von Leipzig, sondern von Mannheim. Doch auch Leipzig hat popkulturelle Pfunde, mit denen man wuchern kann, findet Sebastian Dresel. KREUZER: Was sind die Hauptunterschiede zwischen Leipzig und Mannheim in der Popkulturförderung? SEBASTIAN DRESEL: Aus Mannheimer Sicht ist Leipzig insofern zu bewundern und zu beneiden, als sich die Raumfrage nicht stellt. Bei euch muss man die Popkultur nur noch stärker stützen. Bei uns neue Räume zu erschließen, wird sehr viel schwieriger. Der Vergleich ist aber sehr fruchtbar, auch weil man mit dem hiesigen Nationaltheater und dem Gewandhaus zwei kulturell sehr dominante Häuser hat. Insofern ist der Umgang mit dem großen Rest und gerade »junger« Kultur sehr spannend. Abgesehen davon lassen sich aber viele Fragen nicht kommunal, sondern nur übergeordnet erörtern. Das dankbarerweise gerade irre hippe Themengebiet »Kreativwirtschaft« zeigt deutlich, dass es auch um einen Umgang mit einem Thema geht, das sich nicht kommunal abgegrenzt lösen lässt. KREUZER: Stichwort Kreativwirtschaft: Besteht nicht auch die Gefahr, dass man das Thema nur noch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten versteht und dabei vergisst, dass Kultur ja auch Selbstzweck ist? DRESEL: Selbstverständlich. Genau aus diesem Grund darf man sich das Thema nicht aus der Hand nehmen lassen, sondern muss es besetzen. Die Unumstößlichkeit des künstlerischen Selbstzweckes bringt man nicht dadurch in Gefahr, dass man noch ein zusätzliches, übergeordnetes Argument in Händen hat. Die kreative Szene einer Stadt ist ein gewaltiger Wirtschaftsfaktor. Das heißt aber nicht, dass jede einzelne Veranstaltung automatisch ökonomischen Rechtfertigungen zu unterliegen hat. KREUZER: Ist dein Job Folge eines neuen Kulturbegriffs bzw. Kulturleitbildes in Mannheim? DRESEL: Mannheim hat tatsächlich Kulturleitlinien entwickelt, in denen das unter anderem von mir beackerte Feld eine ähnlich zentrale Rolle spielt wie die klassischen Kulturbereiche. KREUZER: Ist das in Leipzig anders? DRESEL: Es scheint so. Das mag daran liegen, dass die sehr aktive Szene bislang extrem viel selbst auf die Beine gestellt hat. Der unangenehme Reflex der Politik ist da ja gerne, dass man nichts mehr tun müsse. Ein großer Fehler aus meiner Sicht. KREUZER: Welche klassischen Probleme und Bedürfnisse haben die popkulturell Tätigen? DRESEL: Die traditionelle Kulturpolitik setzt Pop mit dem Genre und mit Gruselgespenstern wie Genesis gleich. Man glaubt, dass Pop von populär kommt, dementsprechend erfolgreich und ergo nicht förderungsfähig sei. Das ist, als wollte ich die Künstlerförderung an den Preisen von Lüpertz diskutieren. Zudem sind popkulturaffine Berufe meist berufgewordene Flexibilität. Wenn man ihnen von Seiten der Wirtschaftsförderung mit Kriterien aus den 50er Jahren begegnet, ist das einfach nur jämmerlich. KREUZER: Wie kann man Popkultur fördern, ohne Abhängigkeiten zu schaffen oder die Akteure einzuengen? DRESEL: Dieses Prinzip nannte mal irgendwer »Ermöglichungspolitik«. Es geht um Strukturen, um Genehmigungen – um besagte Flexibilität. Wenn sich ein paar Leute überlegen, Konzerte, Partys oder Ausstellungen zu organisieren, gründen sie damit kein Familienunternehmen. Dementsprechend müssen sie behandelt werden. Man darf andererseits auch nicht der Verlockung erliegen, die Förderung als kulturelle Hängematte zu begreifen. Hier muss sich die Kulturförderung neue Kriterien und Evaluationsprozesse ausdenken. KREUZER: Wie kann man Kommunikationsprobleme zwischen Popkulturschaffenden und den Behörden überbrücken? DRESEL: Die Antwort aus Mannheimer Sicht ist furchtbar banal. Man versteht sich nicht, wenn man viel zu wenig miteinander kommuniziert und viel zu viel antizipiert. Die kulturelle Jägerzaunmentalität kann man nur überbrücken, indem man die Leute an einen Tisch bringt. Ob aber immer alle auf die gleiche Auffassung von interessanter Kultur abheben sollten, darf man bezweifeln. Man muss nur dafür sorgen, dass Mittel und Strukturen einigermaßen vernünftig auf die unterschiedlichen Auffassungen verteilt werden. KREUZER: Was ist von angeblich spektakulären Events, wie sie in Leipzig Mode sind, zu halten? Stützt oder behindert das eine nachhaltige Arbeit? DRESEL: Gegen Events ist im Prinzip nichts einzuwenden. Nur wird ihre Wirksamkeit maßlos überschätzt. Der eigentliche kulturelle Wert einer Stadt oder Region liegt ganz eindeutig im Alltag. Dazu zählen sicher auch Großveranstaltungen. Nur: Zu glauben, dass man mit vier großen Festen im Jahr eine kulturelle Identität schaffen könne, ist schlicht Unfug. Hier geht es ganz grundsätzlich darum, sich zu fragen, wie man kulturellen Erfolg misst. Marktforschungsmechanismen wie Medien-Nennungen als Kennzahl irgendwelchen Erfolges halte ich da für einen fatalen Irrweg. Aber Eventisierung als Feindbild aufzubauen ist auch der falsche Weg. KREUZER: Wie wird denn Leipzig von außen wahrgenommen? DRESEL: Das kommt darauf an, wen man befragt. In popkulturell interessierten Kreisen ist so etwas wie die (Pop Up als sympathisch-anspruchsvoller, aber eben auch noch inhaltsbezogener und herzlicher Entwurf natürlich ein echtes Pfund. Und auch Läden wie Ilses Erika sind weit über Leipzig für ihr spannendes Programm bekannt. Die Wahrnehmung als »Bachstadt« ist ja nicht eben unumstritten. Ich will da kein Öl ins Feuer gießen, aber mir fallen nach einem Besuch deutlich bessere Gründe ein, nach Leipzig zu fahren. Und nicht wenige noch dazu.


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