Idyllisch liegt das Häuschen mit Blick auf den Weißen See in Potsdam. An einem trüben Februar-Morgen klingle ich am Tor. Ich bin mit einem der wichtigsten und vielleicht auch dem bekanntesten Schriftsteller der DDR-Kinderliteratur verabredet: Benno Pludra, Jahrgang 1925.
Idyllisch liegt das Häuschen mit Blick auf den Weißen See in Potsdam. An einem trüben Februar-Morgen klingle ich am Tor. Ich bin mit einem der wichtigsten und vielleicht auch dem bekanntesten Schriftsteller der DDR-Kinderliteratur verabredet: Benno Pludra, Jahrgang 1925.
Vor fünf Jahren erhielt er für sein Gesamtwerk den Sonderpreis des Deutschen Jugendliteraturpreises. Gemütlich sitzt er in einem großen Ledersessel, mit Hund Olex an seiner Seite, und plaudert freimütig aus seinem Leben.
kreuzer: Mit 17 Jahren sind Sie als Schiffsjunge zur Handelsmarine gegangen. Hatten Sie Fernweh?
BENNO PLUDRA: Ich war vorher eine ziemlich lange Zeit zu Hause, ohne was zu machen – ein Nichtstuer. Da wurden meine Eltern ungeduldig und sagten, ich müsse nun endlich mal was anfangen. Ich wollte das aber nicht. Ich wollte mich abseilen und war auf der Suche nach Etwas, in dem ich Bestätigung finde. Ich hatte das Gefühl, eine Menge nachholen und ins Reine bringen zu müssen.
kreuzer: Sie wussten also nicht so richtig, welchen Weg Sie gehen wollten?
PLUDRA: Stimmt. Das wusste ich wirklich nicht. Doch dann hatte ich die Idee, zur See zu fahren. Ich hatte schon viele Bücher darüber gelesen.
kreuzer: Wie viele Jahre sind Sie dann tatsächlich auf See gewesen?
Drei oder vier. Das weiß ich nicht mehr so genau. In meiner Familie gab es eine Menge Widerstände. Ich habe es dennoch gemacht, weil ich lernen und über die Welt Bescheid wissen wollte.
kreuzer: Zu dieser Zeit war Krieg...
PLUDRA: Das war eher ein Vorteil für mich, weil ich dadurch nicht so sehr in den Krieg reingekommen bin. Ich kannte zwar Ostpreußen, aber diesen richtigen Lausekrieg habe ich gar nicht erlebt.
kreuzer: Später haben Sie Ihr Abitur nachgemacht und sind zum Germanistik-Studium nach Halle gegangen?
PLUDRA: Ja. Das war gut und lehrreich. Irgendwann habe ich herausgefunden, dass das Ganze nützlich war und dass ich mit allem, wie es für mich gelaufen ist, ganz zufrieden bin. Ich bin froh über das, was ich gemacht und was ich da erlebt habe.
kreuzer: Haben Sie Kinder?
PLUDRA: Zwei Söhne.
kreuzer: Haben die Ihre Bücher gelesen?
PLUDRA: Ja und sie waren sehr kritische Leser. Sie haben die Bücher nicht nur genommen, reingeguckt und wieder weggelegt, sondern sie haben sie wirklich gelesen und mir dann ganz offen ihre Meinung gesagt.
kreuzer: »Siebenstorch« war eines Ihrer letzten Bücher. Das war 1992.
PLUDRA: Richtig. Seitdem habe ich nichts mehr geschrieben.
kreuzer: Verspüren Sie manchmal noch Lust dazu?
PLUDRA: Natürlich. Wenn ich nicht schreibe, tut sich auch sonst nichts.
kreuzer: Warum schreiben Sie dann nicht?
PLUDRA: Weil ich keine Lust mehr dazu habe. Zwei oder drei angefangene Arbeiten liegen noch da, die ich hin und wieder anschaue und dann wieder weglege. Für mich ist das Leben verloren ohne das Schreiben.
kreuzer: Welches Buch hat Sie die meiste Kraft gekostet?
PLUDRA: Das arbeitsintensivste Buch war »Sheriff Teddy« – ein Buch über einen Jungen aus Berlin, der von Westberlin nach Ostberlin kommt und dort versucht, zu überleben. Der kriegt das ja zunächst nicht selbst auf die Reihe. Das war sehr schwer für mich zu schreiben, weil ich ihn nicht in die Pfanne hauen wollte. Ich wollte ja eine Geschichte über einen Jungen schreiben, der einen anderen Weg vor sich hat.
kreuzer: Sie haben es dabei immer geschafft, an Kitsch und Klischee vorbei zu schreiben.
PLUDRA: Da hatte ich einfach ein gutes Händchen. Ich wusste, was man machen kann, ohne das Ding an den Baum zu fahren, denn eine Geschichte kaputt zu machen, geht ganz schnell.
kreuzer: Betrachten Sie Ihre Tätigkeit als freischaffender Schriftsteller für den Kinderbuchverlag Berlin als einen Glücksfall oder hat es Sie eher gehemmt?
PLUDRA: Ich war vom Gefühl her immer völlig frei und musste nicht, weil der oder der Geburtstag hatte, etwas machen, worüber derjenige sich dann hätte freuen können. Ich hatte niemals Beklemmungen.
kreuzer: Wie sind Sie mit politischen Reglementierungen umgegangen? Hat Ihnen das Probleme bereitet?
PLUDRA: Nein. Ich habe immer geradewegs heraus gesagt, was ich denke.
kreuzer: Waren Sie Mitglied der SED?
PLUDRA: Ja, sehr früh schon. Ich war KPD-Mitglied.
kreuzer: Wie gehen Sie mit Stasi-Vergangenheiten von Kollegen, Freunden oder auch der Nazi-Vergangenheit von Erwin Strittmatter um?
PLUDRA: Das mit Erwin hat mich überhaupt nicht bewegt. Ich kannte ihn ja schon viele Jahre und er hatte immer ein offenes Ohr für alle. Er stand einem immer zur Seite und hat alles offen gesagt.
kreuzer: Kann man sagen, dass Sie miteinander befreundet waren?
PLUDRA: Wir waren alle untereinander befreundet. Strittmatter war eine andere Kategorie. Er wusste alles sehr genau und man konnte ihn sehr verletzen, wenn man irgendwas von ihm auf die falsche Schiene schob und nicht so, wie er sich das gedacht hatte. Die ältere Generation war sehr empfindsam. Dennoch bin ich die vielen Jahre mit allen in der Partei und auch mit denjenigen, die nicht in die Partei wollten, gut ausgekommen und war immer froh, dass ich jemanden zum Reden hatte.
kreuzer: Haben Sie Ihre Skripte umgeschrieben, wenn es von Ihnen verlangt wurde?
PLUDRA: Das habe ich nie gemacht. Dazu war ich zu faul. Ich habe auch gar nicht gewusst, warum ich umschreiben soll. Es gab stets Situationen, wo einer kam und sagte: »Das guckst du dir noch mal an.« Wenn dieser Satz gesprochen wurde, wusste man, hier muss man was machen und zwar so, dass es dem gefällt, der das gesagt hat. Wäre kein Problem gewesen, das hinzukriegen, aber ich hatte trotzdem keine Lust dazu. Alles in allem waren die Arbeitsbedingungen jedoch recht locker, also nicht so, dass es einem ans Leben ging.
kreuzer: Sie haben sich in der früheren DDR arrangiert und sind dadurch ganz gut zurechtgekommen – oder denken Sie, dass es eher Ihre Mentalität war, die Ihnen geholfen hat, mit diesem System so umzugehen?
PLUDRA: Das ist ganz klar meine Mentalität. Ich weiß nur nicht so recht, wo ich ansetzen soll, um herauszufinden, was ich vielleicht falsch gemacht habe.
kreuzer: Denken Sie, dass Sie etwas falsch gemacht haben?
PLUDRA: Ja, in bestimmter Weise schon. Zum Beispiel, dass ich nicht gleich dort das »Jawort« gesprochen habe, wo ich es hätte sprechen müssen. Das war mein Vergehen.
kreuzer: Sie haben doch auch in Ihren Büchern nie den Zeigefinger erhoben, sondern immer versucht, den Kindern Ihre Geschichten mit viel Fantasie nahezubringen.
PLUDRA: Zu was anderem hatte ich auch gar keine Lust, obwohl die Zeigefinger-Methode eine Methode ist, die man gar nicht negativ bestimmen sollte. Es ist einfach eine andere Art, eine Sache zu schreiben.
kreuzer: Dennoch Sie haben mit Ihrer Art zu schreiben, sehr großen Erfolg gehabt – fünf Millionen verkaufte Bücher. Ihre Geschichten waren dabei immer sehr einfühlsam. Wie haben Sie das geschafft?
PLUDRA: Es wäre der falsche Ansatz gewesen, mich als Klugscheißer hinzustellen. Wenn man das macht, soll man nicht schreiben. Die innere Beziehung ist wichtig.
kreuzer: Sie haben sich also beim Schreiben als Kind gefühlt?
PLUDRA: Ja. Ich habe immer ganz genau gewusst und gefühlt, was die eigentlich möchten, wo ihre Träume und ihre Ängste sind. Ich konnte das immer genau rekonstruieren, denn ich habe von meinen eigenen Träumen, Ängsten und Fantasien erzählt. In meiner Kindheit musste ich immer sehen, wie ich Land vor den Erwachsenen gewinne. Zusätzlich gab es Auseinandersetzungen zwischen gleichaltrigen Jungs, aus denen ich meine Lehren zog. Gleichzeitig war ein Bedürfnis von meiner Seite, mit diesen Jungs klarzukommen, zu hören, was sie erzählen, was sie bedrückt und was sie sich wünschen. Das wollte ich auffangen, um für das nächste Mal klüger zu sein, jedoch ohne ein Besserwisser zu sein, denn Besserwisserei ist für mich das Schlimmste überhaupt.