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»Es gibt Reis, Baby«

Mit dem <em>kreuzer</em> auf die sieben Weltmeere – Der neue Blog auf <em>kreuzer</em> online (Teil 4)

  »Es gibt Reis, Baby« | Mit dem <em>kreuzer</em> auf die sieben Weltmeere – Der neue Blog auf <em>kreuzer</em> online (Teil 4)

Unsere »kreuzer-Auslandskorrespondentin« Ele Jansen hat sich auf große Fahrt begeben und berichtet in einem exklusiven Reise-Blog über ihre Erlebnisse vor Ort. Diese Woche gibt es unter anderem Reis im nordthailändischen Chiang Mai.

Unsere »kreuzer-Auslandskorrespondentin« Ele Jansen hat sich auf große Fahrt begeben und berichtet in einem exklusiven Reise-Blog über ihre Erlebnisse vor Ort. Diese Woche gibt es unter anderem Reis im nordthailändischen Chiang Mai.

Teil 4: »Es gibt Reis, Baby«

Drei Wochen lang nur Reis: In den dämmernden Morgenstunden gibt es Reissuppe mit ungeahnten Variationen an Tofu, Pilzen und ungekannten Gemüsen; mittags werden diverse Currys, Eintöpfe oder Pfannengerichte auf Reisbasis gereicht. Das war meine Verpflegung im Kloster. Irgendwann hinterlässt eine solche Dauer-Reiskur dann doch ein gewisses Bedürfnis nach einem kräftigen Gewürzbrot mit Gruyere und Gurke. Okay, keine Beschwerden hier. Es ist ja nichts Neues, dass Reis die Kartoffel Asiens ist. Also will ich in Chiang Mai versuchen, die Folgen der Globalisierung in Form von Cafés und Ökobäckereien zu meiden, und stattdessen den kleinen Garküchen den Vorzug geben.

Mein Vorhaben hält sich ungefähr einen Tag, bis ich meine Zeit vornehmlich mit anderen Reisenden oder Aussteigern verbringe. Interessanterweise rennen die Gäste den Westketten wie »7 Elevens«, »Starbucks« oder den von Westlern betriebenen »Organic Bakeries« die Türen ein. Da ist es doch fast egal, wo man auf der Welt ist. Es ist hier (wie an so vielen Orten) inzwischen sehr leicht, sich sein westliches Umfeld zu rekonstruieren – Klima und Gesundheitsrisiken einmal ausgenommen. In vielen Teilen Asiens geht für Reisende momentan beides: Entweder man wählt die Hauptstraßen mit dem Erste Klasse-Leben und Verwöhnprogrammen wie Zuhause oder man macht eine Zeitreise und geht in die Seitengassen, schläft hinter Spanplatten, isst Reisgerichte und duscht kalt über dem »Squat-Loo« (Toilettenloch zum darüber hocken). Der einzige Luxus dabei ist der Gang zur Wäscherin, die für 20 Eurocent ein Kilo dreckiger Reisewäsche im Zuber wäscht.

Das Chiang Mai dieser beiden Extreme ist definitiv ein Ort, an dem es sich eine Weile sehr gut leben lässt. Die Touristen kommen, um das kulturelle Erbe Thailands zu sehen, das hauptsächlich aus buddhistischen Tempeln besteht. Die Aussteiger kommen, um bei angenehmem Klima und günstigen Preisen ihrer Selbstverwirklichung zu frönen. Bei meinem letzten Besuch hier vor fünf Jahren war Chiang Mai noch ein Geheimtipp, vom »Paket-Tourismus« fast unberücksichtigt. Lediglich einige wenige Magazine begannen, Elefanten-Safaris im nordthailändischen Regenwald anzupreisen. Seitdem haben die umtriebigen Thais einige Angebote aus dem Boden gestampft, die es durchaus mit den Abenteuer-Hochburgen Australien und Neuseeland aufnehmen könnten.

Den zahlreichen Rucksackreisenden entsprechend ist die Stadt gekennzeichnet von hunderten Hostels, kleinen Lokalen, die Currys und Shakes anbieten sowie Second-Hand-Bookstores, die uns Nomaden vom gelesenen Altpapier befreien und mit frischem Lesestoff versorgen. Zum Bild gehören auch die Angebote von Thai-Cooking-Classess, Outdoor-Adventures (Quad-Biking, Trekking, Mountainbiking, Climbing, White-Water-Rafting), Besuche der umliegenden Bergstämme, wie den »Karen« und Wellnessangebote für jeden Geldbeutel. Viele dieser Angebote sind von Thailändern. Allerdings bauen sich zunehmend viele »Expats« (von »Expatriates« mit auf Touristen abgestimmten Dienstleistungen hier eine Existenz auf.

In einer dieser Etablissements mit Westanleihen treffe ich eine Auswanderin auf Zeit und erfahre von ihr etwas mehr über Chiang Mai. In den vergangenen sechs Jahren soll die Stadt von beschaulichen 200.000 Einwohnern auf stattliche 1,2 Mio. angewachsen sein. Ein TukTuk-Fahrer macht daraus stolze 1,6 Mio. Was man der Stadt nicht anmerkt. Gerade die recht überschaubare Altstadt mit dem alten Wassergraben, den Stadtmauerresten, den vielen Tempeln und Kolonialgebäuden wirkt eher dörflich als großstädtisch.

Abends beim Bier in einer Bar werden mir zwei arg gebräunte Blondetten aus Deutschland vorgestellt. Sie arbeiten für ein Unternehmen in Chiang Mai, das »Secretary Services« anbietet. Sie offerieren mir gleich einen Job, werden allerdings etwas zurück haltender, als ich frage, was denn der Kern ihrer Aufgaben sei. Sie wüssten nicht, wie viel sie sagen dürften, man müsse es sich halt mal ansehen, wenn man wirklich Interesse hätte. Aha? Daraufhin muss ich das Gespräch doch etwas ausdehnen. Am Ende erfahre ich, dass der »Secretary Service« ein Call Center ist, das deutschen Anrufern vorgaukelt, sie sprächen mit der Vorzimmerdame eines Unternehmers in Deutschland. Vornehmlich Mittelständler bedienen sich dieses Angebots, das günstiger ist, als die Arbeitskraft in Deutschland. Davon mag man halten, was man will. Die beiden Blondinen bräunen sich jedenfalls täglich am Pool ihrer Villa.

Die anderen Langzeitbleibenden, die ich treffe, beschäftigen sich weniger mit derart oberflächlichen Bedürfnissen. Mike Tan überrascht mich mit seinem amerikanischen Akzent. Ich hatte ihn zunächst für einen Thai gehalten, da er offensichtlich asiatische Vorfahren hat. Seit drei Jahren lebe er in Chiang Mai, erzählt er beim Bier, und habe nach seiner Ausbildung zum Physiotherapeuten hier seinen Meister für Thai-Massage gefunden. Die sei, wie er mich belehrt, nicht die Art von Massage, wie sie Touristen erwarten. Ganz im Gegenteil, sei seine »Therapeutische Massage« sehr schmerzhaft, sagt er und nimmt dabei meinen kleinen Finger. Im Ruhezustand ist der Finger seit ich denken kann krumm. Mike streckt den Finger und wandert mit kräftigen Kniffen meinen Arm entlang zur hinteren Achselseite. Dort findet er einen Punkt und drückt fest darauf. Au! Ja genau, der Tonuspunkt dürfte bei mir seit Jahren an der Sehne ziehen, so dass mein »Pinky« (=kleiner Finger) etwas verkümmert sei. Na danke. Auf mein Erstaunen folgen Ausführungen über Meditation und darüber, wie diese ihm zunehmend Einblicke in die andere Seite der »Dualen Welt« gewähre. Es sei wie die Pille im Film »Matrix«, die er Stück für Stück einnehme und nun immer mehr von der Beschaffenheit der wirklichen Welt erkenne. Ich frage mich an dieser Stelle, ob mich das eine Bier so entrückt oder diese Konversation.

Egal, ob Massageschüler, Barbesitzer oder Fake Secretary: alle scheinen hier auf einem Trip zu sein. Überall sehe ich Plakate, auf denen Matrix-Bilder mit buddhistischen Motiven kombiniert sind. Meinem nichtexistenten Thai geschuldet kann ich nicht erkennen, wo was wann angeboten wird, daher bleibt die andere Seite der »Dualen Welt« für mich weiter ein Geheimnis. Womit ich allerdings leben kann, da ich noch ein straffes Programm auf dieser Seite der Welt vor mir habe.

So schlendere ich weiter durch die nächtlichen Gassen von Chiang Mai, die abwechselnd nach Curry, rohem Fleisch, Fischsauce oder frischer Wäsche riechen und stelle mir vor, wie ich morgen schon nach Kuala Lumpur fliege. Plötzlich tritt ein ungefähr 100-jähriger freundlicher Kauz auf mich zu. Die Zähne schwarz vom »Betelkauen, die Haut sonnengegerbt und faltig. Seine Augen funkeln, als er mir die Tarotkarten mischt. »Miss, I have good fortune for you! Just 100 Baht!«

Weise hat der Alte voraus gesehen, dass ich Thailand verlassen werde. Außerdem werde ich 96 Jahre alt – aber nur, wenn ich auf meine Gesundheit achte. Da trifft es sich gut, dass ich am nächsten Morgen in das vielfältige Malaysia fliege. Dort werde ich meine unfreiwillige Reis-Diät gern um Laksa, Kerabu Tau Geh und Roti Canai erweitern. Ele Jansen

Bildergalerie zu dieser Folge hier. Karte mit Routenverlauf und Etappenbeschreibungen hier.


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