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»329.758 km² Vielfalt«

Mit dem <em>kreuzer</em> auf die sieben Weltmeere – Der neue Blog auf <em>kreuzer</em> online (Teil 5)

  »329.758 km² Vielfalt« | Mit dem <em>kreuzer</em> auf die sieben Weltmeere – Der neue Blog auf <em>kreuzer</em> online (Teil 5)

Unsere »kreuzer-Auslandskorrespondentin« Ele Jansen hat sich auf große Fahrt begeben und berichtet in einem exklusiven Reise-Blog über ihre Erlebnisse vor Ort. In Malaysia wandelt sie auf grauem Asphalt, weißem Sand und grünem Moos.

Unsere »kreuzer-Auslandskorrespondentin« Ele Jansen hat sich auf große Fahrt begeben und berichtet in einem exklusiven Reise-Blog über ihre Erlebnisse vor Ort. In Malaysia wandelt sie auf grauem Asphalt, weißem Sand und grünem Moos.

Teil 5: »329.758 km² Vielfalt I«

Die Malaysier sind Malaysier. Und doch nicht. Zwar leben sie alle hier, ja. Aber im Grunde ist man doch Chinese, Inder, Indonesier; wenn auch in vierter Generation. Und im Zweifel ist man noch eher Muslim, Buddhist, Sikh, Taoist, Christ oder Hindu, bevor man Malaysier ist. Was allerdings nicht bedeutet, dass es keinen Nationalstolz gibt. Ganz im Gegenteil: Überall sehe ich die Nationalflagge und Plakat-Überreste des 50. Jahrestages eines eigenständigen Staates Malaysia aus dem Jahre 2007.

Mit KL (diese Abkürzung für Kuala Lumpur sei mir erlaubt, da es ein malaysisches Hobby ist, alles abzukürzen) war es für mich wie mit Partys. Die besten sind immer diejenigen, von denen man nichts erwartet hat. Völlig auf Landschaft, Dschungel, Meer und Häfen eingestellt, hatte ich mir von KL kein wirkliches Bild gemacht. Vor meinem geistigen Auge war es derselbe Moloch wie Bangkok oder Manila. Dementsprechend leichtes Spiel hatte die überraschend grüne Stadt, mir zunächst ein gütliches, dann ein andauerndes Lächeln zu entzaubern. Insgesamt wirkt KL auf mich wie eine Mischung aus Singapur (wegen der kolonialen Eleganz), Bangkok (wegen der anrüchigen Ecken) und Hamburg (wegen seiner vielen Parks und seiner unprätentiösen Weltgewandtheit).

Aber selbst zu Hochzeiten des Gewürzhandels dürfte Hamburg selten einen so betörenden Duft verströmt haben, wie er hier, durch die drückende Schwüle der Tropen, alle Sinne beschäftigt. Von Erdnüssen zu Pökelfleisch, über Jasmin und Chrysanthemen zu Räucherstäbchen und Abgasen. Die verschiedenen Gerüche wabern durch die geleeartig warm-feuchte Luft, und lassen einen immer wieder an Garküchen halten, in denen direkt am Straßenrand Laksa, Satay-Spieße oder »Ais Kacang«, einem beliebten Nachtisch aus zerstoßenem Eis, Bohnen, Mais, Nüssen, Kondensmilch und bunten Geleefäden, zubereitet werden.

Am »Merdeka-Square« im Stadtzentrum flattert neben dem ehemaligen Cricket-Rasenplatz am angeblich höchsten Fahnenmast der Welt die größte Fahne, die ich je sah. Hundert Meter misst der Monumentalriese, an dem seit der Unabhängigkeitserklärung (»Merdeka«) der Briten im Jahre 1957 die Malaysische Nationalflagge weht.

Der Platz ist umrahmt von alten Gebäuden unterschiedlichster architektonischer Prägung. Ich sehe das »Sultan-Abdul-Samad-Building«, das nun den Obersten Gerichtshof beherbergt. Der Stil ist eine Mischung aus viktorianischen, maurischen und Mogul-Einflüssen. Dieser Stilmix ist typisch für viele Prachtbauten in Malaysia. Gegenüber steht ein Fachwerk-Kolonialgebäude im Tudor-Stil. Dort treffen sich heute die elitären Herrschaften des »Royal Selangor Clubs«.

Besonders charmant finde ich das Schriftbild der Landessprache. Durch die verschiedenen Kolonialherren (Niederländer, Briten, Portugiesen) ist Malaiisch (Bahasa Malaysia) voll von Lehnwörtern; nur dass diese der Aussprache angepasst wurden. So ist der »Postcode« der »Poskod«, »Eis« wird zu »Ais« und der »Schulbus« der »Bas Sekola«. Zum »Bas VIP« mache ich mich auf, um über Nacht nach »Pulau Pinang« zu fahren. Nachdem die Niederländer Melakka zu einem der wichtigsten Kolonialhäfen der »Straße von Melakka« aufgebaut hatten, versuchten die Briten, etwas weiter nördlich ihre Bastion zu sichern. Die Insel Penang soll damals so unzugänglich gewesen sein, dass Captain Francis Light eine Salve Silbermünzen in das Landesinnere kanonieren ließ, um den Soldaten und Einheimischen einen Anreiz zu bieten, in das Dickicht vorzudringen und Siedlungen zu errichten. (Zur Kolonialgeschichte in der Region kann ich die Lektüre von Somerset Maugham, Joseph Conrad und Multatuli empfehlen. Letzterer hat mit seinem Buch »Max Havelaar« Ende des 19. Jahrhunderts Literaturgeschichte geschrieben, indem er die Verhältnisse der niederländischen Kolonialverwaltung im Archipelago kritisierte.)

Das koloniale Erbe zeigt sich in Penang, genauer gesagt der Altstadt namens Georgetown, vornehmlich in der Architektur. Die Eindrücke davon lassen sich allerdings eher durch Bilder als durch Worte beschreiben. Stattdessen möchte ich lieber eine Anekdote erzählen, die mir in der alten Garnisonsstadt passiert ist.

Eines lauen Abends habe ich in Georgetown eine Erfahrung gemacht, die nur alleinreisenden Frauen vergönnt ist. Am frühen Abend spaziere ich über die »Love Lane« (kein Scherz) als ein junger Mann – groß, schlank, dunkle kurze Haare, in Hemd und Leinenhose, sehr lässig – im Vorübergehen grüßt und fragt, ob ich glücklich sei. Verblüfft drehe ich zögernd den Kopf in seine Richtung und antworte »Quite so, if he wasn’t?« »Actually no, would you like to cheer me up and join me for a cup of milk tea?« Na klar. Wir laufen rum, reden über dies und jenes. Und immer wieder über sein Pech mit Frauen und wie viele er schon ausprobiert hat; darüber, dass er keine Hobbies hat, seit zwei Jahren auf Reisen ist, sein Internetgeschäft gerade den Bach runter geht und er sich langsam niederlassen möchte. Er redet über Spiritualität und die großen philosophischen Fragen des Lebens und unterbricht diesen Themenreigen nur gelegentlich, um sich nach dem Stand zu erkundigen, ob ich denn schon gewillt sein, mit ihm in ein Motel zu gehen. Erneut erntet er dafür ein freundliches Lachen, mit der Empfehlung, das Gespräch mit mir besser zu beenden, wenn er mit seinem Anliegen an diesem Abend noch Erfolg haben möchte. Obwohl ich nicht sein Fang bin, bleibt er und lässt sich von mir beraten, wie er sein Leben ändern soll. Ein letzter Anlauf, als er feststellt, dass unsere Namen – Ele und Lee – aus den gleichen drei Buchstaben bestehen. »Don’t you see the signs?« Nö. Wir laufen durch die nächtlichen Straßen und stehen bereits eine Weile vor meinem Guesthouse, als eine Französin vorbei läuft. Den Höhepunkt der Komödie hätte Woody Allen nicht besser schreiben können: »Hey, I saw you at 7eleven this afternoon! Fancy a cup of milk tea?« Zu mir gerichtet, bittet er um Verständnis, dass er sich auf Frauen ohne festen Freund konzentrieren müsse.

Meine Gesellschaft am nächsten Tag ist zwar weniger attraktiv, aber ähnlich aufregend. Der Fahrer des Minivans, der mich an mein nächstes Ziel bringen soll, hat einen stolzen Kugelbauch und einen Schnurrbart unter seiner gefälschten Ray-Ban-Brille. Sein Auftrag ist es, mich und vier andere Fahrgäste zu den Perhentian Islands and der Ostküste der malaysischen Halbinsel zu bringen. Es ist ein ambivalentes Vergnügen, sich auf Reisen immer wieder dem Gutdünken und den abenteuerlichen Fahrkünsten wildfremder Menschen auszusetzen. Jede Kurve der Strecke lässt meinen Adrenalinspiegel in ungeahnte Höhen steigen. Nach fünf Stunden habe ich mindestens soviel Wasser verloren wie Lewis Hamilton nach einem Rennen. Nicht minder atemberaubend ist die Natur, die ich im vorbeirasen erhasche: Morgengrauen über dem mal sanft, mal steil ansteigenden Urwald, Farnbäume, kleine Wasserfälle, große Seen. Und dazu die Klänge eines Uralt-Albums der Scorpions, zu dem unser Fahrer gediegen abgeht.

Ob ich unbeschadet auf den Perhentians ankomme, erfahrt ihr nächste Woche. Ele Jansen

Bildergalerie zu dieser Folge hier. Karte mit Routenverlauf und Etappenbeschreibungen hier.


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