Petra Peterhänsel kommt gerade aus einem Telefonat mit dem Vorstand der BMW AG, nichts Besonderes für sie. Sie nimmt Platz in dem kleinen Besprechungsraum im Leipziger BMW-Werk, ist konzentriert. Manchmal müsse sie sich an einem Tag alle 30 Minuten in eine neue Aufgabe und/oder Personenkonstellation reindenken, erzählt sie uns später. Von Wartburg über Opel und MAN ist sie 2012 zu BMW gekommen, wo sie mittlerweile so lange ist, dass sie ihre Berufsstation China mit K am Anfang spricht. In Polen, Russland und Belgien hat sie auch schon gearbeitet. Und in der DDR.
Frau Peterhänsel, wo wurde der erste BMW gebaut?
In meiner Geburtsstadt Eisenach. Mein Urgroßvater hat bei BMW in Eisenach gearbeitet, vor über 100 Jahren.
War Ihre Karriere in der Autoindustrie damit vorprogrammiert?
Ich habe 1982 in Eisenach bei Wartburg meine Lehre angefangen, obwohl das gar nicht mein ursprüngliches Ziel war. Ich wollte mal was anderes werden: Kindergärtnerin. Da musste man in der DDR so einen Sprachtest machen, also singen und ein Gedicht aufsagen. Ich war gut vorbereitet, aber dann an dem Tag stockheiser. Und das ist mir tatsächlich zweimal passiert. Dann hat meine Mutter zu mir gesagt: »Petra, jetzt kommst du zu Wartburg. Ich bin hier, deine Onkel sind hier, deine Schwester ist hier. Und so schlecht ist das nicht.«
Hätten Sie sich damals Anfang der Achtziger vorstellen können, dass Sie mal ein BMW-Werk leiten, noch dazu in Ostdeutschland?
Nein, definitiv nicht. Später – da war ich aber noch nicht bei BMW – hat mich mal jemand gefragt: »Wo willst du denn noch hin? Was möchtest du denn erreichen?« Da habe ich dann aber schon gesagt: Irgendwann möchte ich schon mal Werkleiter werden.
Die Wartburg-Produktion endete 1991, Opel übernahm das Werk in Eisenach. Und Sie?
Ich habe mich bei Opel beworben und war dann auch eine der ersten 200 Mitarbeitenden. In Eisenach selber war ich bis 98, in der Qualitätsprüfung und auch ein Jahr in der Produktion. Und dann bin ich in ein internationales Launch-Team zur Unterstützung für neue Werke für Opel und GM gegangen und so dann auch ins Ausland gekommen. Nach drei Jahren in Polen habe ich dann gesagt: Jetzt wird es Zeit für mich und das Team, dass eine Veränderung kommt. Ich bin dann zufällig einem der Vorstände von Opel über den Weg gelaufen und der fragte: »Sie sprechen Russisch, oder?« Ich sagte, ich hätte es in der Schule gelernt, vor 20 Jahren. Er sagte: »Wir machen ein Joint-Venture in Russland, mit Lada.« Und sechs Wochen später war ich dann schon in Toljatti und habe dort ein komplett neues Werk mit aufgebaut.
Ein steiler Aufstieg.
Ich habe einen Facharbeiter gemacht und dann Karriere. (lacht) Nachdem ich gemerkt hatte: Ich möchte mehr, ich kann mehr und ich traue mir auch mehr zu, habe ich 2001 angefangen zu studieren, also mit 35: Bachelor für Betriebswirtschaft, an der Hochschule Hamburg. Zu dem Zeitpunkt war ich in Russland, so dass ich freitags nach Deutschland geflogen bin und Klausuren geschrieben habe und dann wieder zurück.
Zu BMW sind Sie 2012 gegangen, waren erst knapp fünf Jahre in Dingolfing und dann in China. Wie kam es dazu?
Da war so ein Moment, wo ich gesagt hab: Ich würde gerne auch noch was anderes machen. Man hat ja Ziele, wo man arbeiten und die Kultur kennenlernen möchte. Und China hat mich schon immer gereizt – und so bin ich dann im September 2016 nach China, war da beim Anlauf von einem neuen Fahrzeug verantwortlich für alle Produktionstechnologien, also Karosseriebau, Lackiererei und Montage. Das umfasste ein Netzwerk über drei Standorte: China, USA und Südafrika. Also, ich bin manchmal in einer Woche um die Welt geflogen.
Seit Januar 2022 sind Sie für die Werksleitung in Leipzig verantwortlich. Gibt es einen typischen Arbeitstag für Sie in diesem Job?
Es gibt Tage, die sind fast immer gleich. Also, wenn jetzt meine Teamrunden sind, wenn Werkleitungskreis ist. Es gibt Tage, da sind die ganze Zeit Meetings oder Workshops. Und dann gibt es viele Tage, die extrem vielfältig sind. Zum Beispiel heute hatte ich eben ein Telefonat mit einem Vorstand, jetzt ein Interview, nachher ein Telefonat mit einem anderen Vorstand, später noch Eins-zu-eins-Rücksprachen und ein paar Vorbereitungstermine. Es ist tatsächlich manchmal so, dass alle halbe Stunde ein komplett anderes Thema ansteht und dann passiert es mir schon mal, dass ich in einer Runde sitze und kurz überlege, was das Thema jetzt ist.
Haben Sie dann trotzdem schon Zeit gehabt, die Stadt ein bisschen kennenzulernen?
Ja, erst gestern wieder. Ich habe einen längeren Spaziergang gemacht, quer durch die Stadt nach Markkleeberg bis zum Cospudener See und wieder zurück. Also 25 Kilometer durch die Stadt und das Umland. Ich kenne die Stadt natürlich, habe schon einiges erkundet. Und die Innenstadt ist ja wahnsinnig schön: Da entdeckt man immer wieder neue Sachen. Auch das Völkerschlachtdenkmal: Wenn ich im Training bin, renne ich da ab und zu die Treppen hoch und runter.
Was für ein Auto fahren Sie?
Vor ein paar Jahren habe ich überlegt – ich bin ja auch Motorradfahrer –: Kaufe ich mir ein Motorrad? Und dann habe ich mir gedacht: Zweisitzig, ja, aber dann nicht hintereinander, sondern nebeneinander. Das war eher Zufall, dass ich dann auf meinen BMW Z3 gestoßen bin. Aber ich fahre ihn immer noch und bin sehr froh drüber.
Dieses Modell fuhr Pierce Brosnan als James Bond. Haben Sie auch einen Q hier im Werk, der Ihnen das Auto immer wieder herrichtet?
Die Filiale der BMW-Niederlassung hier vorne am Werk kann ich nur empfehlen. (lacht)
Sie haben im November hier im Werk den Produktionsstart des Mini Countryman gefeiert. Dann kam im Dezember unvorhergesehen die Nachricht, dass der Umweltbonus, die staatliche Förderung zum Kauf von E-Autos, ausläuft. Wie haben Sie darauf reagiert?
Der Countryman läuft jetzt als Vollelektrischer bei uns im März an, deswegen hat das aktuell noch keinen Einfluss auf unsere Produktion hier. Was das insgesamt bedeutet, das bewerten wir natürlich und schauen, wie die Entwicklung überhaupt ist. Wir haben Ende des Jahres 2023 extrem viele vollelektrifizierte Fahrzeuge verkauft, mehr, als die Prognose gewesen ist.
Der Absatz von E-Autos ist im Vergleich zu den letzten Jahren aber 2023 deutschlandweit zurückgegangen.
Nicht bei BMW. Wir haben tatsächlich im letzten Jahr fast das Doppelte von dem gebaut, was wir 2022 gebaut und verkauft haben. Also, unsere Fahrzeuge laufen sehr, sehr gut. Man darf auch nicht vergessen: Wir reden jetzt über Deutschland. Aber 80 Prozent der Autos, die wir hier im Werk bauen, gehen in den Export. Und die internationalen Märkte entwickeln sich ganz unterschiedlich.
Der chinesische Autohersteller BYD und Tesla haben letztes Jahr weltweit die meisten E-Autos verkauft. Müssen deutsche E-Autos günstiger werden, damit sie konkurrenzfähig bleiben?
Das ist bei BWM nicht unsere Philosophie. Wir wollen nicht das günstigste Elektroauto bauen, wir sind im Premium-Segment unterwegs, und das sehr erfolgreich. Trotzdem gibt es aus unserem Haus mit dem elektrischen Mini ein für viele Menschen erreichbares Angebot.
VW muss in Zwickau Mitarbeitende entlassen, weil der Absatz der dort gebauten E-Autos nicht so hoch ist wie erhofft. Damit der elektrische Mini in Leipzig gebaut werden kann, hat BMW hier allein 800 Millionen Euro investiert. Was macht Sie optimistisch, dass sich diese Wette auf die Zukunft auszahlt?
Ich würde es nicht Wette auf die Zukunft nennen. Ich glaube, dass wir da sehr realistisch schauen, wie sich der Markt entwickelt. Wir bauen bei uns im Werk alle Antriebe – Verbrenner, Plug-in-Hybride und vollelektrische Fahrzeuge – auf einem Band. Wenn mehr Elektrische gefragt sind, können wir mehr bauen. Sind es die Verbrenner, dann bauen wir halt weniger vollelektrifizierte Fahrzeuge. Das heißt: Wir haben eine extrem hohe Flexibilität. Grundsätzlich wird E-Mobilität kommen, da hat bei uns niemand einen Zweifel dran. (Zwei Tage nach unserem Interview hat BMW bekannt gegeben, dass im Stammwerk in München ab 2027 nur noch E-Autos produziert werden, Anm. d. Red.)
BMW hat sich im Gegensatz zu anderen Autoherstellern kein Ausstiegsdatum bei den Verbrennern gesetzt. Ziehen Sie sich da nicht beim Klimaschutz aus der Verantwortung, wenn Sie die Nachfrage der Kundinnen und Kunden in den Vordergrund stellen?
Nein, das sehe ich nicht so. Ich glaube, wir als BMW haben wirklich eine ganz klare Strategie, auch zum Thema Nachhaltigkeit: Es geht nicht allein darum, wie viele elektrische Fahrzeuge verkauft werden. Es geht darum, mit der gesamten Lieferkette in Richtung Klimaneutralität zu gehen. Und da machen wir extrem viel. Nehmen wir mal das Werk in Leipzig: Wir haben Windräder, die können ungefähr 14 Prozent der Energie abdecken. Wenn wir Überkapazität haben, haben wir Batteriespeicher, die uns auch in der Grundlastabsicherung oder in Spitzen helfen können. Unser Ziel ist die Dekarbonisierung der Produktion. Dazu ersetzen wir nach und nach fossile Brennstoffe durch grünen Wasserstoff.
Was muss sich denn in Deutschland kurzfristig an der Infrastruktur für E-Autos ändern?
Zum einen haben wir uns ja in Deutschland vorgenommen, bis 2030 fünfzehn Millionen elektrifizierte Fahrzeuge auf der Straße zu haben. Jetzt sind es 1,5 Millionen. Dazu braucht es aber noch einen richtigen Hub beim Thema Ladesäulen-Infrastruktur. Die Geschwindigkeit, die man da aufbauen müsste, die wäre schon extrem.
Die Reduzierung des Individualverkehrs ist ein weiterer Ansatz, um die Mobilitätswende zu schaffen. – Was halten Sie eigentlich vom Radstreifen vor dem Leipziger Hauptbahnhof?
Es ist wichtig, dass man gemeinsam an Konzepten arbeitet, wie der Individualverkehr in der Stadt reduziert werden kann. Ja, wir wollen unsere Autos verkaufen, aber das heißt nicht, dass alle Autos in die Stadt rein müssen. Was ich schade finde, ist, wenn man sagt: Es müssen jetzt unbedingt mehr Fahrräder in die Stadt, und dass man einfach anfängt, Fahrradwege zu bauen, und dann merkt: Das ist jetzt aber richtig eng, jetzt wird es eigentlich noch schwieriger mit dem Verkehr in der Stadt. Ich sage immer: Wenn du es eilig hast, geh langsam. Bestimmte Konzepte sollte man sich doch gesamtheitlich anschauen.
Was meinen Sie damit?
Das fängt schon an mit der Anbindung des ÖPNV. Ganz weg vom Auto wird man nicht kommen, wenn wir uns das Umland anschauen. Es sind ja viele Menschen, auch Mitarbeiter von uns, die pendeln, die sind tatsächlich auch aufs Auto angewiesen. Die Frage ist: Inwieweit muss ich dann in die Stadt rein, was habe ich da für Angebote? Und da arbeiten wir auch gerne gemeinsam dran. Wir entwickeln ja auch elektrifizierte Zweiräder für die Stadt.
Wie intensiv ist da der Austausch zwischen BMW und der Stadt Leipzig?
Wir arbeiten in verschiedenen Gremien, ob das jetzt die Digitale Stadt ist oder der Runde Tisch Gemeinwohl, wo viele Vertreter von Industrie, Wirtschaft und Hochschulen beteiligt sind. Es geht natürlich darum, mit den Erfahrungen zu erkennen: Was gibt es schon alles für Möglichkeiten? Wo kann man denn mehr digitalisieren, wo ergibt es Sinn?
Allein durch die Gewerbesteuer erwirtschaftet BMW einen Großteil des Wohlstands in Leipzig. Dadurch sind Sie in einer komfortablen Verhandlungssituation gegenüber der Stadt.
Was heißt komfortable Situation? Wir verstehen uns als Partner der Politik und weisen darauf hin, was aus unserer Sicht funktioniert und was nicht. Wir wollen uns natürlich mit einbringen. Und ja, wir sind mit aktuell knapp 6.000 Mitarbeitenden einer der größten Arbeitgeber hier in der Region und wollen da auch unseren Beitrag entsprechend leisten. Nicht nur mit der Gewerbesteuer, sondern natürlich auch im Gespräch, um zu schauen, was man gemeinsam verbessern kann.
Sie wollen in diesem Jahr knapp 900 Leute einstellen. Wie schwer ist es für Sie, Mitarbeitende zu akquirieren?
Es ist aktuell schon eine Herausforderung, weil wir nicht nur Fachkräfte suchen. Wir sind dafür schon sehr, sehr weit außerhalb der Region Leipzig unterwegs, sind sehr international geworden. Wir haben 77 Nationen hier am Standort und das macht es natürlich in der Kommunikation nicht immer ganz so einfach.
Wie macht sich das bemerkbar?
Wir haben jetzt viele Mitarbeitende, die kein Deutsch sprechen oder wenig Englisch. Deshalb bieten wir Sprachkurse an in acht verschiedenen Sprachen. Und das ist auch extrem gefragt.
Es gibt Unternehmen in Sachsen, die beim Anwerben so lange wie möglich verschweigen, dass sie ihren Standort hier haben. Haben Sie hinsichtlich der politischen Situation in Sachsen negative Auswirkungen auf die Mitarbeitersuche bemerkt oder eine veränderte Stimmung im Werk?
Nein. Wir sind ja so ein kleines Ökosystem und das funktioniert sehr gut. Ich glaube, dass vieles gut funktionieren kann, wenn man die richtigen Weichen stellt, die richtigen Entscheidungen trifft. Wir haben uns dafür entschieden, sehr international zu sein und da auch keine Grenzen zu setzen. Und wenn alle in diesem Ökosystem miteinander arbeiten, entsprechend der Kultur und den Regeln, die wir gesetzt haben, dann funktioniert das – auch dadurch, dass die, die schon da sind, viel Positives erfahren. Unsere Mitarbeitenden merken ja, dass wir Fachkräftemangel haben, dass das ein Beitrag zur Lösung des Problems ist, dass da jetzt auf einmal ein Kollege da ist, der unterstützt, auch wenn er vielleicht noch nicht die Sprache spricht und erst mal Unterstützung braucht.
Frau Peterhänsel, der Vorstand ruft, deshalb nur noch eine Frage: Wann haben Sie das letzte Mal gedacht: Wäre ich doch mal lieber Kindergärtnerin geworden?
Das kann ich Ihnen sagen: vor 38 Jahren. Ich hatte da nämlich mit Kindern zu tun, während ich bei Wartburg gearbeitet habe. Da gab es ja Ferienlager und meine Mutter war verantwortlich für die Kinderbetreuung. Ich selbst bin mehr oder weniger im Ferienlager groß geworden. Und als ich dann bei Wartburg anfing, habe ich im Ferienlager die Kinder meiner Kollegen betreut. Auch wenn das Spaß gemacht hat, dachte ich mir dann irgendwann: Es war vielleicht doch gut, dass ich in die Automobilindustrie eingestiegen bin.
> Biografie: Petra Peterhänsel wurde 1966 in Eisenach geboren, war beim für die Ausbildung zur Kindergärtnerin erforderlichen Stimmtest zweimal krank und folgte dann ihrer Familie zu Wartburg, wo sie ab 1982 eine Lehre machte. Nach Stationen bei Opel und MAN in Deutschland, Polen, Russland und Belgien kam sie 2012 zu BMW, wo sie unter anderem auch in China gearbeitet hat und seit 2022 das Werk in Leipzig mit rund 6.000 Angestellten leitet. Sie fährt Motorrad und läuft Marathon.