Es waren programmatische Nuancen, die während des gestern zu Ende gegangenen Bachfestes aufhorchen ließen. »Bach-Mendelssohn-Reger« war das Motto des Festivals, das an 11 Tagen von über 60.000 Besucher erlebt wurde – ein Rekord
Es waren programmatische Nuancen, die während des gestern zu Ende gegangenen Bachfestes aufhorchen ließen. »Bach-Mendelssohn-Reger« war das Motto des Festivals, das an 11 Tagen von über 60.000 Besucher erlebt wurde – ein Rekord.
Über 2000 Mitwirkende insgesamt gaben knapp 100 Konzerte. Schon beim Blättern im Programm fiel auf, dass der Schwerpunkt auf dem Werk Mendelssohns, auf seinen selten aufgeführten und eingespielten Werken lag. Es war ein Festival, das sich dem erwachsenen Publikum verstärkt öffnete, dem jungen Publikum jedoch eher verschloss.
Das Bachfest startete mit einer phänomenalen Aufführung von Mendelssohns »Elias« (ausdrucksintensiv: der Berliner Ernst Senff-Chor) und mit Star-Geiger Nigel Kennedy, der etwa 8.000 Besucher auf den Augustusplatz lockte.
Zweifellos einer der Höhepunkte war das gemeinsame Konzert des Thomanerchores mit dem Dresdner Kreuzchor. Knapp 200 Jungen musizierten auf der Empore der ausverkauften Thomaskirche mit dem Gewandhausorchester und Gesangssolisten – neben Max Regers 100. Psalm auch Mendelssohns selten aufgeführtes »Lauda Sion« op.73. Nur zwei gemeinsame Probentage hatten die Chöre, was angesichts dieses absolut anspruchsvollen Programms eher wenig ist und für die Professionalität der Chöre spricht. Es ist erstaunlich, mit welcher Leichtigkeit die Knabenchöre die Klangfülle und Farbigkeit dieser Musik transparent machten, mit welchem inwendigen Leuchten in den Stimmen sie vor allem im Reger eine Klanggewalt erzeugen konnten, die unter die Haut ging. Das Publikum applaudierte erst einmal nicht, hielt lange inne, bevor Jubel und Bravi losbrachen und stehende Ovationen folgten.
Womit die Thomaner aufwachsen, nämlich mit Bachs Musik und wie Thomaskantor Biller es sagt, »mit dem Erlebnis vom großem Klang«, daran sollen möglichst viele Kinder und Erwachsene teilhaben können. Dafür engagiert sich der Thomaskantor, der einer der künstlerischen Direktoren des Bachfestes ist. Deshalb ludt er erstmalig zum »Offenen Singen« in die Lutherkirche. Gekommen waren Schulklassen und einige wenige Erwachsene. Gesungen wurde u.a. ein eigens komponierter, für nicht geübte Sänger durchaus auspruchsvoller Kanon, der – abgesehen von einigen Intonationsproblemen – gut bewältigt wurde und eine Ahnung von jenem großen Klang geben konnte. Das Bachfest öffnete sich also seinem Publikum. Ein schöner Anfang, dem hoffentlich Workshops, vor allem für junges Publikum, folgen werden. Zum Bachfest 2010 jedenfalls plant der Thomanskantor, das »Offene Singen« zu einem eigenständigen Konzert auszuweiten, in dem Publikum und Thomanerchor gemeinsam singen werden.
Was bot das Bachfest jungem Publikum in diesem Jahr noch? Leider nicht sehr viel. Von den knapp 100 Veranstaltungen gab es gerade Mal eine Handvoll für Kinder und Familien. Es ist eigentlich nicht nachvollziehbar, warum junges Publikum hier programmatisch ausgeklammert bzw. nicht ernster genommen wird. Und das, obwohl in diesem Jahr der Gesamtetat von 1,9 Millionen auf 2,05 Millionen Euro anstieg. Dennoch beschränkten sich die Angebote (und das seit Jahren!) – bis auf wenige Veranstaltungen – weitgehend auf Bastelaktionen und das Schreiben mit der Gänsefeder. Das kommt offensichtlich auch an: am Familientag erkundeten über 350 Kinder und Familien in der Alten Handelsbörse Mendelssohns »Sommernachtstraum« und verwandelten sich bastelnderweise in Elfen oder Baumgeister. Doch der Anspruch, der hierbei an die Kinder gestellt wird, ist eben nicht besonders hoch. Als Vermittler funktioniert das Bachfests nach wie vor eher nicht, wohl aber – und das wirklich herausragend – als Konzertpodium.
Viele Konzerte waren bereits lange im Vorfeld ausverkauft. So zum Beispiel Herbert Blomstedts »Paulus« im Gewandhaus, Bachs »Goldberg Variationen« mit Andreas Staier, oder die Uraufführung von Daniel Smuty. Weniger interessiert hingegen waren die Besucher am Auftragswerk des Bachfestes, das Japans bekanntester Gegenwarteskomonist, Toshio Hosokawa, schrieb. Nur knapp 200 Besucher ließen sich auf dieses für japanische Bambusflöte und Kammerorchester geschriebene Klangexperiment ein. Stärker als in den vergangenen Jahren zog es internationales Publikum nach Leipzig. Dreiviertel der über 60.000 Besucher kamen aus anderen Städten Deutschlands oder dem Ausland.