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Politik

»Wir sind der Verkehr!«

Wie Critical Masses die gleichberechtigte Teilnahme von Fahrradfahrern am Verkehr fordern

  »Wir sind der Verkehr!« | Wie Critical Masses die gleichberechtigte Teilnahme von Fahrradfahrern am Verkehr fordern

Wären sie Beamte, würden sie vermutlichen Dienst nach Vorschrift schieben. Denn wenn die Teilnehmer einer so genannten Critical Mass durch Leipzig radeln, halten sie sich buchstabengetreu an die Straßenverkehrsordnung – und führen sie dadurch ad absurdum

Wären sie Beamte, würden sie vermutlichen Dienst nach Vorschrift schieben. Denn wenn die Teilnehmer einer so genannten Critical Mass durch Leipzig radeln, halten sie sich buchstabengetreu an die Straßenverkehrsordnung – und führen sie dadurch ad absurdum.

Jeden letzten Freitag im Monat treffen sich Dutzende von Fahrradfahrern gegen 18.30 Uhr auf dem Augustusplatz, um von dort aus eine ungewöhnliche Fahrradtour durch die Straßen Leipzigs zu unternehmen. Das Besondere: die Teilnehmer der »kritischen Masse« nehmen es mit der Straßenverkehrs¬ordnung ziemlich genau. Denn die besagt, dass eine Gruppe von mehr als 15 Fahrradfahrern einen Verband bildet, der Straßenkreuzungen geschlossen überqueren darf, selbst wenn die Ampeln dabei auf Rot schalten. Ein größerer Verband von Fahrradfahrern kann eine Kreuzung somit für eine ganze Weile blockieren und den Autoverkehr dabei kurzzeitig lahm legen.

Kritische Fahrradmasse: Teilnehmer der letzten Critical Mass in Leipzig radeln für ihre Rechte
Offiziell treffen sich die Teilnehmer einer Critical Mass (CM) »völlig zufällig«, um gemeinsam mit Gleichgesinnten Fahrrad zu fahren. Die Termine werden allerdings in Internetforen, über Mundpropaganda und Flyer bekannt gegeben. Schnell wird klar, dass mehr hinter der Critical Mass steckt als eine gewöhnliche Fahrradtour. Sie stellt vielmehr eine friedliche Aktionsform dar, bei der Fahrradfahrer weltweit die Straßen für sich (zurück)erobern, indem sie gemeinsam ihrem Hobby nachgehen. Dabei verstehen sie sich selbst nicht als Demonstranten und unterwerfen sich auch keiner Anmeldepflicht oder festgelegten Routen. Denn getreu dem Motto »Wir sind der Verkehr!« wollen die Teilnehmer einer Critical Mass keine Sondergenehmigung für das aus ihrer Sicht Selbstverständliche einholen müssen: das Recht auf gleichberechtigte Teilnahme von Fahrradfahrern am Verkehr.

Stattdessen nehmen sich die Teilnehmer der Critical Mass dieses Recht im Rahmen der bestehenden Gesetze selbst. Indem sie als geschlossener Verband legal durch die Stadt radeln, kommunizieren sie ihr Anliegen: »Wir sind gleichberechtigte Verkehrsteilnehmer und wollen als solche wahrgenommen werden.« Und das geht in der Masse natürlich besonders gut. Die Form der Aktion wird damit gleichsam zu ihrer Botschaft, so dass Plakate oder Slogans nicht mehr notwendig sind. Eine andere Aktionsform wie beispielsweise eine angemeldete Demonstration käme aus Sicht der Teilnehmer nicht in Frage. »Der Gag wäre weg«, bringt es ein Radler auf den Punkt.

Schwer abschüttelbar: Polizeiwagen folgen den Radlern quer durch die Stadt
Die Polizei konnte die ersten kritischen Fahrradtouren durch Leipzig allerdings nicht so richtig einschätzen und löste die zweite Critical Mass im Mai kurzerhand auf. Dabei zog sie einen Teilnehmer ziemlich unsanft vom Fahrrad und führte bei den Übrigen Personenkontrollen durch. Mittlerweile haben die Ordnungshüter jedoch eingesehen, dass es gegen die kritische Fahrradmasse rechtlich kaum etwas einzuwenden gibt. Die Teilnehmer der dritten Critical Mass Ende Juni weigerten sich zwar, gemäß der Straßenverkehrsordnung einen »Führer« (!) als Ansprechpartner zu benennen. Dennoch stufte die Polizei die knapp 60 Fahrradfahrer nach einigen Diskussionen als Verband ein und folgte ihnen mit mehreren Einsatzwagen und einem Motorrad vom Augustusplatz kreuz und quer durch die Stadt zum Clara-Zetkin-Park. Den abschließenden Höhepunkt bildeten wie immer mehrere Runden um den Kreisel am Park, wodurch der Verkehr für einige Minuten zum Erliegen kam. Ende des Monats findet vermutlich wieder eine Critical Mass statt. Natürlich völlig zufällig …


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