Man kann es eigentlich gar nicht glauben und fragt lieber noch mal bei den einschlägigen Behörden nach. Im Strafgesetzbuch findet man dieses schier Unglaubliche unter § 201: »Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes«. Oder anders formuliert: Es gibt eine Abhöraffäre mitten im Herzen der Feinkost.
Man kann es eigentlich gar nicht glauben und fragt lieber noch mal bei den einschlägigen Behörden nach. Im Strafgesetzbuch findet man dieses schier Unglaubliche unter § 201: »Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes«. Oder anders formuliert: Es gibt eine Abhöraffäre mitten im Herzen der Feinkost.
Streitigkeiten um das Feinkost-Gelände sind längst nicht mehr neu. Lesen Sie hier exklusiv das große kreuzer-Dossier mit allen Artikeln, die seit 2004 zur Feinkost-Debatte veröffentlicht wurden.
Und das ist nur der drastische i-Punkt eines erbitterten Streits darüber, wer das Sagen hat. Geführt mit Mitteln, die sich schwer vereinbaren lassen mit dem Bild eines alternativen Szene-Idylls. In einer dieser gerade modischen Tag-Clouds, die verwendete Worte gewichten, wäre in Sachen Feinkost zurzeit »Polizei« ganz fett dargestellt, »Kunst, Kultur, Gewerbe« könnte man kaum lesen.
Zurück auf Anfang: Das Feinkost-Gelände, in Nachwendezeiten zum idyllischen Szene-Biotop mitten in der Südvorstadt mutiert, war nach einer massiven Kampagne gegen die ursprünglichen Sanierungspläne des Eigentümers – einer Treuhand-Restinstitution – und dem beherzten Eingreifen der Stadtverwaltung letztendlich für einigermaßen günstige 150.000 € an die »Kunst- & Gewerbegenossenschaft Feinkost« verkauft worden. Vor allem dank der bestens vernetzten naTo, die sich berechtigte Hoffnungen auf ein neues, von ihr federführend betriebenes Kulturzentrum machte, fand sich eine breite Lobby für das alternative Treiben.
Allerdings kam es zum Streit zwischen der naTo mit ihren Partnern und der Genossenschaft, die ihre Vision vom Kunst- und Gewerbehof durch die naTo-Pläne gefährdet sah. Es ging recht hässlich zur Sache, am Ende erhielt die Genossenschaft den alleinigen Zuschlag. Die naTo hat heute keine Ambitionen mehr. Eine Reihe von alternativ geprägten Händlern und Handwerkern hat sich bis heute hier angesiedelt. Die Unterstützung der Stadt ist ungebrochen. OBM, zuständige Dezernate und Ämter sind freundlich, 300.000 € Förderung gab es allein für die Sicherung des schwer maroden Südflügels. Sogar Wirtschaftsminister Thomas Jurk ließ sich das Genossenschaftskonzept vor Ort erklären. Ein Erfolgsmodell also?
Wohl eher ein Musterfall lustvoller Selbstzerfleischung. Was man in einer normalen Firma »Betriebsfrieden« nennt, ist bei der Genossenschaft gründlich ruiniert. Man verliert derzeit ganz schnell den Überblick darüber, wie viele juristische Verfahren von wem weshalb angestrengt wurden. Wegen unbefugtem Betreten, Nötigung, Körperverletzung, unberechtigter Kündigung, nicht gezahltem Gehalt, »vorsorglicher « Insolvenz aus »insolvenzfremden Gründen« oder – da ist die Polizei ganz amtlich genau – wegen der »Entziehung elektrischer Energie«, § 248c, weil für eine illegale Abhöranlage natürlich auch irgendwie Strom gebraucht wird.
»Wir hatten Kontakte zu vielen Genossenschaften in Deutschland, die haben alle die Erfahrung gemacht, dass es schwierig wird, wenn man keinen ›äußeren Feind‹ mehr hat.« Robert Linke zählt sich im Moment wohl zu den »inneren« und wirkt erstaunlicherweise fast verständnisvoll. Der 24-Jährige sieht mit seinen Rasta-Haaren wie der Prototyp der Feinkost-Zielgruppe aus, betreibt eine kleine Veranstaltungsagentur, hat ein Büro auf dem Feinkostgelände und ist – wie jeder Mieter – Genossenschafter. Seine Veranstaltungen finden auch im Absturz statt, der Szene bekannten Party-Location auf dem Feinkost-Gelände, die tagsüber ein Computerladen ist.
Im Absturz wiederum hatte der Vorstand der Genossenschaft sein Büro eingerichtet. Zu dem gehörte er – neben Katrin Roschig, einer altgedienten Feinkost-Kämpferin – seit Anfang 2008. Der Absturz gehört Sven Lachmann, einem Feinkost-Urmieter, der wiederum im Aufsichtsrat sitzt, dessen Aufgabe es naturgemäß ist, den Vorstand zu kontrollieren. »Das Büro im Absturz war ein Fehler. So lief Kommunikation nur über Dritte und es entstanden Gerüchte über unsere Arbeit«, sagt Linke heute.
»Am Anfang war ein ungutes Gefühl: Es passiert zu wenig!«, sagt der derzeitige Aufsichtsratsvorsitzende Frank Thiel. Er ist unübersehbar der Wortführer einer innergenossenschaftlichen Revolte. Denn das gegenseitige Misstrauen wächst. Wenn der Vorstand ins Infocafé einlädt, geht keiner hin. Auf den Hof wiederum geht der Vorstand irgendwann nicht mehr. Mieter fühlen sich schlecht informiert, es gibt Konflikte um ausstehende oder vermeintlich zu hohe Mieten, fehlende Stromzähler, und und und. Und vor allem den Verdacht, dass Vorstand und Absturz eine Art Selbstbedienungskartell bildeten, natürlich auf Kosten der anderen. Zukunftspläne gibt es nicht mehr.
Neben dem Klamottenladen Mrs. Hippie ist der Absturz der Publikumsmagnet der Feinkost. In der fragilen Genossenschaftsbefindlichkeit werden die Großmieter immer mal wieder argwöhnisch beäugt. Auch, dass Absturz-Partys in der Außenwahrnehmung als Kulturkonzept der Feinkost wahrgenommen werden könnten, ist, so Thiel, »schwer erträglich«. Obendrein gibt es Streit um die Nutzung des Gewölbekellers, wo vorwiegend Absturz- Veranstaltungen stattfinden, Argwohn und wohl auch ein wenig Neid wegen des gastronomisch orientierten Geschäfts, das ungeliebtes Partypublikum anzieht und das eigentliche Gewerbehofmodell einer Computerwerkstatt in den Hintergrund drängt. Gemeinsame Zukunftsplanung für das dramatisch sanierungsbedürftige Feinkost-Gelände findet anscheinend schon lange nicht mehr statt.
Irrititationen gibt es auch außerhalb. Als der Löffelfamilie e. V. eines Tages die Freifläche vor dem stadtbekannten Leuchtröhrendenkmal beräumt, flattert ihm eine anwaltliche Abmahnung der Feinkost-Genossenschaft auf den Tisch, die das als ungerechtfertigtes Betreten ihres Geländes betrachtet. Nach einem Gespräch wird das Problem zwar als fehlende Abstimmung geklärt. Aber es ist ja sowieso erstaunlich, dass die Feinkost nicht Mitglied ist in dem gemeinnützigen Verein zur Erhaltung der Löffelfamilie. Denn die ist praktisch ihr inoffizielles Wahrzeichen. Zur Eigenwerbung nutzen darf sie sie indes nicht.
Warum sich die Feinkost nach anfänglicher Mitwirkung überhaupt zurückgezogen hat, weiß heute niemand mehr so recht. Die Atmosphäre vergiftet sich zusehends, der Konflikt macht sich zum Beispiel am Müll fest, den die Absturz-Partys verursachen. Eines Nachts fliegen Flaschen in die Absturz-Fenster. Partybesucher seien das gewesen, meinen die einen, die anderen glauben an Hof-interne Missgunst. Sogar zu einer handfesten Prügelei zwischen Robert Linke und einem anderen Genossenschafter kommt es. Die Polizei muss schlichten.
Offiziell wird der Streit zur Generalversammlung der Genossenschaft im Mai. Die angestrebte Entlassung des Vorstands scheitert vorerst an der notwendigen Dreiviertel-Mehrheit – eine halbe Stimme fehlt. Dann wird ein Verfahrenstrick aus dem Hut gezaubert: Mit niedrigerem Quorum wird der Aufsichtsrat von vier auf neun Mitglieder aufgestockt. Klar, dass die neuen Mitglieder deutliche Mehrheiten mitbringen. Mit Haken und Ösen wird um das Recht des Aufsichtsrates zur Akteneinsicht gerangelt. Während die einen eine Verweigerungshaltung des Vorstandes unterstellen, macht der gewisse nötige Fristen und Verfahrensweisen geltend. Es kommt immerhin zu zwei Terminen. Das Ergebnis laut Thiel: »Wir gewannen den Eindruck, dass der Aufsichtsrat bei wichtigen Entscheidungen nicht gehört wurde.«
Pikant: ein kurzfristig geänderter Mietvertrag mit dem Absturz und eine damit verbundene langfristige Festschreibung von günstigen Konditionen. Ein klarer Fall von Kungelei? Reine Vorsichtsmaßnahme, hält Linke entgegen, es habe konkrete Anfeindungen gegen Lachmann gegeben, ihn so schnell wie möglich vom Hof zu drängen. Ein Zusatz zum Mietvertrag sollte dem vorbeugen. Als ein dritter ursprünglich vereinbarter Termin wegen Krankheit scheitert, kommt es zum Handstreich. Die Akten werden vor den Augen der geschockten Sekretärin aus dem Vorstandsbüro geholt. Da der Aufsichtsrat dazu durch die Geschäftsräume des Absturz muss, ruft Inhaber Lachmann die Polizei. Die nimmt nach einigem Hin und Her die Akten kurzerhand mit und will sie einige Tage später dem rechtmäßigen Vorstand wieder aushändigen. Als Linke die Akten abholen will, kommt es zur filmreifen Anekdote: »Da war doch vorhin schon jemand da!« Über Nacht hatte man einen kommissarischen Vorstand berufen, Roschig und Linke kaltgestellt.
Eine neue Generalversammlung bestätigt später diese Entscheidung. Diesmal gibt es nur eine Gegenstimme. Roschig und Linke klagen derzeit gegen ihre fristlose Kündigung und auf ausstehende Gehälter. Unterdessen geht der – so Linke – »Kindergarten« in der Feinkost weiter. Briefkastenschilder seiner Agentur und vom Absturz würden regelmäßig abgerissen, Personen, die sich auf ihre Seite gestellt hatten, gemobbt. Streit gibt es auch um eine Terminkollision des Feinkost-Hoffestes mit einem geplanten Absturz-Konzert. Auf der Webseite der Genossenschaft – die Domain gehört dem Absturz – prangt ein trotziges Anarchie-Zeichen. Die neue Adresse ist bei Google praktisch noch nicht auffindbar.
Alles andere als »Kindergarten«: Am 13. Juni wird auf dem Hof ein verstecktes Funkmikrofon entdeckt – offensichtlich dafür gedacht, mitzuhören, was am beliebten Treffpunkt besprochen wird. Und wieder muss die Polizei anrücken. Natürlich will es niemand gewesen sein, ob die Staatsanwaltschaft Anklage erhebt, ist noch nicht klar. Wie soll es weitergehen? Für Heike Graichen, im Moment kommissarischer Vorstand, ist klar: »Jetzt wird ernsthaft gearbeitet.«
Die Vorstandsstellen sind neu ausgeschrieben, Bewerber werden geprüft, diesmal sollen es Fachleute mit entsprechender Ausbildung richten. Außerdem gebe es jetzt ordnungsgemäße Sitzungen mit Einladung, Protokoll und Protokollkontrolle. Der Sanierungsplan für die Feinkost werde mit neuem Leben erfüllt. »Und«, so Graichen, »wir werden alle alten Projekte noch einmal ausgraben und prüfen.« Und Robert Linke? »In ein bis zwei Monaten kann man uns nicht mehr verantwortlich machen, wenn etwas noch nicht läuft.« So kann mans auch sehen. Fortsetzung wahrscheinlich.