»Schicken sie uns eine Webcam« – mit dieser wirren Aufforderung unterstützte Sabine Christiansen die Fernsehkampagne, zur Bundestagswahl im Herbst die Zuschauer zu beteiligen. »Mach mit!« lautet die Anrufung unserer Zeit, Interaktivität ist noch immer das Wort der Stunde. Interpassivität hingegen liest sich wie ein schillerndes Schlagwort, das wie eine anmaßende Gegenrede zum interaktiven Zeitgeist klingt.
»Schicken sie uns eine Webcam« – mit dieser wirren Aufforderung unterstützte Sabine Christiansen die Fernsehkampagne, zur Bundestagswahl im Herbst die Zuschauer zu beteiligen. »Mach mit!« lautet die Anrufung unserer Zeit, Interaktivität ist noch immer das Wort der Stunde. Interpassivität hingegen liest sich wie ein schillerndes Schlagwort, das wie eine anmaßende Gegenrede zum interaktiven Zeitgeist klingt.
Eine im Februar stattfindende wissenschaftliche Tagung strebt genau dies an und behauptet bereits im Titel: »Wir sind nie aktiv gewesen«. Die Koproduktion der Leipziger Forschungsgruppe Soziales e. V. und der Prüfgesellschaft für Sinn & Zweck lädt für zwei Tage Referenten ein, um über Interpassivität zu sprechen und zu streiten. Doch was meint das Wort eigentlich? Es ist genauso ein Sammelsuriumsbegriff wie Interaktivität, aber ist mit lustigeren Beispielen erklärbar. Meist als »delegiertes Genießen« übersetzt, geht es hier um Phänomene wie das Dosenlachen in Sit-Coms und walzende Gebetsmühlen, Pornodarsteller und Videorekorder, »Klageweiber« und Theaterschauspieler. Wenn andere für uns mitlachen, trauern oder schwitzen, Geräte für uns Götter anrufen oder Filme aufzeichnen, die wir nie schauen, mutet solches Delegieren zwar merkwürdig an, ist aber auch angenehm entlastend.
Daraus muss man nun keine großen Systemgebäude machen und die Interpassivität zur großen Theorie aufblasen, wie das einige Kulturwissenschaftler anstrengen und auf der Tagung sicherlich debattiert wird. Das ist mit der Blase Interaktion ja auch nicht gelungen. Als polemisches Mittel zum Sticheln taugt die interpassive Vokabel aber allemal. Und ein solches kann man gegen das tägliche Mitmachtheater, das auf allen Kanälen zur Beteiligung animiert, gut gebrauchen.
Paul Virilio hat einmal überspitzt die Interaktivität eine schlimmere Gefahr als die Radioaktivität genannt. Damit traf er auf der Ebene des individuellen Lebens einen guten Punkt: Während für die meisten hier lebenden Menschen die Gefahr, radioaktiver Strahlung ausgesetzt zu werden, zum Glück als eher entfernte Drohung im Raum steht, betrifft der interaktivistische Aufruf alle: Konsumiere, genieße, teile dich mit! Angesichts der pausenlosen Anrufungen ans Subjekt, als Entrepreneur immer vernetzt, up to date, dabei zu sein, nimmt sich Interpassivität als angenehmer Kontrapunkt zum Fetisch Interaktivität aus.
Aus dieser Perspektive ist natürlich auch die parlamentarische Demokratie als Form der Interpassivität skizzierbar: Man lässt sich halt regieren. Politische Mitbestimmung wird im Performance-Spiel der repräsentativen Maschinerie delegiert. Und damit sich genügend Menschen passiv beteiligen, flankieren interaktives TV-»Wahl-Watching« und andere Formate den Urnengang. Es ist eben alles eine Frage der Beschreibung und manchmal kann ein provokantes Schlagwort mehr Denkanstöße geben als Allgemeinplätze.
Die sollen mich einfach alle in Ruhe lassen. – Wenn Interpassivität nur das Verlangen nach Müßiggang zum Ausdruck bringt, hat es schon seine Berechtigung. Und so mag es in der Tat eine Entlastung sein, Christiansen & Co. eine Web-Cam zu schicken. Sollen sie doch ihren Dreck – um Sachsens letzten König zu zitieren – alleine machen.