Thomas Rigotti (35) forscht und lehrt an der Universität Leipzig zum Thema Arbeits- und Organisationspsychologie. Der kreuzer sprach mit ihm über den Zusammenhang von Arbeit, Erwerbslosigkeit und psychischer Gesundheit.
Thomas Rigotti (35) forscht und lehrt an der Universität Leipzig zum Thema Arbeits- und Organisationspsychologie. Der kreuzer sprach mit ihm über den Zusammenhang von Arbeit, Erwerbslosigkeit und psychischer Gesundheit.
kreuzer: Zu viel Arbeit macht krank, zu wenig oder unterfordernde Arbeit ebenfalls – und gar keine Arbeit zu haben, erst recht. Warum ist ein normales Verhältnis zur Arbeit so schwierig?
THOMAS RIGOTTI: Keine Arbeit zu haben ist der größere Risikofaktor für die Gesundheit, weil die Arbeit viele psychosoziale Funktionen erfüllt. Man hat die Möglichkeit, Erfolge zu erzielen und Selbstwert aufzubauen. Bei den Erwerbslosen ist der Anteil der psychisch Kranken doppelt so hoch wie bei den Erwerbstätigen. Dennoch gibt es viele Arbeits- und Kommunikationsbedingungen in Unternehmen, die potenziell krank machen. Seit 1997 ist der Anteil psychischer und Verhaltensstörungen bei Fehltagen um 80 Prozent gestiegen. Das zeigt, dass in der Arbeitswelt ein Wandel stattgefunden hat, der das Risiko erhöht, psychisch zu erkranken.
kreuzer: Was hat diesen Wandel verursacht?
RIGOTTI: Zum einen der zunehmende Flexibilisierungsdruck. Unternehmen, die sich im internationalen Wettbewerb befinden, sind gezwungen, auf Anforderungen flexibel zu reagieren, und greifen dazu oft auf befris-tete Verträge und Zeitarbeitnehmer zurück. Das alte Erwerbsmodell, von der Ausbildung bis zur Rente in einem Betrieb zu arbeiten, existiert heute kaum mehr. Aktuell kommt die Wirtschaftskrise dazu, bei einer hohen Erwerbslosenquote, die für Unsicherheit sorgt – und Unsicherheit ist ein großer Stressfaktor, denn es bedeutet, dass man keine Kontrolle darüber hat, was passiert. Ein weiterer Faktor ist der Wandel hin zur Dienstleis-tungsgesellschaft. Die Arbeitssituationen nehmen zu, bei denen es um zwischenmenschliche Interaktion geht, und dort findet eine Verschiebung statt von den physischen Anforderungen hin zu den psychischen.
kreuzer: Zu Beginn des Jahres forderte Hessens Ministerpräsident Roland Koch, dass Hartz-IV-Beziehende zur Arbeit verpflichtet werden müssten. Wie stehen Sie als Psychologe dazu?
RIGOTTI: Das halte ich für absolut kontraproduktiv. Das Bild des Sozialschmarotzers wird von bestimmten Medien transportiert, damit diese sich besser verkaufen, hat aber mit der Mehrheit der Langzeiterwerbslosen nichts zu tun. Sie leiden unter der Situation und möchten gern arbeiten. Ein hoher Prozentsatz von ihnen hat Depressionen, die mit geringem Selbstwert und Niedergeschlagenheit einhergehen und damit, dass man morgens nicht aus dem Bett kommt. Das sind Symptome, die von außen als Faulheit interpretiert werden, die aber Teil der Krankheit sind. Da noch mehr Zwang auszuüben ist der falsche Weg. Stattdessen sollte man für depressive Erwerbslose mehr Beratungsangebote und Therapiemöglichkeiten schaffen.
kreuzer: Keine Arbeit zu haben macht krank – wäre es da, zynisch gefragt, nicht ganz gut, Erwerbslose zu ihrem eigenen Besten zur Arbeit zu zwingen?
RIGOTTI: Es gibt Arbeit, die kränker macht als die Erwerbslosigkeit. Das sind die sogenannten Bad Jobs: Tätigkeiten, die schlecht entlohnt sind, keine Sicherheit bieten, eintönig sind, die ständige Abrufbereitschaft erfordern, keine Entscheidungsspielräume und Entwicklungsmöglichkeiten bieten. Bei denen also bloß die Arbeitskraft ausgebeutet wird.
kreuzer: Stichwort Ausbeutung: Selbstständige neigen dazu, 24 Stunden am Tag zu arbeiten bzw. auf Abruf bereit zu sein. Was empfehlen Sie ihnen, damit auch sie mal zur Ruhe kommen?
RIGOTTI: Dieses Problem betrifft nicht nur Selbstständige, sondern auch Beschäftigte mit Vertrauensarbeitszeiten. In solchen Fällen ist es gut, wenn man in seinem Kalender bewusst Auszeiten einplant. Es ist arbeitswissenschaftlich erwiesen, dass solche Pausen die Leistungsfähigkeit und Gesundheit erhalten.