Seinen Slogan »Tu nichts Böses« nimmt man Google schon lange nicht mehr ab. Im Sommer diskutierte ganz Deutschland über den für Jahresende angekündigten Start von Google Street View. Auch in Leipzig sind die Kamerafahrzeuge des Internetkonzerns unterwegs gewesen. Widerstand dagegen regte sich in der Heldenstadt nicht. Vor allem Netzaktivisten sind es, die in Google Street View nicht den Großen Bruder sehen, sondern einen Vorreiter für mehr Freiheit im Netz. Gründe, gegen den Geodienst zu sein, gibt es trotzdem genügend. Zwei unserer Autoren haben ihre Argumente pro und contra Street View zusammengefasst.
Seinen Slogan »Tu nichts Böses« nimmt man Google schon lange nicht mehr ab. Im Sommer diskutierte ganz Deutschland über den für Jahresende angekündigten Start von Google Street View. Auch in Leipzig sind die Kamerafahrzeuge des Internetkonzerns unterwegs gewesen. Widerstand dagegen regte sich in der Heldenstadt nicht. Vor allem Netzaktivisten sind es, die in Google Street View nicht den Großen Bruder sehen, sondern einen Vorreiter für mehr Freiheit im Netz. Gründe, gegen den Geodienst zu sein, gibt es trotzdem genügend. Zwei unserer Autoren haben ihre Argumente pro und contra Street View zusammengefasst.
PRO STREET VIEW
Verdreht, verdrängt, verpixelt
Der Diskurs um Street View war von Hysterie geprägt. Schade. Denn es wird Zeit, dass wir über unsere Daten sprechen
Man sollte Thilo Sarrazin dankbar sein, dass er mit seinen kruden Thesen das Sommerloch gestopft hat. Denn bis zur Integrationsdebatte musste Google Street View dafür herhalten. Nie zuvor wurde so heiß über Privatsphäre diskutiert wie in diesem Sommer. Nur leider war die Debatte an Oberflächlichkeit und Hysterie kaum zu überbieten. Ilse Aigner (CSU), die aus Datenschutzgründen gerne ihr Gesicht hinter Maßkrügen versteckt, warnte vor der »millionenfachen Verletzung der Privatsphäre« – zwei Jahre nachdem die Google-Autos durch Deutschland gerollt sind. So richtig will man ihr die Datenschutzqueen nicht abnehmen, stört sie sich doch auch nicht an staatlichen Datensammelaktionen wie ELENA oder der Vorratsdatenspeicherung. Schöne Schlagzeilen hat sie trotzdem bekommen, zum Beispiel in der Leipziger Volkszeitung.
Die füllte, wie fast alle Zeitungen, die Sommerlöcher auf der Titelseite mit Stimmungsmache gegen den Geodienst. Dabei bietet auch die LVZ virtuelle Rundgänge durch Leipzig an. Sie beruft sich auf das Panoramarecht – genau wie Street View. In derselben Zeitung appelliert ein Grünen-Stadtrat an die Bürger von Leipzig, bei Google von ihrem »Persönlichkeitsrecht« Gebrauch zu machen und Häuser zu verpixeln. Dumm nur, dass es dieses Persönlichkeitsrecht überhaupt nicht gibt. Das Widerspruchsrecht, das nur für Deutschland eingeführt wurde, war lediglich ein Entgegenkommen von Google. Die Ansicht des eigenen Hauses ist kein persönliches Eigentum, auch wenn das in der aufgeregten Debatte immer wieder suggeriert wurde. Und so macht sich Ilse Aigner lächerlich, wenn sie erklärt, dass sie die Umsetzung der Widersprüche kontrollieren will. Wenn Google es sich plötzlich anders überlegt, könnte sie dagegen gar nichts unternehmen. Jeder hat das Recht, Bilder vom öffentlichen Raum zu machen, egal ob Privatperson oder Unternehmen, ob mit oder ohne Stelzen.
Street View ist nichts anderes als die Öffentlichmachung des öffentlichen Raums. Durch ein profitorientiertes Unternehmen – klar, leider. Dass der Geodienst in der Debatte zum Killer der Privatsphäre abgestempelt wurde, war trotzdem reichlich überzogen. Der Kontrollverlust der eigenen Daten im Internet ist tatsächlich eines der großen Probleme unserer Zeit, das diskutiert werden muss. Doch mit der Fixierung auf Street View war das kaum möglich. Im Gegensatz zu komplexeren Internet-Themen ist Street View auch für Menschen greifbar, die in ihrem Leben noch nie eine E-Mail verschickt haben. Für sie steht auf einmal das Internet vor der Tür. Street View hat ihre Illusion zerstört, ein durch und durch analoges Leben zu führen. So glaubten sie, ihre Privatsphäre retten zu können, wenn sie ihr Haus verpixeln. Der Geodienst wurde zum Symbol für den Kontrollverlust der eigenen Daten. Doch der ist schon seit langem kaum aufzuhalten.
Ein Beispiel: Rentner aus Düsseldorf haben im August eine Bürgerinitiative gegen Street View gegründet. Sie wollten verhindern, dass ihre Häuser bei Google erscheinen, wollten das Internet aus ihrem Leben fernhalten. Die Rheinische Post berichtete über die Initiative. Vier Rentner gaben ein Interview, ließen sich bereitwillig fotografieren und wussten anscheinend nicht, dass die Zeitung längst auch online zu lesen ist. Nun kann man sich die vier auf der Webseite der Zeitung ansehen. Da stehen sie vor ihren Häusern, unverpixelt und mit vollen Namen.
Doch die Vier waren vorher schon längst im Internet angekommen.
Wer ihre Namen in eine Suchmaschine eingibt, findet Telefonnummern und Adressen aus dem Telefonbuch. Bei Microsofts Kartendienst bing kann man sich aus verschiedenen Blickwinkeln ansehen, dass sie in einem kleinen Block in einem beschaulichen Wohnviertel leben. Ein Schnäppchen sind die Mieten in der Straße nicht gerade, findet man bei Immo-Scout heraus. Im Handwerker-Verzeichnis steht, dass einer der Rentner in einem Ingenieurbüro für Bauwesen gearbeitet hat. Wem das noch nicht reicht, der kann sich über den Immobilienanbieter e-rent das Wohnviertel per Video noch etwas genauer ansehen. Aus dem fahrenden Auto gedreht und unverpixelt. Um das alles herauszufinden, braucht man kein einziges Mal Google zu öffnen.
Ja, es wird Zeit, dass wir über unsere Daten im Netz sprechen. Nur bitte nicht so hysterisch. Die Menschen sollten dafür sensibilisiert werden, wie schnell Daten miteinander verknüpft werden können. Wer Name und Adresse nicht Preis gibt, kann auch in einem Geodienst nicht gefunden werden. Ohne die Rheinische Post hätten wir die Häuser der Rentner übrigens nie zu Gesicht bekommen. Sie wohnen in einer kleinen Gasse. Da passt kein Auto durch. Martin Rank
CONTRA STREET VIEW
Geknipst, gescannt, verkauft
Die Debatte um Google Street View dreht sich in weiten Teilen um den Schutz der Privatsphäre. Vernachlässigt wird ein ganz anderes Problem: das der Kommerzialisierung des öffentlichen Raums
Die eigene Privatsphäre vor fremder Beobachtung zu schützen, ist nicht nur ein nachvollziehbarer Wunsch, sondern auch das Recht eines jeden Bürgers und zwar unabhängig davon, wie naiv er sonst mit seinen Daten umgeht. Die relevante Frage ist vielmehr, wo die Privatsphäre beginnt. Für den Street View-Enthusiasten Sascha Lobo ist klar, dass »die Fassade eines Hauses nicht zur Privatsphäre gehört.« In eine ähnliche Richtung geht der Versuch, Street View juristisch mit Hilfe der Panoramafreiheit zu legitimieren. Die findet sich in Paragraf 59 des Urheberrechtsgesetzes und besagt, dass die Abbildungen öffentlich sichtbarer Kunstwerke, dazu zählen auch Häuser, ohne Genehmigung verbreitet werden dürfen. Aber auch die Panoramafreiheit gilt nicht uneingeschränkt. Im Gesetz steht: »Bei Bauwerken bezieht sich diese Erlaubnis nur auf die Außenaufnahmen.« Zudem muss der Aufnahmestandpunkt ohne Hilfsmittel zugänglich sein. Die auf den Street View-Autos installierten Kameras befinden sich aber auf knapp drei Metern Höhe und spähen somit gerne über Sichtschutzzäune und Gartenhecken hinweg in Wohnzimmer hinein. Es geht also beim Reden über Street View nicht nur um Fassaden sondern auch um das Treiben dahinter, und das ist von Paragraf 201 des Strafgesetzbuches geschützt. Die unbefugte Bildaufnahme einer Person, die sich in einem gegen Einblick besonders geschützten Raum befindet, wird als Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereiches unter Strafe gestellt.
Offen bleibt zudem die Frage, wie es sich mit den Persönlichkeitsrechten der Personen verhält, die zur Zeit der Street View-Aufnahmen nicht hinter blickdichten Mauern ihre Privatsphäre genossen haben, sondern auf offener Straße von den Kameras erwischt wurden. Deren Recht am eigenen Bild versucht Google durch automatisches Verpixeln zu schützen. Was nach Angaben des Konzerns auch in 89 Prozent aller Fälle gelingt. Die Persönlichkeitsrechte der restlichen 11 Prozent werden der erheblichen finanziellen Mehrbelastung wegen, die eine manuelle Kontrolle der Bilder mit sich bringen würde, geopfert.
Aber neben all den – zugegeben typisch deutschen – Diskussionen über Kamerahöhen und Anonymisierungsquoten
und der CDU-Angst vor einer neuen Generation Street View-geschulter Einbrecher gibt es einen Punkt, der bei der bisherigen Diskussion unter den Tisch gefallen ist: Es geht auch um die Frage, inwieweit Street View den öffentlichen Raum kommerzialisiert. Enthusiasten feiern zwar die neue digitale Öffentlichkeit, die endlich ungezwungenes online-Flanieren in allen Städten der Welt ermöglicht. Aber eine genauere Betrachtung zeigt, dass Google eben nicht nur Zugänge zum öffentlichen Raum bereitstellt, sondern dass der Konzern sich den öffentlichen Raum via Street View aneignet.
Aber was genau ist eigentlich öffentlicher Raum? In einem 2006 vom Deutschen Städtetag entwickeltem Diskussionspapier wird dieser unter anderem dadurch definiert, dass er zweckfrei und zu jeder Zeit uneingeschränkt zugänglich sei. Er soll freie Begegnungen ermöglichen und den vielfältigen Interessen heterogener Nutzergruppen möglichst gleichmäßig gerecht werden. Daraus lässt sich unter anderem schließen: Ein privates Einkaufszentrum ist kein öffentlicher Raum. Aber was für den analogen öffentlichen Raum gilt, muss auch für den digitalen gelten. Es ist eben keineswegs so, dass Google freundlicherweise die Infrastruktur für eine von allen nutzbare digitale Öffentlichkeit zur Verfügung stellt. Vielmehr werden die von Street View eingefangenen Bilder zu urheberrechtlich geschützten Daten des Konzerns. Entsprechend aufbereitet und zusammengesetzt, wird daraus dann ein digitaler Freizeitpark, der, zumindest mittelfristig, vor allem als Werbeplattform dienen soll und wird. In diesem Zusammenhang ist auch die Speicherung von W-Lan-Daten zu verstehen. Google wollte, als es von seinen Kamerafahrzeugen aus auch private Drahtlosnetzwerke scannte, nicht den einzelnen User belauschen, sondern den Aufbau eines möglichst engmaschigen Lokalisierungsnetzes für kommerzielle Google Streetmap-Angebote vorantreiben. Letztlich ist und bleibt Google ein profitorientiertes Unternehmen, das vor allem an zielgerichtet auf den einzelnen User zugeschnittener Werbung verdient. Das macht Google noch lange nicht zur verteufelnswerten Datenkrake, aber eben auch nicht zum Vorreiter einer neuen demokratischen Netzkultur. Aber letztlich lautet das Konzernmotto ja auch »Don’t do evil« und nicht »Do good«. Philipp Piechura