Ereignisse, die wir uns gewünscht haben: Zum 20-jährigen kreuzer-Jubiläum haben wir Meldungen geschrieben, die wir immer schon mal schreiben wollten.
Der 19. März war ein harter Tag für Zoochef Jörg Junhold. Die Meldung vom Tod des Eisbären Knut und der damit einhergehende Einbruch der Besucherzahlen im Berliner Zologischen Garten stellten den Gondwanaland-Erbauer unter Zugzwang. An diesem Tag wurde Junhold klar, dass die kurz nach Weihnachten verstorbene Heidi wiederauferstehen müsse, damit die 67 Millionen Euro teure Tropenhalle nicht floppt.
Über Monate hinweg hatten TV-Stationen und Printmedien Geschichten über Heidi, das schielende Opossum aus dem Leipziger Zoo, verbreitet, die einzig auf Pressemitteilungen der städtischen Einrichtung basierten. Dass kein einziger Medienvertreter das Tier je zu sehen bekam, löste genauso wenig Argwohn aus wie das komplette Film- und Fotoverbot. Einzig vom Zoo zur Verfügung gestellte Fotos und angeblich neu gedrehte Videosequenzen, die ohne Nennung der Autorenschaft kostenlos vom Zoo bereitgestellt wurden, dienten als immer wieder publizierte Belege für Heidis Existenz. »Im Zeitalter der digitalen Bildbearbeitung ein Armutszeugnis für die heutige Journalistengeneration«, kommentiert der emeritierte Journalistik-Professor Michael Haller den Vorgang auf Anfrage.
Je näher aber der 1. Juli, der Tag der Gondwanaland-Eröffnung, rückt, umso prekärer wird die Lage für den Zoo selbst. Denn Heidi soll als Touristenmagnet herhalten, hat sich tatsächlich aber schon am 27. Dezember durch Ableben dieser Aufgabe entzogen. Zwei Monate später stand das Opossum in der ABC-Show von Jimmy Kimmel wieder vor der Kamera, um die Oscargewinner zu tippen. »Das war einer unserer lukrativsten Aufträge«, resümiert Claudia Becker vom Contactlinsen-Studio im Schuhmachergäßchen. Die von ihr kreierten Schiel-Linsen hatten dazu geführt, dass ein artverwandtes Tier die legendäre Heidi doubeln konnte.
Untersuchungen haben inzwischen aber ergeben, dass diese Variante nicht für den täglichen Betrieb der Gondwanaland-Halle taugt, da die Schiel-Linsen nach Ansicht von Tierärzten nur zwei Stunden am Tag getragen werden können. Nicht das einzige Problem für den Zoochef: Selbst ernannte sogenannte »Tierschutz-Aktivisten« wollen am 1. Juli gegen den Heidi-Hype protestieren. »Die Schiefstellung der Augen beruht einzig auf Überfütterung des Tieres«, kritisiert Bruce Friedrich, Pressesprecher der Tierschutzorganisation PETA, die angebliche Heidi-Mast.
Der Zoo wird trotzdem alles daransetzen, um das Tier, dessen Lebenserwartung bei nur vier Jahren liegt, unsterblich werden zu lassen. Momentan versuchen Zoo-Mitarbeiter, die Tatsache im Bewusstsein der Öffentlichkeit zu verankern, dass Beutelratten nachtaktive Tiere sind. »Wir müssen das Verständnis dafür wecken, dass Heidi tagsüber einfach nicht zu sehen sein wird, weil sie in ihrem Bau schläft«, heißt es in einer internen Vorlage des Zoochefs. Die jüngste Pressemitteilung trägt dem Konzept »Zoo der Zukunft« deshalb wieder Rechnung: »Es gehört für uns zum Artenschutzgedanken, tagsüber keine Tiere zur Schau zu stellen, die dadurch in ihrer natürlichen Lebensweise beeinträchtigt würden.«
Einen Ausgleich gibt es für Inhaber der Jahreskarte: Ihnen werden 20 Prozent Rabatt auf schielende Opossum-Figuren der Spielwarenmanufaktur Bad Kösen angeboten. Deren Geschäftsführer, Helmut Schache, räumt Probleme mit dem Modell ein: »Heidi ist das erste Tier, das wir nicht nach einem Originalmodell entworfen haben.« Der exklusiven Manufaktur, die ihre Figuren sonst am Original von Gestaltern nachzeichnen lässt, wurden vom Zoo nur Fotos zur Verfügung gestellt – eine Besichtigung des Tieres war nicht möglich.
Lutz Stordel