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Politik

Nach bestem Wissen und Gewissen

Der Leipziger Jugendamtsleiter Siegfried Haller steht unter Plagiatsverdacht

  Nach bestem Wissen und Gewissen | Der Leipziger Jugendamtsleiter Siegfried Haller steht unter Plagiatsverdacht

Die Mitglieder der Internetplattform VroniPlag werfen Siegfried Haller grobe wissenschaftliche Mängel in dessen Doktorarbeit vor. Dieser weist die Anschuldigungen zurück und pocht auf eine mangelnde Aufklärung über die geltenden Standards.

Dem Leiter des Leipziger Amtes für Jugend, Familie und Bildung wird vorgeworfen, bei seiner Doktorarbeit unsauber gearbeitet zu haben. Haller wies die Plagiatsvorwürfe am Montag auf einer Pressekonferenz zurück, schloss jedoch eine mangelnde Einhaltung wissenschaftlicher Standards nicht aus.

Die Website VroniPlag, die durch die Aufdeckung von Plagiaten in der Doktorarbeit der FDP-Europaabgeordneten Silvana Koch-Mehrin bekannt geworden war, hatte die Vorwürfe gegen Haller publik gemacht. Deren Mitglieder untersuchen derzeit die 2003 erschienene Dissertation mit dem sperrigen Titel »Das Sanierungsgebiet Hemshof in Ludwigshafen am Rhein. Eine Bilanz von 30 Jahren baulicher Erneuerung und sozialer Veränderung«. Dabei fanden sie eigenen Angaben zufolge auf den ersten 120 der insgesamt knapp 400 Seiten bereits »44 Seiten mit mehr als 75 Prozent Plagiatstext«.

Zuvor hatte bereits ein anonymer Anrufer die Martin-Luther-Universität Halle, an der Haller seine Dissertation verfasst hatte, über den Plagiatsverdacht informiert. Die Hochschule richtete daraufhin eine Prüfungskommission ein, welche die Vorwürfe untersuchen wird. Sollte sich der Plagiatsverdacht bestätigen, droht Haller die Aberkennung seines Doktortitels.

»Die Doktorarbeit stammt von mir. Und dort, wo sie Fehler enthält, wo sie wissenschaftlich nicht korrekt arbeitet, sind das meine Fehler«, sagte der Jugendamtsleiter, der auch an der HTWK als Dozent und Prüfer tätig ist, am Montag. Allerdings wies er darauf hin, dass er sich in seiner früheren Funktion als Stadtentwicklungsplaner in Ludwigshafen sehr intensiv mit der Thematik beschäftigt habe: »Diese Arbeit stammt von mir, die gesamte Komposition, der gedankliche Ansatz, die Struktur und die Fußnoten. Große Teile sind ausschließlich von mir erforscht. Genau das, worum es in der Dissertation geht, war mein Thema. Ich habe daran fast zwölf Jahre lang geforscht.«

Professoren der Uni Halle hätten ihn zu der Arbeit ermutigt, die dann in seiner »Freizeit, an Wochenenden und im Urlaub, quasi als Hobby« entstanden sei. Dabei habe er, so Haller, auf Schriften zurückgegriffen, die er in seiner Zeit als Stadtentwickler in Zusammenarbeit mit anderen Mitarbeitern veröffentlicht hatte und deren Material er für die Dissertation aus der Schriftenreihe »herausgenommen, verwendet und aktualisiert« habe.

Doch die auf VroniPlag veröffentlichten Vorwürfe beschränken sich nicht nur auf unsauber zitierte Publikationen der Stadt Ludwigshafen, sondern umfassen auch die Übernahme längerer Textpassagen aus Veröffentlichungen von Bundesämtern. Auf der Website heißt es dazu beispielsweise: »Das Kapitel 1.4.1 ist fast wörtlich aus einer Publikation des Bundesamtes fuer Bauwesen und Raumordnung übernommen, mit minimalen Anpassungen. Als Quellenverweise dienen lediglich eine Fußnote an der Kapitelüberschrift zu Kapitel 1.4: ›Text folgt in Auszügen dem hervorragenden Überblick in: [...]‹, sowie ein korrekter Quellenverweis für eine übernommene Grafik auf Seite 15 der Dissertation. Durch diese Verweise erschließt sich dem Leser keineswegs, dass das ganze Kapitel wörtlich übernommen ist.«

In der Tat findet sich auf den monierten Seiten außer der besagten Fußnote in der Überschrift keine weitere Quellenangabe. Zudem sind die wörtlich aus der Publikation des Bundesamtes übernommenen Passagen nicht durch Anführungszeichen als Zitate kenntlich gemacht – eine Vorgehensweise, die gemessen an wissenschaftlichen Standards zumindest fragwürdig ist.

Haller verteidigte sich auf diesen Abschnitt Bezug nehmend: »Im ersten Teil habe ich eine kurze theoretische Einführung gemacht. Und in dieser theoretischen Einführung auch Arbeiten zitiert und zum Teil auch wörtlich übernommen. Nach meinem Eindruck sind diese nachvollziehbar wörtlich übernommen.« Dann spielte er den Ball zurück an die Uni Halle: »Ich bin damals nicht aufgeklärt worden, was wissenschaftliche Standards sind.« Er habe die Arbeit daher entsprechend seiner Studienzeit in den 70er Jahren nach »bestem Wissen und Gewissen verfasst«.

Der Plagiatsforscher Stefan Weber lehnt Hallers Begründung mit Verweis auf dessen umfangreiche Publikationsliste entschieden ab. Auf seinem Blog schreibt er: »Es handelt sich nicht nur um einen ›reinen‹ Amtsleiter – dem könnte man das vielleicht noch abkaufen –, sondern um einen – siehe Schriftenverzeichnis mit mehr als 100 Publikationen – Diplom-Soziologen und Sozialpsychologen. Da verschlägt es mir schon die Sprache. Dieser weiß nicht, was ein korrektes Zitat ist? Wie soll das gehen?« Weber deutet die Aussage des Jugendamtsleiters daher als Versuch, »der Universität Mitschuld an seinem wissenschaftlichen Fehlverhalten« zu geben.

Auch Heinz Sahner, emeritierter Soziologieprofessor an der Uni Halle und einer der Gutachter der Dissertation, weist die Entschuldigung zurück: »Ich denke, wenn sich Herr Haller an die wissenschaftlichen Standards gehalten hätte, auch an jene, die in den 70er Jahren gegolten haben, wäre er jetzt nicht in diesen Schwierigkeiten.« Eine spezielle Aufklärung erachtet er als unnötig. »Wir gehen davon aus, dass jemand, der eine Dissertation schreibt, die Standards kennt«, so Sahner gegenüber der Mitteldeutschen Zeitung. Die anscheinend fehlerhaften Zitate seien ihm bei der Korrektur jedoch offenbar verborgen geblieben.

Sahner hat auch andere Erinnerungen an das Zustandekommen der Doktorarbeit: »Herr Haller ist an uns herangetreten, ob wir das nicht übernehmen könnten.« Diesen Weg habe man ihm nicht verbauen wollen. Haller habe damals jedoch ausgeschlossen, neben seiner Tätigkeit als Amtsleiter noch ein neues Thema erarbeiten zu können. Deshalb habe man sich darauf geeinigt, dass er das Thema der Stadtentwicklung in Ludwigshafen aufarbeiten solle.

Der 1954 geborene Haller war im Jahr 2000 von Ludwigshafen nach Leipzig gewechselt. Hier übernahm er die Leitung des Jugendamtes. Seit April 2011 führt er das neu geschaffene Amt für Jugend, Familie und Bildung. Im Jahr 2004 erhielt Haller zu dem einen Lehrauftrag an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig. Vertreter der Stadt waren für eine Stellungsnahme nicht zu erreichen.


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1 Kommentar(e)

masche 27.07.2011 | um 01:35 Uhr

ISt schon krass welche kreise das alles zieht mit den Plagiatoren. Dass er von wissenschaftlichen Standards nichts gewusst haben will ist doch wohl frech! Ein Glück dass man heutzutage diese Arbeiten überprüfen kann und dass das nicht irgendwelchen Professoren vorbehalten ist. So sieht Demokratie aus würde ich sagen