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Kultur

»Die Begrenztheit des Lebens ist ein Geschenk«

Andreas Dresen über seinen neuen Film »Halt auf freier Strecke« und die Auseinandersetzung mit dem Tod

  »Die Begrenztheit des Lebens ist ein Geschenk« | Andreas Dresen über seinen neuen Film »Halt auf freier Strecke« und die Auseinandersetzung mit dem Tod

Der Regisseur holt mit seinem neuen Film das Sterben auf die Leinwand. Den Krebstod eines Familienvaters und Paketpostarbeiters. »Halt auf freier Strecke« ist wegen seiner Lebensnähe, mit der es Dresen immer wieder vermag, zu berühren, der Kreuzer-Film des Monats. Im Interview erzählt Andreas Dresen, wie es zu diesem Film kam und wieso es kein Drehbuch gibt.

kreuzer: Sterben und Tod ist ein Thema, mit dem man sich meistens erst beschäftigt, wenn man direkt damit konfrontiert wird. Was war Ihr persönlicher Ausgangspunkt für diesen Film?

ANDREAS DRESEN: Bei vielen Freunden wurde das immer mehr zum Thema, als deren Eltern gestorben sind. Mein Vater ist ebenfalls vor zehn Jahren an einem Hirntumor gestorben, allerdings ganz anders, als wir das hier im Film zeigen. Dadurch war bei mir persönlich ein Boden bereitet für diese Art von Geschichte. Wenn mir Freunde erzählt haben, wie sie das Sterben erlebt haben, kamen wir immer mehr darauf, dass diese Erfahrungen, so wie sie im Alltag vorkommen, im Kino merkwürdigerweise nicht auftauchen.

kreuzer: Obwohl im Kino ja recht zahlreich gestorben wird…

DRESEN: Ja, das ist paradox. Im Kino wird massenweise gestorben, aber auf eine sehr oberflächliche Art. Der Krebsfilm ist ja mittlerweile fast schon ein eigenes Genre. Aber die meisten Filme sentimentalisieren das Thema oder benutzen es als dramaturgisches Vehikel für andere Geschichten. Die berühmte letzte Reise ans Meer oder irgendeine Amour Fou, die man noch erlebt.

kreuzer: Wie haben Sie das Drehbuch entwickelt? 

DRESEN: Es gab gar kein Drehbuch. Der Film ist komplett improvisiert. Wir haben vier Monate recherchiert, mit Ärzten, Palliativmedizinern, Leuten im Hospiz und mit Menschen gesprochen, die ihre Angehörigen verloren hatten. Das war schon eine sehr erschütternde Erfahrung, weil ich viele dieser intensiven Gespräche nicht wieder in meinem Alltag verdrängen konnte. Aus dieser umfangreichen Materialsammlung haben wir den Film gebaut.

kreuzer: Die Familie im Film entscheidet sich dafür, dass Frank zu Hause sterben soll. Haben Sie sich auch mit anderen Sterbesituationen beschäftigt?

DRESEN: Wir waren auch im Hospiz, für mich war aber von Anfang an die Situation, dass Frank zu Hause stirbt, sehr viel interessanter, weil das die Chance eröffnete, das Thema zu erweitern. Es geht ja nicht nur um das Thema Sterben, sondern auch darum, wie sich eine Familie dieser Aufgabe stellt, daran wächst und schließlich in einer friedlichen Situation zusammenfindet. Der Film will ja auch ins Leben zurückführen. Wenn man vom Sterben erzählt, erzählt man auch darüber, wie leichtfertig wir an den kleinen Schönheiten des Lebens vorbeigehen.

kreuzer: Warum tut sich unsere Gesellschaft so schwer, den Tod als Teil des Lebens zu akzeptieren?

DRESEN: Wir müssen ja alle schön, reich und erfolgreich sein und da passen negativ belastete Dinge wie der Tod einfach nicht in unser Wertesystem. Aber letztendlich ist der Tod eine evolutionäre Notwendigkeit. Wir gehen und schaffen Platz für Neues. Ein Mensch stirbt und es kommen neue Menschen mit neuen Ideen. Das ist Evolution. Auf diese Art entwickelt sich die Welt. Wenn man sich dagegen den Gedanken der Unsterblichkeit anschaut – das wäre doch schrecklich, wenn unser Leben ohne Punkt und Komma dahin fließen würde. Die Begrenztheit des Lebens ist ein Geschenk.

kreuzer: Ist Trauer leichter zu verarbeiten, wenn man den Prozess des Sterbens miterlebt hat?

DRESEN: Unser Leben ist so schnell und anspruchsvoll geworden, das man vielen Dingen im familiären Zusammenhang kaum noch gewachsen ist und ausgelagert werden: Die Erziehung der Kinder, die Pflege der Alten und letztlich auch das Streben. Vor hundert Jahren war es noch selbstverständlich, dass drei Generationen unter einem Dach lebten und jeder hat es miterlebt, wenn der Großvater gestorben ist. Der Leichnam lag meistens noch eine Nacht in der Wohnung. Man konnte ihn anschauen, anfassen, riechen und dadurch war der Tod weniger mit diesem Fremden und Düsteren belegt.

kreuzer: Frank arbeitet im Paketzentrum, seine Frau als Straßenbahnfahrerin. Die Familie lebt in einem kleinen Reihenhaus am Rande Berlins. Warum haben Sie die Geschichte in diesem Milieu angesiedelt?

DRESEN: Mich wundert es immer, dass die Menschen, die der Motor unserer Gesellschaft sind und ganz praktische Tätigkeiten verrichten, so selten in Filmen vorkommen. Aber darüber hinaus wollten wir die Geschichte nicht über intellektuelle Figuren erzählen, die die Situation großartig reflektieren und philosophische Traktate verfassen. Die Menschen in unserem Film gestalten ihr Leben ganz praktisch und so stellen sie sich auch dieser Situation.

kreuzer: Wenn man einen Film über ein Tabuthema wie dieses macht, muss man auch damit rechnen, dass das Publikum sich nicht damit auseinandersetzen will. Inwieweit haben solche Gedanken in der Konzeption des Filmes eine Rolle gespielt?

DRESEN: Ich finde es einen grundsätzlich falschen Ansatz darüber zu spekulieren, wie viele Zuschauer in einen Film gehen werden. Man muss erst einmal ein Sujet finden, was einen vom Herzen her interessiert. Wenn man das ehrlich macht, berührt man vielleicht die Menschen und hat dann die Chance ein Publikum zu erreichen. Das Kino ist ein Ort, an dem man sich auch mit existenziellen Fragen beschäftigen kann. Und vielleicht gibt es ja ein paar Menschen, die ihre Berührungsängste überwinden und feststellen, dass sie das Kino befreiter verlassen.


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