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Konzertkritik

Folge dem Schwein

Das Leben im Geräusch von der Geburt bis zum fertigen Tellergericht

  Folge dem Schwein | Das Leben im Geräusch von der Geburt bis zum fertigen Tellergericht

Matthew Herbert spielt im Centraltheater das Leben eines Schweins als Geräuschperformance nach.

Fünf schlaksige Männer zupfen, zerren und kneten in einem etwa vier Quadratmeter großen Gehege an vier parallel-horizontal verlaufenden Zaunsträngen aus elastischem, orangenen Band. Dabei entsteht ein Sound, der kaum mehr als ein solcher ist. Klänge ineinander verwoben, zusammenhanglos, ohne den (roten) Faden, der offensichtlich malträtiert wird. Wir befinden uns im Centraltheater am Sonntagabend bei einem Gastspiel des englischen Experimental-Elektronikers Matthew Herbert, der in »One Pig«, dem dritten Teil seiner One-Trilogie, den Weg eines Schweins von der Geburt bis hin zum fertigen Tellergericht zeigt. Wir wissen, worum es geht.

Folgen wir also dem Tier:

Die Geburt, dargestellt durch Strohgeraschel, geht schnell. Für Herbert wird, als er die Bühne betritt, respektvoll applaudiert, aber die Angst ist da, dabei seine Performance zu zerstören, erst als er sich lächelnd verbeugt, fällt der Begrüßungsapplaus des nahezu ausverkauften Parketts enthusiastischer aus. Der Macher steht im Halbdunkel, während nun im Gehege von einem der Kittelträger wild an den Zaunbändern herumgezogen wird. Langsam beginnt man zu verstehen, dass die Stränge bestimmte Sounds erzeugen, zum Beispiel das Grunzen des Schweines. Je nachdem, wie gezogen wird, sind die Geräusche mit Hall, Delay oder sonstigem Effekt belegt. Eine nette Idee.

Durch fünf verschiedene Kittel, auf deren Rücken »SEP« bis »JAN« steht, geht die Zeit mit sphärischen bis technoiden, noisigen Klängen voran, bis das »Schwein« in einem wiederum roten Kittel sein Gehege verlässt und auf die Schlachtbank geführt wird, natürlich nur mit dem Mittel der Musik. Tropfenklänge und Messerschärfen untermalen nun, wie ein Koch ein Gericht zubereitet, dessen Duft ein Ventilator ins Publikum bläst. Die wirren Klänge verbinden sich, wie das Gericht, langsam zu einem beeindruckenden Deep-House, der abrupt endet und in ein Pianostück in Dur umschlägt, zu dem Herbert – inzwischen mit seinen vier Musikern am gerichteten Tisch stehend – das einzige Gesangsstück zum Besten gibt. Ohne das Mahl angerührt zu haben, verschwinden die Kittel von der Bühne. Vorbei. Applaus.

Eine Stunde dauert das Leben des Schweins, die Geburt etwa dre Minuten, das Leben zehn Minuten, die restliche Zeit gehört dem Sterben.

Das alles kann man interessant, faszinierend, provokativ oder beknackt finden, unterhaltsam und fesseln ist es allemal, aber dass Massentierhaltung kein Optimum darstellt, ist sicherlich jedem klar. Herbert hat uns nichts erzählt, was wir nicht schon wussten und das war dazu noch derart plakativ dargestellt, dass auch der letzte die Botschaft verstanden hat. Vom musikalischen Standpunkt her, ist Matthew Herbert ein Meister und einer der besten auf seinem Gebiet. Der grandiose Sound im Centraltheater tat seiniges dazu, dass man gefangen und erst nach dem Mahl, welches am Ende tatsächlich dem Publikum vorgesetzt wurde, wieder befreit wurde. Plakativität hin oder her.


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