Valérie Donzelli ist seit 1998 als Schauspielerin und Regisseurin im französischen Fernsehen und Kino präsent. In ihrer neuen Regiearbeit »Das Leben gehört uns« erzählt sie die Geschichte des jungen Paares Roméo und Juliette, die erfahren, dass ihr zweijähriger Sohn an einem schwer heilbaren Hirntumor erkrankt ist. Die Geschichte beruht auf den eigenen Erfahrungen von Valérie Donzelli und ihrem damaligen Lebensgefährten Jérémie Elkaïm, die beide im Film auch die Hauptrollen als Eltern des krebskranken Kindes übernommen haben. Die Kritik zum Film können Sie im aktuellen kreuzer nachlesen.
kreuzer: »Das Leben gehört uns« basiert auf Ihren eigenen Erlebnissen mit Ihrem an Krebs erkrankten Sohn. Wie haben Sie entschieden, welche Ihrer Erfahrungen realistisch in den Film mit einfließen und wo die Geschichte fiktionalisiert wird?
VALÉRIE DONZELLI: Die Frage haben wir uns so nicht gestellt. Es ging uns nicht darum, möglichst viele unserer eigenen Erlebnisse in den Film zu verarbeiten. Zuerst mussten wir eine kohärente Erzählstruktur finden. Fest stand, dass wir die Geschichte als Liebesgeschichte erzählen und die medizinischen Vorgänge rund um die Krankheit des Kindes so realistisch wie möglich darstellen wollten.
kreuzer: Wie geht man als junges Paar mit einer solch extremen Herausforderung um?
DONZELLI: Für jungen Menschen sind solche Geschehnisse erst einmal sehr weit entfernt. Wenn man Anfang Zwanzig ist, macht man sich um so etwas wie Krebs keine Gedanken. Deshalb war es uns auch wichtig mit dem Film ein junges Publikum mit dieser Welt, die dieser Generation erst einmal fremd ist, zu konfrontieren. Wir haben durch die Krebserkrankung unseres Kindes sehr früh gelernt, Verantwortung zu übernehmen. Die Unbekümmertheit, die man hat, wenn man im Morgen seines Lebens steht, haben wir dabei zunehmend verloren. Wir sind durch diese Erfahrungen sehr schnell erwachsen geworden.
kreuzer: Wie hat sich Ihre Sicht auf das Leben durch diese Erfahrungen verändert?
DONZELLI: Vor allem hat sich mein Verhältnis zu Zeit an sich verändert. Man ist nicht mehr so ungeduldig. Es muss nicht mehr alles so schnell gehen. Durch die Auseinandersetzung mit der sehr langwierigen medizinischen Behandlung bekommt man ein Gefühl dafür, was es heißt, einen Marathon zu laufen. Man entwickelt eine größere Geduld und nimmt sich selbst nicht mehr so wichtig. Das Verhältnis zum Kind ändert sich natürlich durch solch eine Krankheit grundlegend, weil man lebenswichtige Entscheidungen für dieses Kind treffen muss, die es selbst noch nicht treffen darf.
kreuzer: Normalerweise würde solch ein Thema im Kino in Form eines Melodramas behandelt. Sie haben einen ganz anderen Weg gewählt.
DONZELLI: Wir wollten einen Actionfilm drehen, in dem ganz viel passiert, und die Geschichte so frei wie möglich erzählen. Wir haben uns erlaubt, in diesem Film alle Möglichkeiten auszuschöpfen und uns nicht auf ein festes Genre, eine gewisse Machart oder einen bestimmten Tonfall festzulegen.
kreuzer: Warum haben Sie sich dazu entschieden, in realen Krankenhäusern zu drehen?
DONZELLI: Es war uns sehr wichtig, dass wir diese medizinischen Abläufe in echten Krankenhäusern zeigen. Wir wollten keine Fantasiehospitale errichten, sondern mit wirklichen Krankenschwestern, mit der echten Sekretärin im Büro des Chefarztes drehen und genau zeigen, wie eine solche Behandlung vor sich geht. Um mit den Filmarbeiten nicht in das Leben des Krankenhauses einzugreifen, haben wir mit einem ganz kleinen Team gedreht, das flexibel auf die jeweilige Situation vor Ort reagieren konnte.
kreuzer: Roméo und Juliette sind ein sehr modernes, gleichberechtigtes Paar.
DONZELLI: Ja, wir wollten einen ganz gegenwärtigen Film für und über unsere Generation machen, in der Partnerschaften auf einer gewissen Gleichberechtigung beruhen. Wenn die Frau arbeiten geht, passt der Mann auf die Kinder auf. Wir zeigen eine Vätergeneration, die sich um ihre Kinder kümmert und sich um deren Wohl genauso sorgt, wie Mütter es tun. Es geht uns mit diesem Film auch darum, gegen die traditionellen Rollenklischees Position zu beziehen und ein anderes Familienbild vorführen.
kreuzer: »Das Leben gehört uns« ist in zweifacher Hinsicht ein Liebesfilm. Es geht um die Liebe zwischen Roméo und Juliette und um die Liebe der Eltern zu ihrem Kind. Wodurch unterscheiden sich diese beiden Formen der Liebe?
DONZELLI: Die Liebe zwischen Roméo und Juliette beruht auf einer ganz großen Komplizenschaft. Die beiden ergänzen sich sind wie Yin und Yang, aber dieses Verständnis basiert auf einer ständigen Diskussion. Die Liebe zu einem kleinen Kind hingegen ist sehr viel intuitiver und hat einen bedingungslosen Charakter. Als Mutter oder Vater muss man die Entscheidungen für das Kind treffen und versuchen, das so gut wie möglich zu machen. In der Liebe zu einem Baby gibt es keine Diskussion.