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Kultur

Festival für die digitale Bohème

Das Sinwald-Festival will Musik in einen neuen Kontext setzen

  Festival für die digitale Bohème | Das Sinwald-Festival will Musik in einen neuen Kontext setzen

An Orten wie dem Anatomie-Hörsaal, dem Lesesaal der Deutschen Nationalbibliothek und dem historischen Speisesaal im Hauptbahnhof geben am Wochenende Streichquartette, Electro-DJs, Singer-Songwriter und Hardcore-Rocker Konzerte, Lesungen und Performances.

Daniel Smutny ist niemand, der sich gern in den Vordergrund drängt. Doch auch er kann trotz Bescheidenheit die Fakten nicht leugnen: Er hält die Fäden beim neuen Festival Sinwald in der Hand. Der Komponist hat sich der Idee eines modernen Formats für Neue Musik verschrieben, seitdem der MDR ihn im Jahr 2010 darum bat, ein Festival für diese unterrepräsentierte Musikrichtung zu entwickeln.

Puppenspiel mit Noiserockband

Aus der Grundidee ist nun mehr geworden. Sinwald ist mittelhochdeutsch und bedeutet »kühner Sinn«: Passender Name für ein Festival, das sich bewusst nicht auf Klassik beschränkt, sondern verschiedenste Genres, Medien und Formate kombiniert. Während des dreitägigen Festivals mit 15 Veranstaltungen werden sich Streichquartette, Electro-DJs, Singer-Songwriter und Hardcore-Rocker die Hände reichen. Und nicht nur das: Auch verschmelzen verschiedene Künste miteinander. So werden ein Trash-Puppenspiel mit einer Noiserockband, szenische Lesungen mit Soundwalks und Filme mit Orchestermusik verwoben.

Und für wen das alles? »Für die digitale Bohème«, sagt Smutny, »für kunstaffine Leipziger, die spartenübergreifend denken, für Neues offen sind, aufgeweckt durch die Welt laufen und sich von den alten Medien nichts vorschreiben lassen.« Einerseits erhofft er sich Besucher, die sonst eher auf dem Melt-Festival zu finden sind und noch nie im Gewandhaus waren, andererseits möchte er die Liebhaber der Hochkultur ansprechen und diese womöglich erstmals in einen Club mit Minimal-Electro-DJs locken.

Zuerst die Orte, dann die Musik

Smutny bezeichnet das Festival Sinwald ganz bewusst als »Neues Festival für Musik«: Es geht um neue Aufführungsformen und die zeitgenössische Ausprägung von Musik. Die Wahl der Locations stand dabei im Vordergrund, so Smutny. »Wir hatten zuerst die Orte und dann die Musik, die sich mit der Semantik der Orte auseinandersetzt.« Zu den 15 außergewöhnlichen Konzertlocations – den so genannten Lichtungen – zählen der Anatomie-Hörsaal, der Lesesaal der Deutschen Nationalbibliothek und der historische Speisesaal im Hauptbahnhof. Die Säle werden durch den Visual Artist Robert Seidel in völlig anderes Licht gesetzt und durch die Musik gänzlich verfremdet. In einer fußläufigen Route durch die Stadt können Besucher an drei Tagen all diese Facetten erkunden.

Nicht nur der erzeugte Gegensatz von Raum und Kunst ist spannungsgeladen, sondern auch das Nacheinander der sehr unterschiedlichen Konzerte: Alles beginnt mit einer Konzertinstallation im alten Stadtbad, in dem sowohl Ligetis Konzert für 100 Metronome, das Helios Streichquartett als auch der Minimaltechno-Liveact »Landesvatter« zeitgleich stattfinden. Weiter geht es zu einem Orchesterkonzert mit Film und dann zur Band Pentatones, um abschließend in der Electro-Clubnacht abzutanzen. Das schreit nach gebrochenen Hörgewohnheiten und sozialen Experimenten, auf die Smutny schon gespannt ist: »Es wird interessant, wenn man zwischen verschiedenen Stilen nicht mehr umschalten kann. Bei dem Streichquartett mit Minimal-DJ wissen wir beispielsweise nicht, ob die Leute tanzen wollen oder gespannt zuhören.«

Konzert mit  Metronomen

Auch die Auswahl der Künstler ist nicht beliebig: Allen ist gemein, dass sie – so wie Sinwald – die Grenzen ihres Genres gewaltig dehnen und neu interpretieren. »Zusammen bilden sie verschiedene Facetten einer Sprache«, so Smutny. Dabei versteht er das Festival auch als Podium für regionale Künstler, auf dem sie sich präsentieren und neue Kooperationen bilden können.

Warum wollen Smutny und der MDR ein neues Festival? »Weil neue Kontexte eine der wenigen Rechtfertigungen für Live-Aufführungen sind«, antwortet Smutny. »Dadurch, dass heute alles digital verfügbar ist, wird es auch gleichermaßen egal und kontextlos. Eine Live-Aufführung gibt der Musik ihre Wertigkeit zurück.« Bleibt zu hoffen, dass die Leipziger digitale Bohème das Engagement zu schätzen weiß.


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