Sommer, Sonne und Musik. Die Festivalsaison ist wieder da. Und beginnt beim Immergut in Neustrelitz. Unsere Autorin war dabei und erzählt von Tiermasken, Bierbongs und Tanzen in den nächsten Morgen.
Hier sagen sich Fuchs und Hase gute Nacht. Nein, »gute Laune«, brüllen Sprechblasen aus Pappe. Am Himmel strahlt die Sonne, unten im Staub die Gesichter. Das Immergut eröffnet traditionell die Festival-Saison. Und alle sind sie wieder da. Freaks und Verrückte, brave Mädchen und bebrillte Jungs, Musikbegeisterte und Total-Besoffene. Die familiäre Stimmung ist der Grund, warum man immer wieder herkommt, immer wieder all diese Leute trifft, immer wieder viel zu wenig schläft und viel zu viel trinkt. Und natürlich die Bands.
Heulen 1-10 oder trinken, trinken, trinken
Im Freundeskreis gehen die Meinungen im Vorfeld weit auseinander. Schlechtestes Line-Up ever trifft auf bestes Line-Up ever. Line-Up hin oder her, einfach hin. Am ersten frühen Abend steht Entspannung auf dem Plan. Auf der kleinen Birkenhainbühne liest Autor Leif Randt belanglose Geschichten aus einer belanglosen Beziehung, während man selbst Rauch in den wolkenlosen Himmel bläst. Erstmal ankommen. Dann Die Höchste Eisenbahn. Eine Art Indie-Boy-Supergroup um Moritz Krämer und Francesco Wilking (Ex-Tele-Sänger), die diesmal Max Schröder und Felix Weigt mitgebracht haben. Und Songs und Geschichten. Übers Auf-Land-Ziehen, über Menschen am Bahnhof, bevor die Aliens kommen, und den Gedichtzyklus »Heulen 1-10«, der nicht hält, was sein Titel verspricht, vielmehr lachen. Textbeispiel Heulen 2: »In seiner Heimat füllte er Stadien, nur dass niemand weiß, wo die ist.« Und dann eine fröhliche Melodie. Im Publikum pustet jemand Seifenblasen, Kinder tanzen im Kreis, Heike Makatsch ist auch da und lacht.
Dann legt die große Bühne los, die Party kann beginnen. Hase und Fuchs tragen ihre Masken zu Francis International Airport, schon allein, weil die österreichische Band in ihrem Monster-Musik-Video auch Tiermasken trägt. Auf dem Zeltplatz macht inzwischen die Runde, wer sich hinter dem Pseudonym »Let's did it« verbirgt – der Band, die zur besten Zeit spielen wird und die im Internet und im Programmheft nicht existiert: Die Sportfreunde Stiller. Oh Mann, alle vorher gehegten Hoffnungen auf mögliche Lieblingsbands zerstört. Egal. Erstmal Vierkanttretlager. Vier Jungs aus dem Norden, Casper-Freunde mit Gitarrenriffs und fröhlich tanzbaren Mitgröl-Songs. Zum ersten Mal bebt das Zelt, das danach kurz vor dem Einsturz ist. Wollen schließlich doch alle die Sportfreunde sehen. Die Autorin geht zu Bar. Und trinkt, trinkt, trinkt, während vor der Bühne alle ausrasten und die Band ganz melancholisch wird. »Wie damals...“, hat sich scheinbar nichts verändert in all den wunderbaren Jahren.
8000 Mark und tanzen, tanzen, tanzen
Die Erinnerungen beginnen zu verschwimmen: WhoMadeWho sind eine Super-Live-Band, das bleibt festzuhalten, die Blood Red Shoes erst recht, die hier den Headliner geben. Danach wird’s elektronisch, Totally Enormous Extinct Dinosaurs legen los, wir tanzen. Tanzen, tanzen, tanzen. Draußen dann zu Alle Farben, der aber enttäuscht. Was ist das für ein langweiliger Beat, von dem, der doch alles auflegen kann? Zurück zur Zeltbühne und den guten alten Indie-Hits. Frage der Nacht: Was kostet ein Bier, was kosten zwei Bier, was kosten drei Bier, was kostet Freibier? – 8000 Mark. Die Sonne geht auf. Weitermachen oder schlafen gehen? Es macht keinen Unterschied mehr. Alles ist gesagt, gesungen, getan. Gute Nacht, Freunde.
Der Morgen zwingt zur Flucht. Weg hier, bloß weg von den Zeltnachbarn, von all dem Krach und Schmutz und Staub. Direkt an und in den See. Mecklenburger Seenplatte hab' Dank. Ihr eiskaltes Wasser schluckt Kopfschmerz, Erschöpfung und die Anzeichen von Übelkeit. Frisch und munter zurück zum »Dampfschiff der guten Laune“, wie Heinz Strunk uns alle begrüßt. Er allein wäre schon Grund genug, hier zu sein. Soviel zur Line-Up-Diskussion. Strunk liest aus seinem Anti-Reise-Tagebuch, in dem es vor allem darum geht, so wenig wie nur möglich zu erleben. Gerade in Afrika. Und er stellt die entscheidenden Fragen: »Würdest du dich für 40.000 Euro ein halbes Jahr nicht zudecken?«
Hasenmaske auf und Hits, Hits, Hits
Auf dem Zeltplatz eskaliert die Situation zunehmend. Die Zeltnachbarn, die keiner mehr kennt – wo kommen nur all diese Leute her? – packen die Bier-Bong (!) aus, steigen auf ihre VW-Busse, bewerfen sich mit rohen Bratwürsten, kreischen und kriegen sich nicht mehr ein. Überall liegt Müll. Schaulustige Freunde kommen auf einen Schnaps vorbei, jemand meint: »Auf dem Force Attack wäre das hier noch ordentlich.« Genau das ist der Grund, warum wir da nicht, sondern hier sind. Rückzug aufs Festivalgelände. Da gibt es Kunst. Das Projekt: Gestalte dein eigenes Groschenroman-Titelblatt! Ein Spaß mit Verkleiden und schlimme Überschriften Ausdenken. Toll!
News vom nur ein paar Schritte entfernten Zeltplatz kommen per Telefon. »Es wird mit flüssigem Grillanzünder geschossen. Wir haben dein Zelt in Sicherheit gebracht.« Danke und weitermachen. Beim Promo-Zigarettenstand ein paar Kippen schnorren und zurück zur Musik. Die Band mit dem wunderbar aussprechbaren Namen Kakkmaddafaka machen das, was sie immer machen: Stimmung. Diesmal tanzt die Hintergrundboygroup nicht im Sportdress, sondern in weißen Hemden. Elegant.
Dann der Test: Was kann man mit einer Hasenmaske alles tun? Zum Beispiel mal im Backstage schauen. Hallo Welt, hallo Stars, mein Name ist Hase. Hier legt ein eigener DJ auf, aber es sitzen auch nur alle rum oder spielen Kicker. Zurück zum Pöbel und den schwedischen Friska Viljor, die immer noch fröhlich »Shotgun Sister« intonieren.
Und am Ende eint sie wieder alle: Hits, Hits, Hits, dargelegt vom auch nicht tot zu kriegenden Karrera-Klub-Spencer. Menschen liegen sich in den Armen, teilen den letzten Schnaps, reißen ihre Arme hoch und freuen sich. Es ist längst schon wieder hell, als sich Fuchs und Hase Gute Nacht sagen. Nein, Gute Laune. Das war's.