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Kultur

Tanzbare Komplexität

Bei den Jazztagen bringen Ye:Solar und Mouse on Mars mit »Cool Experience« das Werk 2 zum Kochen

  Tanzbare Komplexität | Bei den Jazztagen bringen Ye:Solar und Mouse on Mars mit »Cool Experience« das Werk 2 zum Kochen

Cool Jazz, Nu Jazz und Jimi Hendrix: Die Jazztage geben sich Grenzen überschreitend. Das Beste Beispiel dafür waren Mouse On Mars mit einer Show, die dank ihres Drummers nicht im Chaos versank.

Die 36. Leipziger Jazztage feiern Geburtstag – wenn auch nicht den eigenen. Das Motto »Cool Experience« lässt bereits erahnen, auf wessen Ehrentag angespielt wird: Programmatisch soll sich alles um Gil Evans, den Vater des Cool Jazz, und natürlich um Jimi Hendrix drehen, der durch seine Band Experience und dem Meilenstein-Album »Are You Experienced?« eigentlich ein Copyright auf dieses Wort verdient. Beide hätten in diesem Jahr runde Geburtstage feiern können, doch die Gemeinsamkeiten reichen weit darüber hinaus: Nachdem Jimi Hendrix die Rockwelt umgekrempelt hatte, wandte er sich Ende der 60er Jahre gezielt dem Jazz zu. Er spielte Jam-Sessions mit Kirk Roland und Herbie Hancock und lernte über Miles Davis letztlich Gil Evans kennen, mit dem er große Projekte plante. Hendrix’ früher Tod vereitelte zwar deren Umsetzung, Evans jedoch sah sich so stark von Hendrix inspiriert, dass er sich wiederum dem Jazz-Rock öffnete und damit das Big-Band-Spiel revolutionierte. Beide Musiker verstanden sich bestens darauf, Grenzen zu sprengen, zu experimentierten und das Publikum zu polarisieren. Wozu sie gemeinsam fähig gewesen wären, lässt sich nicht einmal erahnen. Ein paar Möglichkeiten jedoch, wohin die Reise – sehr konjunktivistisch – hätte gehen können, zeigt das handverlesene Line-up der diesjährigen Leipziger Jazztage.

Ganz bewusst wurden neben renommierten Jazzgrößen wie John Taylor, Diana Torto und Dave Liebmann auch Musiker wie Sophie Hunger und Mouse on Mars eingeladen, die man auf den ersten Blick kaum mit Jazz in Verbindung bringen würde. Freiheit, Vermischung, Grenzgänge und -überschreitungen sind hier die Schlagworte, die einem fixen Genre-Begriff (so es ihn denn gibt) entgegenstehen sollen. Rock, Klassik, Elektronik – das zum größten Teil ehrenamtlich arbeitende Team des Jazzclub Leipzig hat mit viel Fingerspitzengefühl ein internationales Programm aus über 110 Musikern zusammengestellt, das sich wahrlich hören lassen kann.

[caption id="attachment_18902" align="alignleft" width="303" caption="Mouse on Mars, Foto: Susann Jehnichen"][/caption]

Am Samstag wurde so mancher überrascht, wie heiß eine Nacht voller »Cool Experiences« sein kann: Ye:Solar und Mouse on Mars, umrahmt von Sevensol & Bender, gaben im Werk 2 eine schweißtreibende Show. Auf den ersten Blick wirken Ye:Solar (drei Herren in Schlips und Kragen an Keyboard, Kontrabass und Schlagzeug) wie eine klassische Jazz-Formation. Dann bemerkte man eine Vielzahl Kabel und blinkender LEDs, und auf den dritten Blick konnte man sich schon gar nicht mehr so recht konzentrieren, weil es plötzlich sehr, sehr laut wurde. Die Berliner Random Rhodes, Steve Bass und Groovemaster7 sind in der Tat gestandene Jazzer, die allerdings einen mutigen Schritt in Richtung Elektronik gegangen sind. Das musikalische Resultat nennen sie NuJazz-House, und genau so klingt es auch. Punktgenaue Beats, groovige Basslines und ausgedehnte Keyboardsoli, dazwischen immer wieder helgeschneidereske Zwischenrufe. Wie erfrischend es doch ist, auf der Bühne Musiker zu sehen, die ebenso viel Spaß wie ihr Publikum haben.

Und dann Mouse on Mars – die vielleicht größte stilistische Grenzüberschreitung, seit es Jazz-Festivals gibt. Aber was für eine! Nach langer Bühnenabstinenz hat das Duo um Jan St. Werner und Andi Toma nichts an seiner Sprengkraft verloren. Zusammen mit ihrem langjährigen Weggefährten, dem Schlagzeuger und Vokalisten Dodo NKishi, gaben sie dem tanzwilligen Publikum genau, was es erwartete: zerstückelte Beats, Störgeräusche, Sirenen, tanzbare Komplexität und stringentes Chaos. Mag der Wiedererkennungswert bei Musik so fern ab von jeder Eingängigkeit auch eher gering sein, es wurde sich lautstark gefreut, dass neben aktuellen Songs wie »They know your Name« und »Baku Hipster« auch ältere Sachen wie das 2001er »Actionist Respoke« gespielt wurden. Untermalt von einer psychedelisch-minimalistischen Lichtshow nahmen die Elektroniker ihr Klangmaterial vor den Ohren des Publikums immer wieder auseinander und setzten es neu zusammen, selbst die wenigen Sprachfetzen wurden live eingesprochen. Und jedem, der glaubte, dass nun alles im Chaos versinken würde, bewies ihr kongenialer Schlagzeuger ein ums andere Mal mit messerscharf getimeten Breaks das Gegenteil.

Mit ihrer experimentellen Art sind Mouse on Mars auch nach knapp 20 Jahren sicherlich eine der anspruchsvollsten und polarisierendsten Bands unserer Zeit – und passen somit hervorragend ins Konzept der diesjährigen Leipziger Jazztage.


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