Moshen im Ungefähren, Schreiben im Trüben. Versuch, mit Schwarwels »Seelenfresser« ein Fünkchen Erhellung ins Wesen der Metal-Kritik zu bringen. (Mit Gewinnchance!)
November mist: Der Nebelmonat nähert sich mit kraftvollen Schwimmstößen durch die End-Oktober-Ursuppe. Vor den goldenen Herbst hat sich die opake Milchigkeit von Ausfluss geschoben. Den Horizont derart nicht vor Augen, also stumpf vor mich hinblickend, fiel mir ein Leserkommentar zum Party.San-Bericht wieder ein: »Leider nur ist der Informationsgehalt äußerst begrenzt, mehr als ›coole‹ Worthülsen kann ich nicht entdecken. Unter einer Konzertkritik stelle ich mir etwas anderes vor.«
Der Eispickel der Kritik hat mich also nicht von seinem Widerhaken gelassen, meine »Hölle mit Sahnehäubchen« goutierte also nicht. Nun könnte man den Kommentar vom Tisch fegen: Beim Metal geht’s doch nur um coole Worthülsen, bombastische, aber leere Gesten, Lärm, der Musik behauptet. Das stimmt ebenso wie das But alive...-Bonmot »Über Musik schreiben ist wie zu Architektur tanzen«. Und doch ist damit nicht alles beantwortet. Die besondere Schwierigkeit, über Extrem-Metal zu schreiben, liegt darin, etwas so intuitiv Liebens- oder Hassenswertes wie unharmonisches Knüppelbrot mit Gekreisch am Gehstock angemessen zu beschreiben. Das macht den Livebericht nicht fluffiger: Zu stenografieren, welche lustigen – meist sind sie ja nur versucht komisch – Ansagen die Band gemacht hat, ob und wer gehüpft, gesoffen, gekotzt hat, ist nicht mein Ding. Und persönlich will ich das gar nicht wissen, wenn’s nicht absolut genial oder daneben war. Das schränkt die Metal-Kritik natürlich ein. Was tun, um Wladimir Iljitsch zu bemühen? Vielleicht mal den Stahlin fragen?
Eine Buchkritik hingegen ist da greifbarer, wie der Vergleich zeigt – auch wenn Schwarwel nicht weniger Nebelschwaden durch die Panele wehen lässt, als saisonal an der Tagesordnung sind. Gerade erscheint der zweite Band der nicht nur an dieser Stelle hoch gelobten Serie »Seelenfresser«. Ich könnte darüber schreiben, dass es ein Hammerteil von Blut-und-Hoden-Bildgeschichte ist, das einfach flasht – und hätte damit Recht. Aber auch konventioneller kann der Punkt gemacht werden. Schon mit der Eröffnung seines zweiten Graphic-Novel-Bandes offenbart Schwarwel sein brillantes Storytelling. Wie wichtig ist in der Literatur doch der erste Satz. Wir werden hier durch einen wiederkehrenden Schlüsselmoment aus Leipzigs Stadtleben hineingeführt. Und jetzt, nachdem bekannt ist, dass der REWE am Kreuz abgerissen und neugebaut wird, ist Schwarwels Aufmacher mit einem Fast-Ganzseiter der berühmten Ansicht noch bedeutungsvoller. (Auch mit anderer Immobilienkritik wird nicht gespart.)
Schon befinden wir uns wieder in einem wie von David Lynch regiertem LE. Im Walde hinterm Völki, das wie ein finsterer Wachturm die noch unheimlicheren Kreaturen der Nacht abhalten soll, hausen Stadtstreicher und in deren Nähe auch ein komischer Cowboy-Kauz, der Sex-Manic ist und noch ein, zwei Geheimnisse mit sich herumschleppt. Im satten Strich hat Schwarwel seine rätselhafte Story weitergesponnen, wohin das führt, ist zwischen Sex, Blood and Rock’n’Roll auch noch nicht ansatzweise zu erahnen – aber die Geschichte dockt ans Schweinevogel-Universum an, das immerhin ist nun offensichtlich! Da könnte man sich in sicheren Fahrwassern wähnen, wäre da nicht weiterhin die wabernde Protoplasma-Struktur, die Lebewesen einsaugt und deren NATO-Draht artigen Tentakel jederzeit flechtenartig Stadt und Land umarmen und penetrieren könnten. Atmosphärisch dicht fällt dieser Lovecraft-Alptraum aus, in den der Leser geworfen wird und aus dessen kräftig in Tiefschwarz getuschter Grafik mit expressiven Nebenhöllen er nur schwer geistig gesund wieder herausfindet. Und mit dem Bild-Impetus zeigt Schwarwel in Zeiten, wo Literatur haufenweise mal schnell zum Comic verwurstet wird, weil der ja in ist, dass man auch ganz eigenständig in diesem Medium erzählen kann.
Diese letzten Absätze sollten doch recht verständlich sein, auch ohne jetzt noch ein »Daumen hoch, ›Seelenfresser‹!« hinterher schmeißen zu müssen. Beim Extrem-Metal allerdings tut sich selbst die Genauigkeit anstrebende Wissenschaft schwer. Eine Studie hebt sich davon ab, weshalb hier eigentlich eine weitere Buchbesprechung – nämlich der hervorragenden Autopsie »Death Metal and Music Criticism« von Michelle Phillipov – folgen sollte. Die muss vertagt werden – solch lange Texte liest im Netz niemand, wird mir immer eingetrichtert.
Also zum Schlussspurt geeilt: Ich rufe alle auf, mir zu zeigen wie, wie eine Metal-Konzi-Kritik anderes gehen könnte als meine »Coole Worte«-Versuche. Gelegenheit gibt’s mindestens zwei in den nächsten Wochen, am Wochenende im Beandhaus beim »Deathcult Armageddon« und zwei Wochen darauf beim Prowler-Release-Gig. Wer mir also eine Rezi in Länge von rund einem Dutzend Twitter-Posts schickt, die das im Ansatz leistet, wird hier veröffentlicht und belobigt. Der beste Beiträger bekommt Schwarwels neues Album als Dankeschön. November pain? Gna!