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Kultur

Essensgutscheine und Residenzpflicht

»Im Land der Frühaufsteher« zeigt das Leben eines Flüchtlings in Comic-Form

  Essensgutscheine und Residenzpflicht | »Im Land der Frühaufsteher« zeigt das Leben eines Flüchtlings in Comic-Form

Der Comic »Im Land der Frühaufsteher« dokumentiert den Alltag von Flüchtlingen. Am Dienstag stellt ihn Autorin Paula Bulling bei der Antirassismuswoche des Landesfilmdiensts vor.

Noch immer protestieren Flüchtlinge, die Anfang Oktober nach einem 600-Kilometer-Marsch in Berlin ankamen, am Brandenburger Tor für ihre Rechte. Nicht nur in Leipzig-Wahren wehren sich Bürger gegen Unterkünfte für Asylsuchende in ihrer Nachbarschaft. Und überall in Deutschland haben Flüchtlinge mit Alltagsrassismus und restriktiver Gesetzesauslegung, bürokratischen Zwängen und mangelhaftem Wohnraum zu kämpfen. Wie sich ihr Alltag im benachbarten Sachsen-Anhalt gestaltet, dokumentiert der Comic »Im Land der Frühaufsteher« von Paula Bulling, den sie im Rahmen der Medienwoche »Courage leben! Gegen Rassismus« am 13.11. vorstellt. Die vom Landesfilmdienst Sachsen ausgerichtete Veranstaltungsreihe klärt mit Filmen, Vorträgen und Workshops über die Macht von Diskriminierungen auf und zeigt beispielhaft, wie sich die Handlungs-Ohnmacht überwinden lässt.

Sachsen-Anhalt schmückt sich gern als Land der »Frühaufsteher«. Beim Pochen auf solche Tugend ist es folgerichtig, dass man hier die Gesetze für Asylsuchende auch besonders streng auslegt. Und wie und warum der Flüchtling Oury Jalloh 2005 im Dessauer Polizeigewahrsam an ein Bett gefesselt verbrennen konnte, ist noch immer nicht geklärt – der Revisionsprozess vor dem Magdeburger Landgericht läuft. Die Comic-Autorin und -zeichnerin Paula Bulling nahm einen anderen ungeklärten Tod zum Anlass ihrer Spurensuche über den sachsen-anhaltinischen Flüchtlingsalltag. Azad Murad Hadji, ein im Asyllager Möhlau untergebrachter Flüchtling, kam im Juni 2009 nachts mit lebensgefährlichen Brandverletzungen ins Lager zurück. Er fällt ins Koma und stirbt kurz Zeit später. Die Ermittlungen wurden noch im Sommer eingestellt.

Im Laufe mehrerer Jahre hat Bulling bei zahlreichen Begegnungen mit Asylbewerbern in verschiedenen Heimen deren Lebenswelt aufgezeichnet. Aufgrund des dokumentarischen Zugangs ist der Leser über die sieben Kapitel dicht bei den – anonymisiert – Porträtierten und ihrem Leben mit Essensgutscheinen und Residenzpflicht. Die grau und schleierhaft sowie im Skizzenstil gehaltenen Zeichnungen unterstreichen die Tristesse. Anklagender Tonfall wird bewusst aus der grafischen Erzählung herausgehalten – die für sich sprechenden Schilderungen sind deprimierend genug. Bewusst subjektiv fällt dieser Comic aus, der hauptsächlich aus Dialogen besteht, und auch die Position als privilegierte Dokumentarin in der verwendeten Ich-Form mit reflektiert. Bullings Perspektive schafft so eine eindringliche Anklage aus der Ausgrenzten in der Provinz – wobei offensichtlich ist, dass solche Zustände nicht nur dort herrschen.

 


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