Es geht sehr oft um das, was am Ende rauskommt aus einem Partybesucher, nach ein paar Bier, mitten in der Nacht. Wer sich anschauen will, woran es in der Feinkost krankt, der kann das auf dem Hof jederzeit tun. »Pissrinne« ist auf ein Schild gekrakelt, zu übersehen ist das unappetitliche, inoffizielle Symbol des aktuellen Streits in der Feinkost beim besten Willen nicht.
30. November 2012: Auf der Tagesordnung der Genossenschaftsversammlung des alternativ verwalteten Geländekomplexes auf der Karli steht der Ausschluss von Sven Lachmann. Der Antrag wird einstimmig angenommen. Lachmann ist Betreiber des »Absturz«, bekannt durch seine Veranstaltungen, die – bei aller kulturkritischen Vorsicht – wichtiger Bestandteil der Musik- und Partykultur der Südstadt sind. Hand in Hand mit dem Genossenschaftsausschluss läuft ein Mietkündigungsverfahren. Kurz gesagt: Der »Absturz« soll weg. Mit der drastischen Entscheidung geht der jahrelange Disput unter den Feinkostmachern nun in eine weitere Runde.
Wenn es in der Feinkost-Geschichte der letzten Dekade einen konstanten Faktor gab, dann war es Streit. Letztmalig eskalierte er vor drei Jahren, als ein neuer Vorstand installiert wurde, an Meinungsverschiedenheiten über die Nutzung der Kellerräume unter dem Gelände. Lachmann wollte am liebsten sofort den von ihm vor Jahren freigeräumten Kreuzgewölbekeller ausbauen. Dort fanden »Absturz«-Partys statt, bis die Ämter die Notbremse zogen, zu desolat war der Zustand der Räumlichkeit.
»Antrag auf dauerhaften Eigennutz des Kreuzgewölbekellers durch die Genossenschaft« lautete dann ein Tagesordnungspunkt der Aufsichtsratssitzung vom September 2009, der Lachmann heute noch auf die Palme bringt. Laut Genossenschaft war ursprünglich die Möglichkeit der Mitnutzung durch die Genossenschaft vereinbart, dafür spricht auch ein Aufsichtsratsprotokoll von 2008. Streitpunkt ist bis heute eine spätere Zusatz-Mietvereinbarung mit dem damaligen Vorstand, die Lachmann zum Alleinnutzer machte. Konkrete Pläne für den Kellersaal würde es jedoch nicht geben, hieß es vom Vorstand, vielmehr müsse ein gesamtheitliches Sanierungskonzept für das Gebäude her.
Eine Einzelsanierung des Kellers sei nur machbar, wenn man die anliegenden Gebäudeteile in die Planung und Sanierung mit einbezöge. Ein von Lachmann geforderter Bauantrag wurde blockiert, er klagte dagegen, eine Mediation scheiterte kürzlich. Unterdessen gibt es eine schier unübersehbare Menge an Nebenschauplätzen der Auseinandersetzung. Es geht um genutzte Flächen, Mietverträge und -preise, Nebenkostenabrechnungen, Schadenersatzforderungen wegen leichtfertiger – oder vielleicht gar mutwilliger? – Sachbeschädigung, verrostetes Werkzeug, verschimmelte Möbel, verschwundene Kühlschränke, aufgebrochene Wände und Türen, Brandschäden im Dach, sehr handfeste Begegnungen einiger Akteure – und immer wieder um den Zustand des Hofes nach »Absturz«-Partys.
»Es schwimmt vor Pisse«, ist das drastische Fazit des geschäftsführenden Vorstandsmitgliedes Heike Graichen, es sei ein gerade für die angrenzenden Mieter unhaltbarer, weil geschäftsschädigender Zustand. Als Notlösung hätte man die aktuell präsente Pissrinne installiert. Lachmann hingegen verweist auf die ebenso ausufernden Veranstaltungen, die regelmäßig im benachbarten Feinkost-Café stattfinden. Deren Besucher hätten oft das offizielle Feinkost-Klo ignoriert und dafür seine Dixies benutzt – oder eben gleich eine Mauer. Die provisorische Pissrinne mitten auf dem Hof sei abstoßend und niveaulos, findet er. Überhaupt: Die Genossenschaft würde ihren einfachsten Pflichten als Vermieter nicht nachkommen und bei vielen ihrer Mitglieder würde sein geschäftlicher Erfolg eben ein grundsätzliches Unbehagen auslösen. Damit stehen die allerdings nicht allein, auch in der Leipziger Veranstalterszene ist Lachmann nicht eben unumstritten, es gibt einige, die es vorziehen, keine Geschäfte mehr mit ihm zu machen.
Mit der Feinkost-Problematik hat das indes nichts zu tun, hier stapeln sich gegenseitige Forderungen in fünfstelliger Höhe. Jeder Mietausstand, jeder Euro für Anwälte fehlt der Genossenschaft hinten und vorn auf dem Gelände. Schon deshalb wäre ein schneller Abschluss der Causa notwendig. In Sicht ist aber weiterer langwieriger Streit. Kommuniziert wird inzwischen sowieso nur noch über Anwälte. Dass Lachmann mit niemandem persönlich redet, nicht mal zu seiner eigenen Ausschlusssitzung geht, passt natürlich zum von der Genossenschaft gern gezeichneten Bild des verbissenen Verweigerers. Vielleicht ist es aber auch nur das Gefühl der Ohnmacht gegenüber der festgefahrenen Front. Klein beigeben will er auf keinen Fall, selbst wenn ein potenziell bitteres Ende – eine zwangsweise Räumung – an seinem Ereignishorizont durchaus präsent ist. Aber: »Die Hoffnung stirbt zuletzt. Eigentlich müsste man einen Strich ziehen und bei Null anfangen mit Gesprächen.« Sagt er, einen Moment deutlich nachdenklich. Dem kreuzer. Die Genossenschaft weiß davon nichts.