Spiel im Vagen: Der Ansatz, mit die »Die Spieler« eine intime Theatersituation zu schaffen, geht bei der jüngsten programmatischen Schaubühnen-Produktion leider nicht auf.
Was tue ich hier? Ich sitze in letzter Reihe auf einer Treppe am Rand des Schaubühnen-Ballsaals und schaue einen schauspielerisch nicht schlechten, aber traditionell anmutenden Dostojewskij-Dialog aus »Die Spieler« an. Die 40 Menschen vor und neben mir tragen Sicherheitswesten in Signal-Orange und folgen seit einer halben Stunde dem Treiben mehr oder weniger aufmerksam. Mir schmerzen die Beine, die Sitzposition ist nicht gerade angenehm. Dann wird es Dunkel, verhaltener Applaus kündigt das Ende der Vorstellung an. Was war das?
Sie fing recht vielversprechend an, diese »Der Spieler«-Inszenierung (Regie: Frank Heuel). Lose nach Fjodor Dostojewskij und Jean-Luc Godard sollte sich der Saal ins Casino der havarierten Costa Concordia verwandeln und das Spiel des Lebens verhandelt werden. Darsteller, Publikum und Schiffspersonal treffen also im Schiffsbauch aufeinander, wo ihre Begegnungen und das gemeinsame Glücksspiel gehörigen Einsatz fordern. Leider gewinnt die Bank, geht das Vabanquespiel im Gegensatz zur fantastischen Unmittelbarkeit beim ersten programmatisch-neuen Schaubühnen-Stück vor einem Jahr nicht auf.
Beim Eintritt in diese Spielhölle erhält jeder Zuschauer eine orange-schreiende Signalweste zum Überstülpen. Im kleinen Kinosaal wird die Gruppe von rund 40 Personen via Leinwand über Sicherheitshinweise und anderes belehrt: »Theater + Kino = Schiffe, die sich nachts begegnen«. Dann werden wir in den Bauch des imaginären Schiffes geleitet. Zwei Podeste sind hier in der Saalmitte aufgebaut, am Rand stehen drei Kabinen. Dann passiert erst einmal Nichts. Plötzlich springen zwei Männer und eine Frau aus den Schiffskajüten, verteilen Jetons und rufen zum Zocken auf. Wie bei „Ein Neunundzwanzigster Februar“ besitzen die Besucher aktiven Teilnehmerstatus, sollen partizipieren. Bedienste mit Black-Jack- und Roulettetisch-Bauchläden stehen dafür bereit. Die Darsteller versuchen, die Zuschauer in lose Gespräche zu verstricken. »Brauchen sie nicht auch manchmal mehr Geld?« »Welcher Spielertyp sind sie?« – »Ich war noch nie ein Spieler, dafür fehlte mir immer der Ehrgeiz«, lässt mein Nachbar wissen. Damit bringt er die gesamte Inszenierung auf den Punkt. Denn Trotz – oder wegen – aller Ambitioniertheit will sich eine unverfängliche Situation nicht einstellen. Existenziell wird es nicht, als sich die Zuschauer auf ein rings um den Spielflächenrand gespanntes, nummeriertes Band setzen und somit selbst zum Wetteinsatz werden. Das ganze Leben ist ein Roulettespiel? Einige Zuschauer pellen das Innere aus den als Jetons herhaltenden Schokotalern und schieben es in den Mund.
Mehr und mehr flechten sich nun Dostojewskij-Dialoge um die unglückliche Beziehung zwischen Aleksej und Polina aus »Die Spieler« ins Dargebotene. Nach einem weiteren Positionswechsel, um die zwei Podeste werden Kissen und Liegestühle drapiert, nimmt das Publikum auf einer unbequemen Treppe am Rande Platz und folgt längeren konzentrierten Sprechtheaterszenen, ohne weiter einbezogen zu werden – der zähe zweite Teil beginnt, bis die Scheinwerfer erlischen. Ich finde mich dann fragend mit einer Augenkrebsweste wieder. Denke an die verpasste Chance, die den zuschauerintegrativen Ansatz nicht weiter verfolgt zu haben, und verlasse den schiffbrüchigen Roulettetisch. Auf den traditionell gereichten Premierensekt habe ich nach dieser Flucht ins konventionelle Ende auch keine Lust mehr. Und ergebe mich Ahabs »Redemption lost...« beim Schreiben dieser Kritik.